Der Pfad, der uns in die Berge führt, ist noch immer von den grünen Wiesen umgeben, die auch in Bruchtal vorherrschten. Bereits am Ende des ersten Tages haben wir den Beginn des Passes erreicht, der uns halbwegs sicher über das Nebelgebirge bringen soll. Im Schutz zweier zerklüfteter Hügel, die uns vor unerwünschten Blicken verbergen, machen wir Rast für die Nacht, die sich nur langsam über die Landschaft legt. Wir sind guter Dinge und bereiten uns ein üppiges Abendmahl aus den reichlichen Vorräten zu, die wir aus Bruchtal mitnehmen durften.
Danach geht jeder einem Zeitvertreib nach. Einige der Zwerge spielen Karten, während andere ihre Pfeife stopfen und sich angeregt über die Elben unterhalten, sowie sich allerhand Mutmaßungen über die Schrecken und Gefahren erdenken, die uns auf dem Pass erwarten könnten. Um mich nicht jetzt schon zu ängstigen, beschließe ich einen kleinen Spaziergang zu machen, so wie es im Auenland auch gerne nach dem Essen gehandhabt habe. Mein Weg führt mich auf eine kleine Lichtung, auf der ich Thorin und seine Neffen entdecke. Kili sitzt am Waldrand Pfeife rauchend, mit angezogenen Beinen im Gras und beobachtet seinen Bruder, der gerade mit seinem Onkel den Zweikampf mit dem Schwert übt. Ich lasse mich neben ihn in das weiche Grün fallen und schaue den beiden kämpfenden Zwergen ebenfalls ein wenig zu. Thorin führt schließlich eine geschickte Parade aus, mit der er Fili entwaffnet und kampfunfähig macht. Anschließend sagt er im bereits vertrauten Khuzdûl einige Worte und klopf ihm aufmunternd auf die Schulter, bevor sie von neuem beginnen.
„Euer Onkel hat euch wirklich sehr lieb", sage ich leise an Kili gewandt, der leicht lächelnd über meine Feststellung den Kopf senkt. „Nachdem unser Vater gestorben ist ... Fili und ich waren noch sehr klein damals ... hat er sich unser angenommen. Er behandelt uns wie seine Söhne und tut alles dafür, dass wir würdige Nachfolger für den Thron Durins werden." Seine Stimme klingt traurig, als er den Tod seines Vaters Víli anspricht und ich kann ein verräterisches Glitzern in seinen Augenwinkeln entdecken. Balin hat mir einst erzählt, dass er auf einer Erkundungstour von Orks überfallen wurde und nach tagelangen Qualen einsam in der Wildnis starb. „Unsere Mutter war nicht gerade begeistert, als Thorin uns mit auf diese Reise nehmen wollte. Sie zerbracht am Tod unseres Vaters und würde es wohl nicht überleben, wenn wir ebenfalls nicht zurückkommen würden." Ich lege trostspendend eine Hand auf sein Knie. „Ich glaube, da muss sie sich keine Sorgen machen, sie unterschätzt euer Kriegsgeschick, das ihr von eurem Onkel gelernt habt", sage ich aufmunternd, mit einem vielsagenden Kopfnicken in Richtung Thorin und Fili und erhalte ein befreites Lächeln von ihm.
„Bil! Komm, jetzt bist du dran!", zieht Thorins Stimme, die über die Ebene zu uns dringt, plötzlich unsere Aufmerksamkeit auf ihn. Ich schaue ihn ungläubig und erschrocken an. „Ich ... Thorin ... das kannst du nicht ernst meinen ...", kommt es stotternd aus meinen Mund. „Doch das meine ich", winkt er meinen Einwand heftig ab. „Jetzt wo du ein Schwert hast ... wenn man es denn so nennen will ... wirst du auch lernen müssen damit umzugehen. Die Gegenden, die uns erwarten, sind gefährlich und du nützt uns mehr, wenn du wenigstens ein paar Angreifer abwehren kannst, sodass wir und nicht um dich sorgen müssen." Er winkt mich auffordernd zu sich und unumgänglich muss ich nachgeben.
Ich stelle mich mit gezogenem Schwert ihm gegenüber und fühle mich geradewegs lächerlich, so unbeholfen wie meine Haltung wirken muss. Angespannt schaue ich ihn an. „Hast du eigentlich schon einmal eine Waffe in der Hand gehalten?", fragt mich Thorin direkt, als er meine Scheu bemerkt und ich schüttle unsicher meinen Kopf. „Na gut, dann erst einmal die Grundkenntnisse." Er lässt Orcrist in die Scheide gleiten und setzt sich langsam in Bewegung. Einschätzend umkreist er mich und platziert sich schließlich hinter meinen Rücken. „Stehe mit deinem linken Fuß zum Gegner und den anderen im rechten Winkel etwa zwei Fußlängen dahinter. Lass die Knie leicht gebeugt, so hast du einen festen Stand und kannst Angriffe leichter parieren." Ich versuche seine Anweisungen Folge zu leisten und als ich nach seiner Meinung nach richtig stehe, greift er nach meinem Arm. „Du hältst das Schwert mit beiden Händen fest und lässt es dicht an deinen Körper entlang nach hinten unten zeigen." Thorin lehnt sich an mich und bettet seine Hände wie selbstverständlich auf meinen Hüften. „Wenn du angreifst, gehst du einen Schritt nach vorne, drehst deinen Körper und holst aus, sodass du den Gegner von unten nach oben triffst. Damit kannst du auch gut Angriffe von oben abwehren." Er übt leichten Druck aus und drängt mich nach vorne. Ich atme unbewusst scharf ein, als ich sein Becken deutlich an meinem spüren kann. Selbst während der Nacht kommen wir uns nicht so nahe wie jetzt. Mein Herz beginnt unbewusst schneller zu schlagen und scheint mir fast aus der Brust springen zu wollen. Eine ungekannte Wärme steigt in meinem Inneren auf und durchflutet ihn mit einem namenlosen Gefühl, das ich weder verstehe noch beschreiben kann. Ob ihm überhaupt bewusst ist, was sein Verhalten mit mir anstellt?!
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Die kleine Hobbitfrau
Hayran KurguIn einem Loch im Boden, da lebte eine Hobbitfrau... Bil führt ein genügsames, ruhiges Leben ... bis sie eines Tages ein alter Bekannter aufsucht und sie zusammen mit 13 Zwergen in ein höchst gefährliches Abenteuer verwickelt, in dem sie letztendlich...