ᴍᴇᴍᴏʀɪᴇs

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Der Kreisel drehte sich noch immer und wirbelte immer wieder neue Bilder und Erinnerungen auf, als gäbe es kein Morgen mehr, sodass ich alles um mich herum ausblenden und mich einfach dem hingeben musste.

Das erste Bild zeigte ihn und mich.
Wie ich ihn an seiner Hand hinter mir her zog. Voller Energie und Lebensfreude auf dem Weg zu der kleinen Eisdiele in einer der kleineren Einkaufsstraßen, die man für üblich immer übersah. Meine Haare hüpften ein wenig, bei jedem meiner federnden Schritte und ich grinste so breit, dass ich einen Moment brauchte um zu verstehen, dass dieser kleine siebenjährige Junge in meinen Erinnerungen wirklich ich war.
Lauter positive Gefühle schwangen in jedem seiner... meiner Schritte mit und ich meinte sogar für einen kurzen Moment die warme Sommerluft auf meiner Haut zu spüren.

Damals war noch alles gut.
Siheon trug seinen weiten Mantel und seine leicht gelockten, schwarzen Haare waren weder fettig noch stumpf oder sonstiges, was man auf mögliche Aussetzer seiner selbst schieben konnte.
Er hatte mir ein Eis gekauft und sich mit mir in den Park gesetzt, damit wir die Enten des kleinen Teiches mit trockenem Brot füttern konnten.
Ich sah mich selbst lachen, als eine der kleineren Enten über ihre eigenen Füße stolperte und kopfüber zurück in den Teich fiel.

Am liebsten würde ich dieses Bild weiter erkunden, mich in dieser friedlichen Erinnerung verlieren, die ich durch all die anderen schrecklichen Ereignisse verdrängt hatte. Doch sobald ich auch nur einmal kurz blinzelte, verschwammen die Farben vor meinen Augen und liefen ineinander um ein neues Bild zu kreieren.

Es zeigte wieder mich. Ein bisschen älter mit kürzeren Haaren, aber dem gleichen breiten Grinsen auf dem Gesicht. Nur dieses Mal lenkte das erwartungsvolle Glitzern in meinen Augen meine Aufmerksamkeit auf den kleinen Jungen, der ich einmal gewesen war.

Mithilfe eines Stuhles aus der Küche hatte ich mich vor dem Fenster postiert und beobachtete die Einfahrt aufs Genauste. Ich wartete.
Diese Erinnerung war präsenter.
Es war der Tag, als Siheon nach Hause gekommen war, die dampfenden Teller mit Essen, welche ich in mühevollem Stundenaufwand zubereitet hatte, ignoriert und sich in seinem Schlafzimmer verkrochen hatte. Es war der Tag, an dem er angefangen hat, mich zu vergessen.

Das nächste Bild kam viel zu plötzlich, als dass ich mich darauf vorbereiten konnte.
Ich war vierzehn, vielleicht etwas älter.
Das kalte Licht der Glühbirne erleuchtete das kleine Badezimmer, in dem ich mich zu dieser Zeit befand, und sorgte dafür, dass ich mein Spiegelbild besser sehen konnte. In meiner einen Hand hielt ich eine Pinzette. Die andere lag knapp neben meinem Auge, um dort die Haut etwas zu straffen, in welcher ein blutiger Glassplitter steckte.

Meine Tränen waren mittlerweile versiegt und hatten nur eine salzige Spur hinterlassen, doch ich konnte nicht aufhören zu zittern, sodass es mir besonders schwer fiel, das Glas mit der Pinzette aus meiner Haut zu ziehen.
Nicht zuletzt, weil mir beim Anblick des Blutes, welches sich über meine Wange zog und teilweise schon getrocknet war, schlecht wurde.

Sogar jetzt noch, wo ich dieses Bild als Rückblick betrachtete.

Schnell schüttelte ich den Kopf um es aus meinem Kopf zu bekommen, doch stattdessen flossen die Farben ineinander und bildeten das nächste Szenario.

Dieses Mal sah ich nicht mich selbst von außen. Dafür war es zu dunkel.
Stattdessen spürte ich das was um mich herum passierte.
Ich spürte Hände unter mein zu großes T-Shirt wandern und meinen abgemagerten Oberkörper ertasten, ehe sie mir den Stoff über den Kopf zogen. Überraschend vorsichtig, als wäre ich zerbrechlich.

Doch die Bewegung der Hände blieb nicht so zärtlich und vorsichtig.
Mein Körper hatte sofort realisiert, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte und war im Inbegriff sich dagegen zu wehren, reagierte jedoch zu spät, sodass er es schaffen konnte meine Handgelenke zu ergreifen und fest in die Kissen zu drücken. Die detaillierte Erinnerung hatte dafür gesorgt, dass ich die Augen geschlossen hatte, was mir allerdings erst im Nachhinein aufgefallen war.

Nightmares  ⇢  YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt