Im Schatten der Gedanken

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Kaum habe ich meinen Willen fest bekundet, erhebt sich Mandos. Schwarz und unheilvoll ist seine Erscheinung, mächtig die dunkle Aura, die von ihm ausgeht und sein Eintreffen auf dem einstigen Schlachtfeld kommt mir in Erinnerung. Begleitet von Todeshauch und Eiseskälte, finster und ungerührt von dem Flehen und Bitten der in Trauer Zurückbleibenden und Sterbenden, wenn er ihre Seelen in seinen Mantel aufnimmt um sie in seine Hallen zu begleiten, die noch nie ein lebender Sterblicher betreten hat.

Nur ein einziges Mal ließ er Gnade walten. Wurde von Mitleid ergriffen, als Luthien dereinst voller Trauer um ihren Geliebten Beren das schönste Lied für ihn sang, dass er jemals hörte, gebildet aus Leid und Kummer und der wahrhaftigen Liebe, die sie für ihn empfand. Ich senke Ehre erbietend und ängstlich Haupt und Augen nieder, als er vor mich tritt. Langsam hebt er die knöcherne Hand und sie kommt kalt, oh so eisig wie Gletscherkälte, auf meinem Kopf zum Erliegen. Und kaum, dass sie mich berührt, beginnt sich die Erstarrung des Todes in meinem Körper auszubreiten. Kriecht in jeden Muskel, jedes Blutgefäß, jeden Winkel des Daseins und lässt das Denken gefrieren. Einzig der kleine Drache in meiner Hand spendet Wärme ... das glühende Feuer der Hoffnung.

Als die Kälte so schnell wie sie sich ausdehnte verschwunden ist und ich die Augen wieder öffne, befinde ich mich zumindest gefühlt nicht länger in der Halle, in der der Ring des Schicksals einberufen wurde. Denn Dunkelheit umschließt mich. Undurchdringlich und still und plötzlich steigen entsetzliche Ängste in mir auf. Eine schauderhafte Furcht, die ich seit der Schlacht der fünf Heere nicht mehr empfinden musste. Bilder von tobenden Flammenmeeren, verstümmelten toten Leibern und qualvoll sterbenden Kriegern jeder Rasse materialisieren sich jählings in der Schwärze. Gläserne Augen, die starr und stumm die Ankunft der eigenen Seele in den Ewigen Hallen erblicken. Schreie und Wehklagen dröhnen in den Ohren und vermischen sich mit dem unerträglichen Flehen um Gnade.

Aber da ist auch Schönheit, wenn auch wenig. Nur ein reiner Funke in der verkommenen Abscheulichkeit des Leidens. Friedvoll verstorbene Wesen, schlafend erscheinend, wenn nicht das Fehlen der Atembewegung wäre. Fast idyllische letzte Momente eines langen erfüllten Daseins, die sich so essenziell von denen des grausamen Herausreißens aus mitunter erst wenigen vergangenen Lebensjahren unterscheiden.

Und das Leid, das Mandos über all die Zeitalter in sich aufnehmen musste, ist grässlich und erbarmungslos und damit kaum zu ertragen. Ich breche weinend zusammen, niedergedrückt von dem grausamen und unerbittlichen Tod, der mich umgibt. „Warum zeigt Ihr mir das?", jammere ich und versuche die Ohren vor dem Wehklagen zu verschließen, meine Seele zu schützen, die unter der Last der schrecklich-schönen Trauer zu zergehen droht. „Damit Ihr versteht, warum Mitgefühl eine Schwäche ist, die ich mir im Gegensatz zu meinen Brüdern und Schwestern im Geiste nicht erlauben kann. Jegliche Anteilnahme an dem Leid der Sterbenden würde mich zerstören, so wie sie Euch bereits nach wenigen Momenten zerrüttet."

Ich spüre seine kalte Hand an meiner Wange und augenblicklich verstummen Klagen und Schreie. „Aber dennoch vermochten Eure Worte Mitleid in mir zu Erwecken. Ich war es, der Euch die Chance auf die Erfüllung Eures Wunsches ermöglichte. Manwe ist weise und einflussreich, aber auch er besitzt nicht die Kraft über Leben, Tod und die Rückkehr zu entscheiden. Meine Hallen und die Verfügung über die darin Verweilenden sind ihm verwehrt ... schon immer ... ohne Ausnahme. Nehmt diese Möglichkeit als Anerkennung der Unverzagtheit und Stärke und wahrhaftigen Liebe, mit denen Ihr mir dereinst entgegentratet. Eine Belohnung dafür, dass Ihr die Aufnahme so vieler bereits zum Fallen verurteilter Seelen verhindert habt. Dass Ihr ihnen ermöglichte ein Leben voller Glück und Freude zu erleben. Denn das Sterben auf dem Schlachtfeld war nicht nur Thorin, sondern auch Fili und Kili von Eru vorbestimmt und wurde nur durch Euer Eingreifen verhindert ... das endgültige Erlöschen von Durins Linie wurde abgewendet ... durch Euch."

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt