Durinstag

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Am nächsten Morgen laufen wir weiter und das Land um uns herum wird noch öder und kahler, je näher wir den ersten Ausläufern des Berges kommen. Nur vereinzelt zeugen verkohlte Baumstümpfe und knochige, rußgeschwärzte Büsche davon, dass es hier einmal Vegetation gegeben haben muss. Es ist unheimlich still, kein Vogel ist zu hören, nur der kalte Wind, der über die Ebene heult und kleine Staubwolken aufwirbelt. „Einst waren diese Lande grün, fruchtbar und voller Leben", berichtet Balin tiefsinnig neben mir, als er meinen traurigen Blick im Angesicht dieser bedrückenden Ödnis bemerkt. „Von überall her erklangen die Gesänge der Vögel von den grünen Bäumen, geschäftige Handelszüge zwischen der Seestadt und Thal brachten Waren aus ganz Mittelerde, die Luft war erfüllt mit Lachen und heiteren Stimmen ... aber jetzt, ist es nur noch Smaugs Einöde." Seine Augen werden zornig und traurig zugleich, als er sich an den Tag erinnert, als der Drache das Alles zerstörte.

Vom grauen Himmel fallen die ersten Schneeflocken und bleiben auf unseren Umhängen liegen. Ich strecke meine Hand aus, um eine von ihnen aufzufangen ... kalt und nass schmilzt sie sofort und hinterlässt eine Ahnung, wie hart der kommende Winter, der sich immer mehr ankündigt, sein wird. Wie aus dem Nichts höre ich plötzlich das Schlagen von kleinen Flügeln neben mir und als ich mich umdrehe, sehe ich eine kleine Drossel, die gerade auf einem Stein landet und mich interessiert betrachtet. Ihre braun-grünen Flügel und der rote Schwanz zucken aufgeregt und plötzlich beginnt sie zu singen ... einen zarten Ton, der hoch beginnt und dann langsam immer leiser wird ... er scheint so vollkommen unpassend in dieser unwirklichen Landschaft und lässt mich leicht lächeln.

Unser nächstes Nachtlager schlagen wir am Fuß des westlichen scharfen Bergrückens auf, der in einer Anhöhe endet, den sogenannten Rabenberg, auf dem früher einmal ein Wachposten Stellung bezogen hatte. Aber jetzt stehen hier nur noch die Ruinen von Türmen und Häusern und sind weitere Zeugnisse der Zerstörung durch den Drachen und der unbeherrschbaren Zeit. Das Wasser des Flusses, der hier besonders wild und ungestüm über spitze Felsen sprudelt und sich mit einem Wasserfall vom Bergrücken vereinigt, erstarrt bereits stellenweise zu Eis. Der pfeifende Wind und das Plätschern des Wassers begleitet mich in einen traumlosen Schlaf, aus dem ich aufschrecke, als ich leise polternde Geräusche, vermischt mit gezischten Schimpfworten auf Khuzdûl, vernehme. Denn in den vielen Monaten des Übernachtens unter freiem Himmel, bin ich unglaublich hellhörig geworden, oft bedarf es nur eines geflüsterten Geräusches, damit ich erwache.

Ich starre in die mich umgebene Dunkelheit, die nur flackernd von dem brennenden Feuer durchbrochen wird und im Schein der Flammen, kann ich neben mir schemenhaft die Gestalt von Thorin ausmachen. Vorsichtig richte ich mich auf und spreche ihn an. „Thorin ... was tust du denn da?", frage ich flüsternd, um die Anderen nicht zu wecken, und er dreht sich erschrocken zu mir um. „Ibzig zu! ... Verzeih mir, ich hatte nicht beabsichtigt dich aufzuschrecken ... ich habe mir nur die Hand etwas verbrannt, als ich die Pfanne wegräumen wollte", erklärt er kleinlaut und ich muss erheitert schmunzeln. „Warum versucht Ihr Euch auch plötzlich an Hausarbeit, Hoheit", stoße ich leise lachend aus und ernte daraufhin einen empörten und grimmigen Blick. Aber keineswegs davon eingeschüchtert, stehe ich noch immer leise kichernd auf und trete auf ihn zu. „Lass mich mal sehen ...", sage ich sanft und greife nach seiner Hand, aber er entzieht sie mir sofort. „Thorin ... lass mich die Verbrennung ansehen ...", fordere ich mit fester Stimme und eindringlichen Blick und tatsächlich streckt er sie mir ohne einen erneuten Einwand entgegen ... so langsam diszipliniere ich ihn schon zu einem gehorsamen Patienten.

Behutsam lasse ich meine Finger über die gerötete Stelle wandern, fühle die brennende Hitze, die davon ausgeht und ziehe ihn ohne ein erklärendes Wort hinter mir her in Richtung Fluss. „Bil ... was hast du vor?", fragt er mich aufgewühlt, verweigert mir aber seine Hand nicht noch einmal. Langsam knie ich mich an das Flussufer und kann ihn fast widerstandslos zu mir herabziehen. Achtsam lasse ich das eiskalte Wasser aus meiner Handfläche über die Verbrennung fließen und Thorin zuckt angesichts des Schmerzes leicht zurück. „Ich weiß ... es sticht ein wenig, aber wir müssen die Verbrennung kühlen ...", erkläre ich ihm sanft, obwohl ich mir sicher bin, dass ein Zwerg, der sein Leben lang mit Feuer und Hitze zu tun hatte, so etwas wissen muss. Thorins Entgegenwirken erstirbt und ich spüre seine dankenden Augen regelrecht auf mir ... funkelnd und so voller Zuneigung, rufen sie trotzdem ich sie nicht sehen kann, einen wohligen Schauer hervor, der kribbelnd über meinen Körper läuft. Als ich das Gefühl habe, die Brandwunde lange genug gekühlt zu haben, lasse ich ihn deshalb sofort los und möchte mich entfernen. Aber ohne mir auch nur den Hauch einer Chance dafür zu lassen, umschließt er meine zitternden Glieder mit seinen Händen und hält mich zurück ... groß und kräftig und so behaglich warm ... verlieren sie sich förmlich in seiner sanften Umklammerung.

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt