Am nächsten Morgen stößt auch Beorn wieder zu uns. Beim Frühstück erzählt er, dass er die ganze Nacht in seiner Bärengestalt umhergezogen ist und doch tatsächlich einen unserer Orkverfolger gefangen nehmen konnte. Mit allerlei Methoden hat er ihn dazu bringen können, die Pläne seines Anführers zu verraten. Azog will Thorins Kopf, unter allen Umständen, um ihn am Erreichen des Berges zu hindern. Nach dem Rückschlag am Waldesrand hat er seine Armee wiederaufgebaut und unter der Führung seines Sprosses Bolg gestellt, der genauso blutdürstig und grausam ist, wie er. Und auch er hat sich geschworen, die Blutslinie Durins für immer vom Angesicht Mittelerdes zu tilgen. Mir wird allein beim Gedanken an diese schrecklichen Pläne schlagartig schlecht und ich stehe unter den vieldeutigen Blicken der anderen mich entschuldigend vom Tisch auf. Nur noch von Weitem kann ich vernehmen, wie sich die Zwerge, Gandalf und Beorn über das weitere Vorgehen beraten.
Meine Welt beginnt sich zu drehen, sodass ich mich an einem alten Baumstamm, der als Pfeiler dient, abstützen und tief durchatmen muss. Seine raue Oberfläche unter meinen Fingerspitzen und der so vertraute Geruch von klebrigem Harz, beruhigen mich ein wenig. Unerwartet tritt Fili hinter mich und legt beruhigend seine Hände auf meine Schultern. „Mach dir keine Sorgen, Bil", sagt er mit gefasster Stimme und bestärkt seinen Wunsch mit dem sanften Druck seiner Finger. „Weder Azog noch sein Bastard wird es schaffen uns zu besiegen." Ich drehe mich zögerlich zu ihm um und starre ihn bereits mit Tränen der Angst in den Augen an. „Was macht dich da so sicher?! Einen Teil eurer Linie hat er schon getötet, bei einem anderen ist es ihm fast gelungen. Wenn ihr ihnen begegnet ... zu dreizehnt habt ihr nicht den Hauch einer Chance gegen eine ganze Armee." Ich senke traurig meinen Blick und unterdrücke ein Wimmern, das schmerzlich meinen Mund entkommen möchte, allein bei den Gedanken an die entsetzlichen Folgen. „Oh, aber wir sind nicht nur dreizehn ... du vergisst, dass wir einen mutigen Hobbit in unseren Reihen haben", sagt er und ich kann das Lächeln auf seinen Lippen mitschwingen hören. Ich stoße einen belustigten Laut aus und sehe ihn wieder an. „Damit macht man keine Scherze ...", erwidere ich gedämpft und sein Lächeln erstirbt augenblicklich. Für einen Moment zögert Fili ... aber dann legt er seine Stirn an meine und hätte ich diese vertraute Geste nicht schon so oft zwischen den Zwergen gesehen ... ich wäre erschrocken über diese intime Berührung zurückgezuckt. „Ich habe so fürchterliche Angst um euch ... ihr seid doch schon so etwas wie eine Familie für mich geworden", gestehe ich flüsternd und schließe meine Augen, denn erneut wollen sich die brennenden Tränen der Furcht ihren Weg aus ihnen erkämpfen. „Ich verspreche dir, dass uns nichts passieren wird ...", schwört Fili eindringlich, umfasst meine zitternden Glieder mit seinen großen Händen und zieht mich in eine tröstende Umarmung.
Den ganzen Vormittag verbringen wir mit den Vorbereitungen für unsere weitere Reise. Beorn gibt uns jedem eines der Schecken, die wir allerdings am Waldrand zurücklassen sollen. Zudem Proviant, das leicht zu verstauen und zu tragen ist, aber dennoch reichhaltig und sparsam verzehrt, mehrere Wochen halten wird. Auch Wasserbeutel, die wir an den zahlreichen Flüssen und Seen, die auf unserem Weg liegen, auffüllen sollen. Den durch den Düsterwald fließt zwar ein Fluss, aber dessen schwarzes Wasser ist verzaubert und jeder der davon trinkt oder darin badet, wird schläfrig und vergesslich. Beorn warnt uns eindringlich, den Pfad, den wir vorhaben einzuschlagen und der uns auf direkten Weg vom Waldrand zum einsamen Berg bringen wird, zu verlassen. „In diesem Wald leben düstere Gestalten und die Elben, die in ihnen wohnen, sind gefährlich", mahnt er uns abschließend. Unter vielen Dankeswünschen verabschieden wir uns schließlich von Beorn und reiten im schnellen Trab Richtung Norden.
Drei Tage lang nehmen wir diesen Kurs, zu unserer linken ragt das dunkle Gebirge bis in die Wolken hinein und unter den Hufen unserer Pferde zieht sich die grasige Ebene dahin. Nachts verdoppeln wir die Wachen und wenn ich zur Ruhe komme ... meist erst dann, wenn mich Thorin nach der Wachablösung in seine schützende Umarmung schließt ... träume ich von Azog und seiner Armee aus hässlichen Orks und zähnefletschenden Wargen, die uns verfolgen und seinen Schwur erfüllen ... blutrünstig und ohne Gnade. Meist erwache ich dann schwer atmend und vor Angst zitternd und beruhige mich erst wieder, nachdem ich mir sicher bin, dass Thorin noch immer an meinen Rücken gebettet lebt. Aber auch er schläft unruhig in den letzten Nächten ... murmelt unverständliche Laute in Khuzdûl und drückt mich öfters als sonst im Schlaf an seinen gepanzerten Brustkorb.
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Die kleine Hobbitfrau
FanfictionIn einem Loch im Boden, da lebte eine Hobbitfrau... Bil führt ein genügsames, ruhiges Leben ... bis sie eines Tages ein alter Bekannter aufsucht und sie zusammen mit 13 Zwergen in ein höchst gefährliches Abenteuer verwickelt, in dem sie letztendlich...