Schmerzvolle Erkenntnis

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Ob Thorin weiß, dass mich seine Worte und Handlungen verletzen ... ob ihm überhaupt bewusst ist, dass ich die Entscheidung ihn irgendwann verlassen zu müssen nur zu seinem Wohl getroffen habe und sie mich ebenso foltert wie ihn? Er kennt nicht die Qualen, die ich erleiden muss ... wie es ist denjenigen den man liebt tagtäglich so nahe und dennoch so fern zu sein ... unerreichbar in Stellung und Bedeutung ... Wie es ist, seine Gefühle einsperren zu müssen, nur weil die Vernunft es einen befiehlt. Jede sanfte Berührung, jeder tiefe Blick aus eisklaren Augen, jede bedeutungsvolle Geste ... ein klaffender Messerstich im sterbenden Herzen. Er ist der König unter dem Berge ... was er begehrt ist sein ... Reichtum, Macht, Loyalität ... er hat mich in der Hand, könnte mir ob seiner unermesslichen Autorität befehlen bei ihm zu bleiben ... und ich würde es höchstwahrscheinlich sogar tun, egal wie langsam und quälend mich die entfernte Nähe zerstören würde. Aber er verlangt es nicht mehr von mir ... seitdem er diesen verfluchten Berg betreten hat, scheine ich ihm völlig egal zu sein ... genauso wie ihm das Befinden seines treuen Gefolges gleichgültig erscheint. Wie können ein Ort und ein Haufen glänzendes Metall innerhalb so kurzer Zeit nur so viel Macht über jemanden erlangen und ihn so verändern?

Kühl drängt sich der Stein an meinen Rücken, aber ich fühle die fast betäubende Kälte nicht, die von ihm ausgeht, so sehr bin ich mit meinen Gedanken beschäftigt. Nachdem Thorin mich mit seinen eiskalten Worten ... die schlimmer sind als jeder winterliche Frost ... allein gelassen hat, umgibt mich die Dunkelheit und Stille des Ganges. Stockend sehe ich in die Schatten vor mir ... die Geräuschlosigkeit, Leere und Düsternis dieser riesigen Hallen wirkt so bedrückend, so gefährlich, so verderbenbringend ... sie kommen mir vor wie ein Kerker, in dem man sich zwar frei und weitläufig bewegen kann, aber dennoch ganz langsam in den Wahnsinn gleitet vor Einsamkeit, Stille und Kummer. Ich unterdrücke ein Schluchzen, als mir klar wird, dass ich keinesfalls in einem solchen Gefängnis eingesperrt sein wollte und Thorin mir einst zärtlich flüstern versprach, dass er dies auch niemals zulassen würde. Damals, in der behüteten Sicherheit von Beorns Häusern, als wir uns in den Armen lagen und unsere Seelen für einen kurzen Moment füreinander öffneten. Ein Moment, der so weit entfernt zu sein scheint wie die Sterne.

Als ich mich schließlich ein wenig gefasst habe, suche ich Balin auf, der sich nach der Auseinandersetzung mit seinem König in die große Bibliothek zurückgezogen hat. Ihm, Ori und mir ist dieser Ort in den wenigen Tagen schon fast heilig geworden, denn hier kann man sich in eine Welt flüchten, die fernab von dem Wahnsinn ist, der sich unablässig in den übrigen Räumen ausbreitet und den wir alle immer mehr zu spüren bekommen.

Balin steht über einen großen Eichentisch gebeugt, sich lethargisch wirkend mit den Händen darauf abstützend. Vor ihm stapeln sich verstaubte Bücher, Schriftrollen, Pergamente und verschiedene Schreibutensilien auf ... achtlos zurückgelassene Dinge als der Drache kam. Als ich vorsichtig näher an ihn herantrete, bemerke ich, dass er tränenreich schnieft und mein Herz zieht sich augenblicklich quälend zusammen. Auf unserer Reise ist der alte gutmütige Zwerg zu einer geliebten Vaterfigur für mich geworden und es schmerzt mich unerträglich, ihn weinen zu sehen.

Drachenkrankheit nennt es sich ... ich habe ihren Ausbruch schon einmal beobachtet und gehofft, es nie wieder tun zu müssen", sagt er schließlich traurig, als ich neben ihn getreten bin. „Dieser leere, düstere Blick ... die Ruhelosigkeit ... das schreckliche Verlangen ... die Machtgier und Unfähigkeit das Fühlen anderer wahrzunehmen ... es bringt die schlechtesten Eigenschaften eines Wesens zutage und hat damals schon seinen Großvater in den Wahn getrieben." Balin wendet sich mir zu, die Augen klagend und gerötet von schmerzhaften Tränen und die darin zu erkennende Sorge über die Veränderung seines Freundes zermürbt auch mein Innerstes. „Weißt du Kindchen ... ich hatte mir so sehr gewünscht, dass sein Herz nicht mehr so anfällig dafür sein wird ..." beginnt er schwermütig zu erzählen und ich sehe ihn fragend an. „Früher, und auch noch die ersten Jahre nachdem der Drache kam und alles zerstört hat, da war Thorin anders ... er lachte viel mehr, war offenherzig und seine Familie und engsten Vertrauten waren ihm wichtiger als alles Gold der Welt ... Du konntest ihn sehen ... schemenhaft auf der Reise und in der kurzen Zeit der Klarheit, seitdem wir hier sind. Aber das viele Leid, das er die letzten Jahrzehnte immer wieder ertragen musste ... der Verlust, die Qualen, Schmerzen und Kämpfe ... sie haben sein Herz geschwächt ... es dadurch empfindlich für die Goldkrankheit werden lassen. Eine zerrissene Seele kann den Verlockungen des Goldes und der Macht nicht standhalten ... besonders nicht die eines Zwerges. Als er mir den Plan eröffnete, den Erebor zurückzuerobern, war mir das klar und ich habe mich davor gefürchtet ... gemutmaßt, dass er dem allem nicht gewachsen ist."

Die kleine HobbitfrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt