Ghivashith

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Fast zwei Monate später, die ersten Blätter der Bäume werden unlängst schattenhaft von den Farben des Herbstes überzogen, stehe ich gedankenversunken auf dem Wehrgang. Der bereits frische Spätsommerwind weht über die Ebene, wirbelt die letzten blass-verwelkten Blütenblätter auf und verfängt sich in den offenen Haaren. Die Sonne, in ihrem Zenit stehend noch immer kraftvoll und wärmend, lässt die Dächer der prächtigen Häuser von Thal in naher Ferne wie pures Gold leuchten. Aber ich sehe die Wunder der Umgebung nicht, fühle nicht die Sturm und Regen und vergehende Vegetation in sich tragende Brise, die das Ende des Sommers immer drastischer ankündigt ... denn zu sehr bin ich mit meinen Gedanken über die Tatsache, die ich schon seit einigen Wochen vermute und seit wenigen Tagen immer mehr zur Gewissheit geworden ist, beschäftigt. Krampfhaft krallen sich meine Finger um die steinerne und reich verzierte Balustrade, als ich über die gewaltige Bedeutung für unsere Zukunft nachdenke. Mit bereits tränenverschleierten Blick schaue ich auf, zu dem in der Luftströmung wehenden Banner neben mir, der mit dem Wappen Durins geschmückt ist ... Hammer, Amboss und Krone unter sieben Sternen, die für die sieben Sippen der Zwerge stehen. Oh was für eine Schande ich diesem ehrenvollen Volk doch bringe ...

„Meine Königin ...", höre ich plötzlich Balins so vertraute sonore Stimme aufbrummen, aber ehe ich mich zu ihm umdrehen möchte, wische ich mir mit dem Handrücken die brennenden Tränen von den Wangen. „... hier seid Ihr. Ihre Majestät wünscht Euch in Euren Gemächern zu sprechen", informiert er mich hochachtungsvoll, aber seine Augen werden sofort weicher, als er das kummervolle Gesicht sieht, das sich bei allem Willen nicht unter dem erzwungen-herrschaftlichen Lächeln verstecken lässt. „Ist alles in Ordnung?", fragt der alte Zwerg augenblicklich und kommt näher. Ich bin noch zu aufgewühlt, um ihn mehr als ein zaghaftes Nicken als Antwort zu geben. „Wirklich?" Die Vermutung auf einmal wieder so herzerwärmend väterlich ausgesprochen wie früher, als ich noch nicht seine Königin war und uns allein eine tiefe Freundschaft verband, die in der letzten Zeit nur schmerzlich selten zwischen steifen Zeremoniell und gewaltigen Verpflichtungen hervorlugte. „Bil, Kindchen, ich kenne dich nun schon so lange und merke, wenn dich etwas bedrückt ...", flüstert er und legt mir freundlich eine warme Hand auf die Schulter. Ich sehe zu ihm auf und als würde der wundervoll herzliche Ausdruck in seinen Augen alle Empfindungen in mir um ein hundertfaches verstärken, breche ich nun vollends in Tränen aus.

Klagend und widerstandslos lasse ich mich in die fürsorgliche Umarmung ziehen und vertrauensselig den bebenden Körper halten. „Ich glaube ... ich trage ein Kind ...", presse ich schließlich zwischen Wimmern und Schluchzen hervor und merke, wie ein erstaunter Ruck durch Balins Körper geht. Ungläubig entfernt er sich von mir, sieht mich verwundert an, blinzelt mehrmals in dem verzweifelten Versuch, das eben gehörte zu verarbeiten. „Aber ... aber das ist doch wundervoll ... das Haus Durins erhält einen Erben", stößt er letztendlich überrascht und komischerweise freudig aus, aber ich schüttle nur energisch den Kopf. „Nein ... das ist eine Katastrophe ... eine Schmach für Thorin und sein Geschlecht ...", wimmere ich noch immer verzweifelt. „Wenn es ein Knabe wird ... dann erhält er das Anrecht auf den Thron ... Ein Mischling als Thronerbe ... was für eine Demütigung ... Ich war zu unvorsichtig, zu sorglos ... und jetzt wir mich Thorin verachten", erkläre ich die unerträglichen Zweifel, den Grund für den schmerzlichen Gefühlsausbruch und verberge das tränennasse Gesicht in den Händen.

Balin zwingt mich allerdings energisch dazu ihn wieder anzusehen, indem er meine zitternden Schultern umfasst und sein Blick ist so weich und frei von jeglichem Vorwurf, Zwiespalt oder Kummer. „Darüber machst du dir also Gedanken ... ach mein liebes Kind", sagt er herzlich, verbannt eine Handvoll der nicht enden wollenden Tränen von der glühenden Wange und lächelt mich warm an. „Glaub mir, Thorin ist nicht unbesonnen in dieser Hinsicht. Als er dich zu seiner Königin erwählte, war ihm durchaus bewusst, dass aus eurer Verbindung ein Kind entstehen könnte und von Anfang an hat er dieses angenommen ... sich darauf gefreut. Er hat schon früh Vorbereitungen getroffen, dass euer Nachfahre die uneingeschränkten Rechte eines Reinblütigen innehaben wird. Das offizielle Hausrecht des Königsgeschlechts der Langbärte ändert man nicht einfach ohne sich seiner Sache vollumfänglich sicher zu sein, als so fanatisch, was Tradition und Erbe betrifft, müsstest du uns bereits kennen."

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt