Erinnere dich ...

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Retrospektive Thorin

Der Schmerz der Wunde, die mir Azog zugefügt hat, ist allgewaltig und zermürbt unerbittlich die Geisteskraft. Jeder Muskel, jede Sehne jault vor Folter und Überanstrengung, als ich versuche seiner Klinge erneut zu entkommen, indem ich mit Orcrist und aller verbliebenen Gewalt gegen sie halte. Aber ich merke, wie meine Kraft nachlässt ... wie ich wenig ausrichten kann gegen den Willen und die Stärke eines Geschöpfs des Dunkels, das Jahrzehnte auf die Erfüllung seiner Phantasie hingearbeitet hat. Und der Plan, der in meinem von der Tatsache eingenommenen Hirn Gestalt annimmt, ist Wahnsinn und Sachlichkeit zugleich.

Die Spitze der Stichwaffe zielt auf meine Lunge ... wenn sie mich durchbohrt, bleiben mir gefühlte Sekunden um mich gegen ihn zu wehren ... Wimpernschläge, in denen ich die Schwäche des Triumphes ausnutzen kann, um seinem Leben ebenfalls ein Ende zu setzen, in Vergeltung und Blutrache ob der Missetaten an meinem Volk. Ich schließe kurz die Augen und sehe den einzigen Grund vor mir, der mich davon abhalten würde es hier und jetzt zu beenden. Unter braunen Locken aufsehende himmelblaue Augen ... volle Lippen, die sich zu einem bezaubernden Lächeln verziehen ... ein scharfer Verstand, an dem ich mich schon so oft in süßer Pein geschnitten habe und ein Herz, voller Gefühl und Mut. Bei Mahal, wie ich sie und ihre Liebe und Wärme vermissen werde in der Ewigkeit der einsamen Hallen ...

Aber ich als ich wieder aufschaue, Azog mit einem Blick fixiere, der allein schon töten könnte, und gerade mit aller Entschlossenheit Orcrist zwischen uns entferne, sehe ich einen Schatten gegen den gewaltigen Körper meines Erzfeindes prallen. Nur allzu bekannt, klein und zierlich schafft er es dennoch, das schwere Geschöpf von mir wegzuschleudern, bevor die Klinge ihr verheerendes Ziel erreichen kann. Ich stoße die unbewusst angehaltene Luft aus und drehe mich in die Richtung, in die die beiden Gestalten aus meinem Blickfeld verschwunden sind. Und tatsächlich ... es ist mein Hobbit ... Geliebte ... Königin ... Fixstern der Hoffnung ... die sich unerschrocken Azog entgegenstellt.

Ich versuche mich aufzurichten ... ihr zu Hilfe zu eilen, damit der Hass der Kreatur sie nicht vernichten kann ... aber der hinunterziehende Schmerz der tiefen Wunde an meiner Seite hält mich auf dem Boden gefangen. Einzig was mir bleibt in der Einflusslosigkeit: die in Ehrfurcht eingefasste Bewunderung ihrer heroischen Gestalt. Im Wind wehende Haare, verklebt durch Blut und Schweiß ... ein entschlossener und selbstsicherer Griff streckt das elbische Kunstwerk unserem Feind entgegen ... die Haltung, unbeugsam und kriegerisch, perfekt ausbalanciert, so als ob sie nie etwas anderes getan hat. Und dann greift Azog an ... furchterregende Wut und alles einnehmende Verbitterung in den Augen und Handlungen. Aber sie ist schnell und wendig ... leichtfüßig weicht sie ihm geschickt aus ... entgeht jeder direkten Konfrontation mit der unermesslichen Gewalt.

Ich habe sie einst halbherzig trainiert, weil ich dachte, ein so winziges Geschöpf könnte niemals alleine etwas gegen die Gefahren der Welt ausrichten. Allerdings, nicht nur auf dem Schlachtfeld, hat sie ihre Fähigkeiten bis jetzt mehr als nur unter Beweis gestellt. Aber dann ... kann Azog sie dennoch verletzen. Tiefrotes Blut rinnt augenblicklich von den zitternden, den Schaft ihres kleinen Schwerts umschließenden Fingern.

Und es ist dieses schon einmal gesehene Bild, dass mein Herz zu Gletschereis erstarren lässt. Damals in der Finsternis und Mystifikation des Düsterwaldes, als ich sie vor mir sah ... als Kriegerin, mit dem blauschimmernden Schwert in der Hand und dem vielen Blut um sie herum ... ihrem Blut ... wie es aus tropfenden Wunden fiel auf das unschuldige Weiß des Schnees. Der vorhergesehene Ausgang dieser Erscheinung schießt wie ein glühendes Purgatorium durch meinen Körper und verbrennt das Herz. Ich schreie ihren Namen und Flüche und Gebete in die frostklirrende Luft und versuche mich verzweifelt aufzurichten, aber es sind nicht die zahlreichen, tiefen Verletzungen und die überlegene Erschöpfung, die mich zum Nichtstun verbannt auf der Eisfläche kauernd gefangen halten. Wie einst in der Halluzination, reißt eine Macht ... dunkel und furchterregend stark ... an meinen Gliedern, so als ob sie möchte, dass der Grund meines Lebens stirbt.

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt