Verderben und Gedeihen

222 11 2
                                    

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Retrospektive Ori

„Ori ... Ori, mellon ... cuiva ..." Selbst der vertrauten, so erlesen klar und hell in Sindarin singenden Stimme gelingt es nur zögerlich und schwerfällig die schwarzen Nebelschleier, die beharrlich mein Bewusstsein umwoben halten, zu durchdringen. Ich versuche meine Augen zu öffnen, so wie sie es mir befiehlt, aber der unvermittelt einsetzende Schmerz an meinem Arm lässt mich zusammenzucken und gequält aufstöhnen. „Ist schon gut ... beren maethor", flüstert sie erneut und ich spüre zarte Finger über meine Wange streichen. Und erst jetzt finde ich die Kraft mich gänzlich aus dem Nebel zu lösen und schaue auf.

Schummriges Licht, gespendet von wenigen brennenden Kerzen an den Wänden empfängt mich. Geräusche des Sterbens ... leise verstummende Klageschreie und hohes trostloses Beweinen ... wabern wie schwerer Rauch durch das Halbdunkel. Der Gestank ist abscheulich ... ein Gemenge aus eitrig-süß und metallisch-blutig, versetzt mit starken, in der Nase stechenden Kräutern und diesem komischen, undefinierbaren Geruch von sauberen Verbänden, die langsam aber beständig mit Körpersäften durchweicht werden und an den Wundrändern kleben. Die grauende Atmosphäre von Kriegslazaretten ... selbst in dem abgelegenen Teil der großen Halle, in der die Krankenlager unsere Gemeinschaft liegen, ist sie deutlich und schreckensauslösend zu spüren.

Über mir schweben blaue, sorgenvolle Augen, gezeichnet von dunkler Trauer und trüber Erschöpfung und brechenden-schmerzvollen Erinnerungen. Sie erscheinen so ganz anders als die Blicke, die ich kenne. Früher waren sie voller Freude und Lebenslust, glänzten wie Diamanten, wenn sie mir von Überlieferungen ihres Volkes und den Traditionen erzählte, die so fremdartig sind im Vergleich zu den Unseren, und die diesen wundervollen Ausdruck bekamen, wenn sie mir, hoffentlich außerhalb der Hörweite der anderen Zwerge, Sindarin beibrachte.

Bil beugt sich zu mir hinunter und lässt die Finger prüfend über die Stirn fahren. „Dein Fieber ist gesunken, Aule hab dank", flüstert sie und es stiehlt sich doch tatsächlich ein kleines Lächeln auf die spröden Lippen, während sie sich bleiern und abgekämpft wirkend auf den Stuhl neben meinem Krankenlager fallen lässt. Ich versuche zu sprechen, aber kein Ton kommt aus der trockenen Kehle. „Wasser?", fragt sie mich sofort und ich erschaudere vor der vorbehaltlosen Fürsorglichkeit, während ich leicht nicke und sie mir sofort einen Becher reicht.

Unsere Mutter starb bei meiner Geburt, unser Vater ließ meine Brüder und mich allein zurück in Elend und Treuer. Die Herrscherfamilie nahm uns schließlich in Verantwortungsgefühl auf, gab uns drei Unterkunft, Nahrung, Schutz, ermöglichte uns Bildung und ein Leben in Sorglosigkeit. Aber die aufopferungsvolle Pflege einer Mutter konnte ich nie spüren. Nori und Ori versuchten sie mir zu ersetzen zu gut es ihnen möglich war. Verbrachten albtraumbegleitete Nächte an meiner Seite, umsorgten mich, wenn ich krank war ... aber das Hegen einer Frau, ist etwas ganz anderes, wie ich jetzt feststellen muss.

Bil zieht eine Schüssel mit dampfenden, kräuterversetzten Wasser heran und beginnt den verschmutzten Verband am Arm zu lösen. „Deine Wunde sieht schon besser aus", bemerkt sie schließlich, als alle Lagen entfernt sind und taucht ein Tuch in die stark nach Ringelblumen und Kamille duftende Flüssigkeit. Als sie es ausringt, bemerke ich, wie ihre Hand zittert und sie aussichtslos danach strebt ein schmerzverzerrtes Gesicht hinter vorfallenden Haaren vor mir zu verbergen. Ich sah nach der Schlacht vereinzelte tiefe Wunden und vermutete unter blutgetränkten Stoffen unzählige weitere. Jede Einzelne davon ist in Edelmut entstanden und ich hoffe wirklich, dass keine bleibende Schäden hervorrufen wird.

Die Tinktur brennt, auch wenn sie versucht so behutsam wie nur möglich die Wunde damit aus zu waschen. Achtsam wandern sanfte, wenn auch klamme Finger über die Haut, der Blick starr auf die wichtige Aufgabe konzentriert ... aber dennoch sehe ich in der kraftlosen Haltung und an den fahlen Schatten, die den einst so reinweißen Teint überziehen, wie erschöpft sie ist und das eine bleierne Müdigkeit an Körper und Geist zieht. „Wie geht es Thorin?", bringe ich schließlich unter großer Anstrengung die brennend-heiße Frage hervor und sie stockt augenblicklich in der routinierten Bewegung. Die Augenlider zittern und senken sich schließlich, in den verzagenden Versuch die sich glitzern ankündigenden Tränen zurückzuhalten. „Unverändert", flüstert sie nach einem Moment der erdrückenden Stille und der Kummer, der die tränenreiche Stimme durchrinnt, ist beinahe zu viel für mein Herz.

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt