22 - leise

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Dylan

Ich saß immer noch auf der Bank im Park neben Will, dem ich eigentlich echt noch ne Entschuldigung schuldete, weil wir ihn echt mies verunstaltet hatten, mit dem Autogrammstift gestern Nacht. Ich hörte ihm schon nur noch mit einem Ohr zu, als er davon sprach, wie er sowas ähnliches schon mal erlebt hatte und wie komisch das für die Betroffenen sein müsste und so 'n Kram halt. Irgendwann, als er mitten im Satz aufgehört hatte, zu erzählen, sah er mich an. Er hatte verstanden. Die Tränen, die schon fast getrocknet waren, wischte er mir aus meinem Gesicht, lächelte mich aufmunternd an und sagte die Worte, die mir meine innere Stimme schon seit dem ich mit Thomas stritt immer wieder zurief: "Geh zu Tommy und rede mit ihm." Ich weiß nicht, ob ich die ganze Zeit über nur darauf gewartet hatte, dass mir jemand mal sagen würde, ich solle es tun, der nicht in meinem Kopf war, aber erst jetzt tat ich es wirklich. Ich stand einfach auf und rannte los ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, kein Weiteres bis auf ein stockend gehauchtes "Danke." Ich rannte und rannte, bis ich nach ungefähr zwei oder drei Minuten, die sich wie 20 oder 30 angefühlt hatten, am Hotel ankam und die Tür öffnete. Leicht außer Atem kam ich an der Rezeption an und verlangte nach dem Zimmerschlüssel. "Tut mir leid Sir, aber der Schlüssel wurde bereits abgeholt.", entgegnete mir der junge Mann, der für die Zimmerschlüssel offensichtlich zuständig war. "Tommy.", flüsterte ich leise, aber schwer atmend und rannte wieder los, zum Aufzug und von dort aus in das fünfte Stockwerk, in dem unser Zimmer lag. Ich lief aus dem Fahrstuhl und so schnell wie meine Beine mich tragen konnten durch den Flur. Nur noch einmal links, dann den Gang entlang und dann rechts., dachte ich. Ich wusste nicht mal wieso ich rannte, tat es aber trotzdem. Okay hier links... ich rannte um die Ecke, wollte weiter doch fiel über etwas, was mitten im Flur lag und schlitterte ein paar Meter, verdrehte mir mit einem lauten Knacken das Knie. Kurz darauf drehte ich mich um. "Shit Thomas! Was machst du hier?", fragte ich völlig aus der Fassung. Ich lag immer noch am Boden und betrachtete den sich nicht regenden Körper meines Tommys... Aus seiner Hosentasche schaute ein kleines Plastiktütchen. Ich konnte mir schon fast denken was es war und zog es mit zitternden Händen daraus hervor. "Fuck Tommy dein Ernst? Koks?!", fragte ich ihn stockend, wusste aber dass er nicht antworten würde. Das Päckchen war fast leer, keine Ahnung wie viel darin war, bevor er es geschnupft hatte. Ich stand auf und nahm Thomas im Brautstyle auf den Arm. Mein Knie tat höllisch weh, doch ich musste schauen, dass ich Thomas wieder wach bekam, sonst wäre mein Knie mein kleinster Schmerz. Ich humpelte also richtig krüppelig zum Zimmer und schloss mit nicht gerade eleganten Bewegungen die Tür auf. Im Zimmer angekommen legte ich Thomas aufs Bett. Sein Atem war ziemlich schwach und kaum vernehmbar. Shit was soll ich jetzt tun?, fragte ich mich selbst in meinem Kopf. Ah ja Dylan frag dich selber was du tun kannst ich mein du wirst auch bestimmt ne gute Antwort darauf bekommen...., dachte ich weiter, sah wieder zu Tommy und dann... Wasser!, schoss es mir durch den Kopf. Ich schnappte mir Thomas' Arm und schleppte ihn ziemlich unbeholfen ins Bad. Keine Ahnung wie lange er jetzt schon high war, aber ich hatte mal irgendwo gelesen dass einem nicht mehr viel Zeit bleibt, nachdem man bewusstlos war. Ich legte ihn in die Dusche und beschloss, es würde zu lange dauern ihm seine Kleidung abzunehmen, weshalb ich das Wasser auf komplett kalt drehte und mit zitternden Händen das Wasser startete. Nichts. Keine einzige Bewegung von Tommy, bis auf das nur noch sehr schwache und kaum vernehmbare Heben und Senken seiner Brust. Aber wenigstens atmete er noch. "Komm schon Thomas bitte!", rief ich ziemlich verzweifelt, während meine Augen sich langsam aber sicher mit Tränen füllten. Ich stand da also im Bad, der beinahe reglose, nasse Körper des Jungen mit dem ich letzte Nacht scheinbar geschlafen hatte, mit dem ich schon so oft betrunken vom Alkohol aber auch vor Glück durch die Städte gezogen war, der Körper des Jungen den ich um nichts auf der ganzen Welt verlieren wollte. Ich vernahm noch das Rauschen der Dusche, kurz bevor ich anfing zu schluchzen, zu zittern und mich zu erinnern... An all die Tage die mich zerstörten und all die Worte die sonst keiner hörte... "Shit Tommy ich will dich zurück...", flüsterte ich und setzte mich zu ihm in die Dusche unter das kalte Wasser, nahm seinen Kopf und legte ihn auf meinen Oberschenkel, strich ihm durch die Haare, lehnte meinen Kopf in meinen Nacken und atmete durch. Ich hörte auf mit dem Schluchzen und sah Tommy an. Meinen Tommy. Gott wie stolz ich auf ihn war. "Komm schon!", flüsterte ich leise und halb am Verzweifeln. "Bitte Tommy bitte.", forderte ich ihn zitternd auf. Ich hatte keine Ahnung was ich tat, doch kurz darauf fand ich meine Lippen auf seinen. Dieser Moment war fast perfekt, aber wenn man mal annahm, dass er gerade vielleicht am verrecken war, komplett high und wir eigentlich Streit hatten, war er dann doch nicht mehr sooo perfekt. Egal, für mich zählte nur dieser eine Kuss jetzt gerade. Ich schmunzelte leicht, weil ich glücklich war, ihn geküsst zu haben, wurde dann aber wieder ernst. Er war immer noch bewusstlos. Ich saß noch eine gefühlte Ewigkeit da und streichelte Thomas einfach nur durchs Haar. Das Wasser prasselte auf meine Haare, meinen Rücken, seine Stirn. Ebenso wie meine Tränen, die stumm meine Wange hinunter flossen. Ich saß einfach nur da und sagte nichts, machte keinen klitzekleinen Laut und atmete sogar kaum hörbar. Ich war einfach komplett überfordert mit der Situation. Mein bester Freund für den ich doch ziemlich viel mehr empfand als Freundschaft starb wahrscheinlich gerade in meinem Arm, weil ich zu inkompetent war um ihm zu helfen. Kyle würde mir sicher nicht glauben und von den anderen wollte ich gerade nichts wissen. Eine weitere Träne verließ mein Auge, rollte meine Wange entlang, kam an meinem Kinn an und tropfte auf Tommys Augenlid, welches plötzlich zuckte. Zuerst bemerkte ich es gar nicht, weil ich die ganze Zeit nur leer und emotionslos auf die Badezimmertür gestarrt hatte, doch dann öffnete er seine Augen, sagte aber nichts und sah nur zu mir hoch, wie ein kleines Kind und eine weitere Träne tropfte von meinem Kinn, diesmal aber direkt in sein Auge, weshalb er zusammenzuckte und leise schmunzelte. Ich sah vollkommen perplex zu ihm runter, direkt in seine Augen. Meine Mundwinkel bewegten sich automatisch kurz nach oben, sackten dann aber wieder nach unten. Mit einem Finger, den er recht langsam und unbeholfen hob, wischte er eine meiner Tränen von meiner Wange und öffnete gerade seinen Mund weil er etwas sagen wollte, doch so weit ließ ich es nicht kommen. Ich wollte, dass dieser Moment leise blieb. Und weil ich ihm nicht den Mund zuhalten oder ähnliches tun wollte, brachte ich ihn auf eine andere Art und Weise zum Schweigen. Ich küsste ihn. Er erwiderte es erst nicht, sondern stockte, nahm es kurz darauf aber hin und unsere Lippen bewegten sich im selben Takt und im selben Rythmus. Und alles was man in diesem Moment hörte, waren die Geräusche die unsere Lippen von sich gaben, das Prasseln des Wassers, das auf unseren Körpern landete und das Schlagen meines Herzens, das vor Freude hüpfte.

Alle guten Dinge sind 4?! (Dylmas) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt