Smaugs Vermächtnis

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Hastig stürmen wir aus dem Berg, den wütenden Drachen Smaug hinterher. Dunkelrotes Blut zeichnet seinen Weg, genauso wie die völlige Verwüstung der Schönheit Erebors, die nur in namenloser Raserei hervorgerufen werden kann. Die kläglichen Reste des Eingangstores sind von ihm nun gänzlich zerstört worden ... überall liegen große Gesteinstrümmer herum und versperren teilweise unseren Weg, sodass wir erst mühsam über sie hinweg klettern müssen. Draußen auf der Ebene und in dem grauen Himmel darüber ist er nicht zu entdecken, also klettern wir auf den Rabenberg, von wo aus wir die komplette Landschaft überblicken können. Im Schein der bereits orangegelb aufgehenden Sonne breitet sich die Flusslandschaft mit dem Langen See an dessen Ende vor uns aus. In der Ferne können wir die Häuser der Seestadt erkennen und darüber, wie ein drohendes Mahnmal, beunruhigend nah den Drachen kreisen. Fassungslos, mit offenen Mündern und geweiteten Augen vor uns hinstarrend, müssen wir hilflos mit anschauen, wie er mit seinem feurigen Atem zuerst die Brücke, die die Stadt mit dem Land verbindet, in Brand setzt und damit die einzige Möglichkeit vernichtet, zu entkommen. Danach speit er seinen Feuerstrahl auf die hölzernen Häuser, die sofort in Flammen aufgehen. Der emporlodernde rot-flackernde Schein über der Stadt erhellt gespenstig die spärlich verbliebene Dämmerung.

„Wir müssen doch irgendetwas tun können?!", ruft Ori verzweifelt aus. „Und was? Selbst wenn wir uns jetzt aufmachen, werden wir erst in der Seestadt ankommen, wenn es schon viel zu spät ist. Wir können den Drachen nicht besiegen, er ist zu mächtig und kann mit keiner Waffe niedergestreckt werden, die wir besitzen", stößt Gloin rüde als Antwort aus. „Nein ... er ist nicht unverwundbar", werfe ich aufgewühlt sofort ein und alle Augen richten sich auf mich. „Er hat eine freiliegende Stelle an seinem schuppen- und diamantenbewährten Körper. Am Hals oberhalb seiner Brust, dort wo sein Feuer entspringt und wenn mich nicht alles täuscht, ist genau darunter sein Herz, das die Glut entfacht." Alle Zwerge, die diese Tatsache noch nicht wussten, starren mich sprachlos über diese Entdeckung an. „Und selbst wenn, wir haben keine Möglichkeit, das jemandem in der Stadt mitzuteilen!", entmutigt uns Balin hart und trauervoll und ich lasse mich niedergeschlagen über diese wahre und dennoch so bitter zu akzeptierende Tatsache auf einen Stein sinken.

Verzweifelt schlage ich die Hände vor dem Gesicht zusammen und betrauere diese verfluchte Hilflosigkeit, zu der wir verdammt sind. Der Wind trägt bereits den Geruch von verbranntem Holz, Fleisch und Haaren und den unheilvoll hallenden Klang der Turmglocke von der Seestadt zu uns herüber. Die ekelerregende Mischung aus Feuertod und Verderben kriecht unbarmherzig in meine Seele und lässt mich jegliche Hoffnung verlieren. Aber plötzlich vernehme ich erneut ein zartes Flügelschlagen und als ich mit tränennassen Augen aufschaue, flattert die kleine Drossel aufgebracht um mich herum. Ich strecke meine Hand nach ihr aus und sie lässt sich wie selbstverständlich auf meinen Finger nieder und zuckt aufgeregt mit ihren Flügeln. „Eine Drossel ...", haucht Thorin leise neben mir, um sie nicht zu verschrecken, und kniet sich zu mir herunter. „Sie ist mir schon ein paar Mal begegnet, immer dann, wenn ich die Zuversicht bereits aufgegeben habe", antworte ich ebenso flüsternd und lasse einen Finger über das schimmernde Gefieder streichen. „Meine Vorfahren haben seit Generationen die Drosseln dieser Gegend gezähmt. Sie waren langlebige Zaubervögel, mutig, intelligent und nützlich. Die Menschen von Thal verstanden früher ihre Sprache und ließen sie mit Botschaften zur Seestadt und anderswohin fliegen. Vielleicht ist sie eine der letzten ihrer Art und möchte uns helfen", erzählt er mir andächtig und ich schaue den kleinen Vogel noch ehrfürchtiger als vorher an. „Meinst du, es gibt noch Menschen in Esgaroth, die die Drosselsprache verstehen können?", frage ich aufgeregt, denn in meinem Kopf entwickelt sich zögerlich ein Plan ... eine Funken Hoffnung in der dunklen Hoffnungslosigkeit. „Das weiß ich nicht ... aber möglich wäre es durchaus, denn es befinden sich auch Nachfahren der Einwohner von Thal unter ihnen", erwidert er und die Drossel beginnt wie zustimmend zu singen.

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt