Orte der Erinnerung

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Nachdem ich vollständig genesen bin, erkunde ich oft alleine die Seestadt. Die einfachen Bürger, größtenteils Fischer, Krämer und Handwerker, nehmen mich herzensgut auf und erfreuen sich an den Geschichten, die ich über unsere Reise und mein Leben im Auenland zu erzählen habe. Besonders die Kinder kann ich mit der Erzählung über die Gefangennahme durch die Trolle, den Aufenthalt im Bruchtal und die Reise durch den Düsterwald, immer wieder aufs Neue erstaunen. Die Dämmerung beginnt sich bereits über den herbstlich blauen Himmel zu legen, als ich gerade über einen langen Steg spaziere, der von den Werkstätten der Arbeiter auf der einen und auf der anderen Seite von Bootsanlegern gesäumt ist und zum Marktplatz zurückführt, als ich plötzlich Bard entdecke. Seine Augen verfinstern sich sofort zornig, als er mich erblickt. „Sieh einer an ... der Hobbit aus dem Auenland ... ich hoffe, Ihr seid wieder geheilt", sagt er dennoch freundlich lächelnd, aber ich kann die Bitterkeit aus seiner Stimme heraushören. Ich nicke ihm bejahend und mit einem versöhnlichen Lächeln zu. „Bard, ich weiß nicht, warum Ihr gegen Thorins Vorhaben Einwände habt, aber ich kann Euch versichern, dass wir alles tun werden, um diesen Drachen zu besiegen", versuche ich seinen Unmut zu entkräften, denn komischerweise ist mir seine Meinung über unser Unterfangen von großer Wichtigkeit.

Bard schnauft verächtlich aus und lädt ein weiteres Bündel Holz auf sein Boot. „Eure Loyalität zu ihm in allen Ehren, Fräulein Beutlin, aber die Liebe zu Schätzen ist den Zwergen wertvoller als irgendwelche Versprechungen ... besonders, wenn es sich um einen Nachfahren Durins handelt." Ich schaue ihn fragend ob dieser unehrenhaften Aussage an und er hält resignierend ausschnaubend in seinem Tun inne. „Wisst Ihr, schon damals hätte der Drache besiegt werden können ... mit der Hilfe der Elben aus dem Waldlandreich", beginnt er mir betroffen zu erläutern und steigt in das wackelnde Ruderboot. „Aber Thrór hatte diese in seinem Wahnsinn verärgert, indem er seine Versprechungen ihnen gegenüber nicht gehalten hat ... und damit uns alle ins Verderben gestürzt ... das weiß jeder, deren Vorfahren einst in Thal gelebt haben." Ich schüttle verärgert über seine Worte den Kopf, kann jetzt aber auch Thranduils grollende Abneigung endlich nachvollziehen. „Aber Thorin ist anders ... er ist nicht wie sein Großvater", stoße ich aus, voller Gewissheit und Glaube an meine Worte. Bard schaut mich daraufhin allerdings fast mitleidig an. „Das hoffe ich wirklich, Fräulein Beutlin ...das hoffe ich wirklich ... für ihn und sein Gefolge ... für uns ... und vor allem für Euch", erwidert er mit trauriger Stimme und stößt sich vom Steg ab.

Nachdenklich kehre ich wieder in unsere Unterkunft zurück und verweile noch immer zweifelnd bei Bards Aussage, als ich in den großen Gemeinschaftssaal treten will. „Habt ihr bemerkt, wie er sie immer betrachtet und fast wie zufällig berührt ... unerhört finde ich das ...", höre ich Glóins Stimme aufgebracht reden und halte sofort verborgen hinter dem Türrahmen inne. Ich möchte meine Gefährten nicht belauschen, besonders, da mir mehr als mein Gefühl sagt, dass es um mich geht ... aber bewegen, kann ich mich auch nicht, so als ob eine verräterische Macht mich auf meinen Platz hält. „Ja ... und diese innigliche Vertrautheit und wie er sich während ihrer Krankheit um sie gekümmert hat ... empörend ... Bei Durins Bart, er ist der König und sollte ihr nicht so ersichtlich irgendwelche Liebenswürdigkeiten zukommen lassen ...", fällt nun auch Oin ein und ich kann Hass und Verachtung in seinen Worten mitschwingen hören.

Mein Atem beginnt sich zu beschleunigen und ein Klumpen bildet sich in meinem Inneren, der mir fast die Besinnung raubt, so sehr lastet er auf meinem Herzen. „Ich bitte euch ... ihr kennt Thorin doch ... wenn er sich etwas in den sturen Kopf gesetzt hat, dann kann Nichts und Niemand ihn davon abbringen. Außerdem tut sie ihm gut ... Habt ihr nicht die Veränderung an ihm gesehen, seitdem sie bei uns ist?" Balins besonnene und einfühlsame Stimme beruhigt mich ein wenig, auch wenn sie den dunklen und schweren Schatten, der versucht unbarmherzig mein Dasein zu umhüllen, nicht mehr aufhalten kann. Als mir Tränen in die Augen treten, löst sich meine Starre plötzlich. Aber nachdem ich mich hastig umgedreht habe, stoße ich mit Thorin zusammen, der wer weiß wie lange schon dort steht und ich befürchte, dass er alles mit anhören musste. Seine Hände umschließen sanft meine Schultern und sein Blick ist sorgenvoll auf mich gerichtete, als er die Nässe bemerkt, die sich verdächtig in den Augenwinkeln sammelt. „Sie ist seiner dennoch unwürdig ... schon allein, wie sie sich niederträchtig Vertrauen und Gunst erschlichen hat ... schändlich für ihn und unser Haus diese Verbindung ... ein Hobbit, der lediglich von einem nominellen Herrscher abstammt und weder gebührenden Rang noch Titel besitzt" Thorins Augen verdunkeln sich zornig ob dieser erneuten herabwürdigenden Aussage von Glóin. „Jetzt reicht es mir!", knurrt er aufgebracht, strafft einschüchternd seine Haltung und will bereits in den Saal treten, aber ich halte ihn zurück.

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt