Aufstieg und Verlust

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Als Thorin wenig später schwungvoll die schweren Türen zur Bibliothek aufstößt, sind sofort die Blicke von Balin und Ori auf ihn gerichtet. Sie starren ihn sprachlos an, so als ob sie befürchten einer Sinnestäuschung zu erliegen. Nachdem wir jetzt die geschäftigen Teile des Berges verlassen haben, trete ich wieder gleichstehend neben den König und als ob erst mein Eintreffen den beiden Zwergen die Gewissheit gibt, dass die majestätische Erscheinung vor ihnen Wirklichkeit ist, löst sich ihre Starre. Balin kommt auf uns zu, langsam und unsicher; und in seinen Augen bilden sich die ersten Tränen der Erleichterung. „Mein König...", flüstert er erstickt und ich muss mit mir kämpfen, dass ich angesichts dieser oh so fassbaren, überwältigenden Freude im Antlitz der lieb gewonnenen Vaterfigur nicht befreit aufschluchze.

Der alte Zwerg bleibt dicht vor Thorin stehen und blinzelt mehrmals, mit aller Kraft bemüht die Feuchtigkeit zu bezwingen, die sich beständig in den Augenwinkeln sammelt. Ich betrachte Beide still und mit vor Ergriffenheit flatterndem Herzen und kann in diesem Moment die tiefe Verbundenheit zwischen ihnen regelrecht spüren. Sie knistert und flackert wie ein wohliges Kaminfeuer in einem schummrigen Raum voller Lebenserinnerungen und Bildern. Seit Balin denken kann, steht er an Thorins Seite. Er hat ihn stets begleitet ... durch unbändige Freude und namenloses Leid ... durch entsetzliche Gefahren und abscheuliche Schlachten ... immer mit der Hoffnung, dass er ihn irgendwann einmal zum König ausrufen kann. Und jetzt ... nachdem der Berg zurückerobert wurde, er die Drachenkrankheit bezwungen hat, unsere Feinde besiegt sind, Frieden herrscht und er wieder genesen ist ... erfüllt sich dieser Herzenswunsch und dies wird ihm in diesem herzbewegenden Moment sichtbar klar. Thorin legt ihm freundschaftlich und respektvoll eine Hand auf die Schulter und auch in seinen Augen kann ich erkennen, wie ihn Balins Freude über seine Rückkehr bewegt. Als sie schließlich schweigend und dennoch laut die gegenseitige Schätzung verkündend ihre Stirn aneinanderlegen, fange ich befreit und überglücklich an zu lächeln und das Salz der Tränen schmeckte noch nie so wunderbar wie in diesem berauschend-innigen Augenblick.

„Ich möchte, dass zeitnah Nachricht zu unserer Sippe in den Blauen Bergen gesandt wird", veranlasst Thorin wenig später, während er genau in der Lesenische Platz genommen hat, in der ich vor erst wenigen Wochen beinahe der niederschmetternden Verdüsterung der Drachenkrankheit nachgab und dessen ungeachtet eine folgenschwere Entscheidung traf, die unser aller Leben beeinflusste. Seine Haltung wirkt trotz der förmlich anmutenden Audienz gelöst, ja fast schon entpflichtet von jeglicher starren Etikette und Hoffähigkeit. Das letzte Mal, dass er es sich erlauben konnte unbefangen König zu sein, wie ich nur wenige Tage später betrübt feststellen muss und es ihm in diesem Moment vielleicht sogar klar war.

Ori vermerkt seine Anweisungen penibel auf einigen Stücken Pergament, unterdessen Balin und ich ergeben vor dem König stehen, um diese entgegenzunehmen. „Unser Volk soll diese Hallen so schnell wie möglich wieder mit Leben erfüllen. Zudem benötigen wir die Verstärkung, um den Erebor, Thal und die Seestadt wiederaufzubauen." Balin nickt zufrieden und ich kann selbst aus den flüchtigen Augenwinkeln heraus den flammenden Stolz über diesen rechtschaffenen und gewissenhaften König in den Augen emporlodern sehen. „Jawohl, mein König", bestätigt er den Erhalt und die Gefühlserschütterung zittert kaum fassbar in der Stimme. „Sendet außerdem einen Boten in das Waldlandreich, ich will baldigst mit den Elben und Menschen die Friedens- und Handelsverhandlungen aufnehmen", befiehlt Thorin weiter und lehnt sich zwanglos nach vorne. Die Arme auf den Knien abgestützt und die Hände locker verschränkt und oh bei Aules Schöpfung, er ist so herrlich und betörend. Wie habe ich es einst nur bewältigt mich ihm und seiner Liebe so lange zu verwehren? „Noch heute möchte ich mir von meinen Neffen die bereits erledigten und noch geplanten Aufbauarbeiten erläutern lassen, sag ihnen also Bescheid, dass ich sie aufsuchen werde."

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt