Hirngespinste

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Die schmerzhaft langen Tage sind grau und kalt. Schnee fällt unaufhörlich und verbirgt immer mehr der einstigen Schrecken der Schlacht unter einer unschuldig-weißen Decke des Vergessens. Und als ob diese sichtbare Verdrängung alles Unguten auch eine Art Erlöschen in den Köpfen der im Berg Unterschlupf Suchenden heraufbeschwört, wird die Stimmung plötzlich gelöster und lebenslustiger. Kinder beginnen wieder zu spielen und entdecken mit großem Interesse die verworrenen Gänge des Berges. Verletzte gesunden, das scheußliche Sterben endet ... Gelächter und Spaß, fröhliche Stimmen und Zukunftsglauben durchfluten anstelle von entsetzlichen Klagerufen und grausamen Tod die einst dunklen, grauen Mauern und erfüllt sie mit neuem Licht.

Aber so beschwingt die aufkommende Hochstimmung durch das Begreifen, dass die Schlacht gewonnen wurde und Frieden herrscht auch ist ... mein Herz erreicht diese dennoch nicht, denn Thorin ist noch immer ohnmächtig. Ab und an öffnet er zwar kurz seine Augen, aber sie starren mich nur leer und glasig an, bevor sie kurze Zeit später wieder in den Nebel der Besinnungslosigkeit verschwinden. Seine Wunden heilen nur langsam und durch die anhaltende Bewusstlosigkeit können wir ihm weder zu essen und nur wenig zu trinken einflößen, sodass sein Körper immer mehr an Stärke verliert. Die Dringlichkeit von Entscheidungen stuft sich zur Entlastung aller herab und sie werden gemeinschaftlich und nicht mehr alleingetragen getroffen, sodass ich mehr Zeit in seinem Krankenzimmer verbringen und ihn pflegen kann, so wie es eigentlich meine einzige Aufgabe sein müsste.

Eines Abends trete ich nach einem langen und beschwerlichen Tag, in dem wir den Wiederaufbau des zerstörten Haupttores besprochen haben, in das Konigsgemach. Zwielichtige Kerzenschattenspiele empfangen mich ... golden-bezauberndes Licht wo gefühlt nur schwarz-enttäuschende Dunkelheit herrscht. Leise gehe ich in das Schlafgemach und halte bewegt inne, als ich erkenne, wer mit dem Rücken zu mir gewandt an Thorins Krankenbett verweilt. Seitdem er als Teil des Trauerzugs den verletzten König in den Berg begleitet hat, habe ich Dwalin nicht mehr gesehen. Er zog sich in die Einsamkeit zurück, eingewebt in einen Kokon aus klebrigen Schuldzuweisungen und abgestumpfter Trauer ob des präsenten Todes seines Freundes, aus dem selbst sein Bruder ihn nicht befreien konnte. Auch wenn der bullige Zwerg mit den vielen sichtbaren Zeichen von Kampf und Leid auf der Haut, dem immer mürrischen Gesichtsausdruck und den wenigen Haaren gefährlich aussieht und man sich in seiner Gegenwart immer klein und schwach fühlt, nicht nur einmal konnte ich erfahren, dass in seinem Inneren eine Seele wohnt, die sanftmütig, ja fast empfindsam, ist.

Ich verweile weiterhin lautlos unter dem Türbogen, als ich gebrochene Worte in Khuzdûl vernehme, von denen ich nur ‚Sturkopf' und ‚sterben' verstehen kann. „Du gehst davon aus, dass Thorin einen viel zu großen Dickschädel hat um unehrenhaft in einem Krankenbett einzuschlafen ... nun, daran glaube auch ich ganz fest", sage ich schließlich und Dwalin zuckt erschrocken ob dem plötzlichen Einsetzen meiner Stimme zusammen. Verunsichert wirkend dreht er sich zu mir um, ganz so, als fürchte er ich könnte ihn schelten, weil er sich so lange seiner Pflichten entzogen hat und jetzt einfach an einem ihm nicht zustehenden Platz auftaucht. Aber als ich die Tränen in seinen Augen und die fahlen, betrübten Gesichtszüge erfasse, die von so viel Kummer und Gram sprechen, verzeihe ich ihm seine Abwesenheit und kann sie sogar nachvollziehen ... wollte ich mich doch auch mehr als einmal in den zurückliegenden Wochen in einer der tiefsten Minen verbergen, um einfach nur zu vergessen.

Langsam gehe ich auf ihn zu und streiche mit der Hand beruhigend über die muskulöse Schulter, spüre mit Sorge die dicken Verbände, von denen ich weiß, dass Oin sie ihm nicht angelegt hat und beschließe, sie bei Gelegenheit zu wechseln, damit sich seine Wunden nicht entzünden. In dem Versuch Trost zu spenden setze ich mich neben ihn und wir beobachten gemeinsam Thorins ruhigen ... zu ruhigen ... Schlaf ... behüten still den besinnungslosen König ... unseren Freund und Geliebten. Einzig das Knistern der herunterbrennenden Kerzendochte durchdringt unaufhörlich die Geräuschlosigkeit der Krankenwache. „Ich schwor seiner Schwester aufrichtig auf ihn aufzupassen und habe dieses Gelübde dennoch schändlich gebrochen", beginnt Dwalin schließlich erstickt und die Schuld und einhergehende Trübseligkeit blitzt in den Augen auf. Das nur allzu deutlich zu sehende verzweifelte Versuchen dennoch standhaft zu bleiben im schrecklichen Angesicht dieser Empfindungen, ist eine unerträgliche Plage für mein Herz. „Ich hätte ihm ungeachtet der Gefahr nachlaufen sollen, bereits als er sich von uns entfernte ... so wie du ... vielleicht, wäre die Situation dann eine andere. Abscheulich ist mein Versagen und wenn er stirbt, ist es wegen dieser entehrenden Pflichtverletzung."

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt