3. Schmerz und Tod

288 19 0
                                    

An jenem Morgen lag einer der heftigeren Sandstürme um Meteor City. Am Rande der Stadt, besonders auf der großen Müllhalde, konnte man kaum die Hand vor Augen erkennen.
Eine junge Frau kämpte sich durch die starken Böen, immer weiter, obwohl ihr Sandkörner in die Augen schlugen und der Wind sie zurückdrängte.
Als die komplett in schwarz gekleidete Frau  dann endlich an der Müllhalde angekommen war, zog sie ein Messer hervor. Im Schutz des dichten Windes konnte niemand erkennen, wie sie das Messer auf ihr Baby richtete, welches sie mühsam mit durch den Sandsturm geschleppt hatte.
„Niemand wird das hier sehen. Niemanden kümmert es in so einer Stadt.... Niemand kann mich hier verurteilen.... Du... warst einfach ein Fehler- du musst aus dieser Welt verschwinden!", flüsterte sie angeekelt und wollte das Messer leise in den Kopf des Kindes führen.
Als sie einen kleinen Jungen bemerkte, der sie beobachtete. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, da es von einem großen Hut verdeckt wurde, doch war sichtlich verstört von dem, was er gesehen hatte. „W-was machen sie denn da?", stammelte er, wobei die Frau vor Schreck kein Wort herrausbrachte.
Eine weitere Frau erschien in den Sturmböen hinter dem Jungen, und sah die Frau, die ihr Kind töten wollte, angewidert an. „Mama, wir müssen dem Baby da helfen!", rief der Junge. Seine Augen tränten. Seine Mutter trat zu der Frau hin und nahm ihr das Kind aus den Händen, da diese immer noch regungslos da saß.
„Wir nehmen es auf. Da du es so zu hassen scheinst, wirst du und jeder, den du kennst auch niemals wieder von ihm erfahren. Sag mir nur eins. Seinen Namen", sprach sie ihr zu, ohne Angst zu haben, von ihr angegriffen zu werden.
Die in schwarz gekleidete Frau fing wohl an, ihre Tat zu bereuen, ließ überwältigt von der anderen Frau eine einzige Träne zu und flüsterte bloß: „Feitan."
„Feitan existiert nicht mehr- für euch da draußen. Wag es nicht, jemals wieder einen Gedanken an ihn zu verschwenden", meinte die andere Frau streng, nahm ihren Sohn und das Baby und ging.
Feitans Mutter regte sich vor Entsetzen noch eine ganze Weile nicht, bis sie für immer aus Meteor verschwand.

Feitan wurde förmlich mit Liebe überschüttet. Aber hier entsprach es auch der Wahreit- Mrs Portor und ihr Sohn Shio liebten ihn wie einen echten Teil der Familie. So erhielt er auch ihren Namen, sie kannten ja weder seinen echten, noch sein Geburtsdatum. Sie sagten ihm auch die Wahrheit, wie sie ihn aufgenommen hatten, was ihn aber eher faszinierte, als dass es ihn bedrückte, weil er den Tod nicht fürchtete. Und er konnte sich daher nicht mal dankbar zeigen, dass er gerettet worden war.
Aber sie wussten ja nicht, was Feitan für ein Kind war. Er brauchte keine Liebe. Und er liebte weder Shio, noch Mrs Portor, sah sie nicht einmal als seine Familie. Also wies er sie immer wieder von sich.
Er wusste, wie sehr er sie damit verletzte, konnte aber einfach nichts dagegen tun. Er verstand nicht, warum. Er wollte nicht geliebt werden.
Es machte ihn rücksichtslos, respektlos, gemein.  Auch in der Schule fand er keinen Anschluss und wirkte auf andere nur unsympathisch.
Feitan ging absichtlich auf die Straßen um zu stehlen, sie hatten ja auch nicht sehr viel, trotzdem  gerade genug für drei. Aber es machte ihm Spaß. Das war die Hauptsache. Und es gefiel ihm, darüber nachzudenken, zu verletzen, zu töten. Er wollte es unbedingt tun. Er wusste wieder nicht, wieso.
Desweiteren bemerkte Feitan, dass er seine Fingernägel zu scharfen Krallen formen konnte. Das lag aber daran, dass auch er schon früh Aura erzeugen und sie sogar umzuwandeln wusste. Er bedrohte mit den Aura-Krallen in den Gassen die schwächeren Diebe und nahm sich, was sie hatten. Manchmal tat er ihnen weh. Aber es war nicht seine Schuld, denn mal ehrlich, es ist ja niemandes Schuld, wie man zur Welt kommt. Auch wenn man solch bösartige Gedanken hatte, wie er.

Es kochte wahrlich in ihm. Der Drang, jemanden zu verletzen oder umzubringen, wurde von Tag zu Tag stärker. Er spürte in jedem Zentimeter seiner mit Blut gefüllten Adern, wie gerne er die eines anderen aufschlitzen würde. Manchmal ließ es ihn kaum atmen.
Feitan wusste, sein Durst nach Blut würde nicht vergehen. „Nur einmal", dachte er.
Und diese Gelegenheit kam, als er gerade 13 einhalb Jahre alt war. Er sah zwei Männer in einer Gasse auf einen Jungen einprügeln, der etwa im gleichen Alter gewesen sein musste.
Der Junge hätte vielleicht schwere Verletzungen davongetragen, doch Feitan spannte seine Hand an, verkrampfte die Nägel zu messerscharfen Krallen und im Bruchteil einer Sekunde hatte er ihre Köpfe auch schon abgetrennt. Woher diese Schnelligkeit? Der Anblick des ganzen Blutes ließ Feitans Herz höher schlagen und seine schmalen, kalten und dunkelgrauen Augen mächtig und boshaft wirken, und diese Boshaftigkeit verängstigte einen dritten Angreifer so sehr, dass es ihn in die Flucht schlug.
Der Junge blickte ihn dankend an und stotterte. „Sags keinem", murmelte Feitan, und auf die Frage, warum er ihm geholfen hatte, entgegnete er: „Wir sind beide Diebe. Und das sind nur ein paar Arschlöcher, die es besser haben als wir. Außerdem bereitete es mir Freude, sie umzubringen", und ging nach Hause. Auf dem Weg dachte er sich, wie sehr er das gerade genossen hatte. Er hatte es endlich getan, und er würde es so gerne öfter tun. Woher kam das nur? Hatte er einfach nur einen an der Klatsche? Egal, dachte er, solange er Spaß hatte.
Zu Hause angekommen, merkten Shio und Mrs Portor, dass etwas nicht stimmte. Sie machten sich Sorgen um Feitan, doch er ließ nicht einmal mit sich reden. Und trotzdem liebten sie ihn, obwohl sie insgeheim wussten, dass er ein Monster war. Doch sie würden ihn niemals aufgeben.

Am Nachmittag des nächsten Tages setzte sich Feitan mit seinem großen Bruder Shio auf eine kleine Brücke, bei einem nahegelegenen See. „Sei ehrlich Feitan, etwas ist los mit dir. Du weißt doch, wir sind immer auf deiner Seite", sprach Shio ihn an. Er wusste, Shio sagte die Wahrheit, doch weder er noch Mrs Portor könnten das, was in Feitan vorging, jemals verstehen. Er sehnte sich nach einem Blut, Mord und einem spannenden Leben, aber eins, in dem er sehr stark war. Er wusste nicht weshalb, aber er glaubte, der schwarzhaarige Junge, den er getroffen hatte, wollte das gleiche. Und dass es noch mehr davon gab. Am liebsten würde er sie unbedingt finden und mit ihnen zusammen stehlen. Mit den Leuten, die genauso verrückt waren, wie er.

Feitan versuchte einen Stein auf dem durchsichtigen Wasser springen zu lassen, erfolglos. Shio griff nach einem Weiteren und zeigte ihm, wie es richtig funktionierte. So schaffte es auch Feitan.
„Siehst du, schon klappt es. Du brauchst Menschen, die dir helfen. Vergiss das nie", sagte Shio sanft, während der Stein mit eleganten Sprüngen über das schöne, klare Wasser hüpfte und eine ruhige Brise Feitans tiefschwarze Haare durchstreifte.
Teils hatte Shio ja recht, aber Feitan brauchte keine Familie, sondern Freunde, die ihn wirklich verstanden.
Das war der letzte Versuch, Feitan auf die gerade Spur zurückzubringen oder irgendetwas in ihm zu bewirken, vergebens. Der niedergeschlagene Shio ging früher nach Hause, als Feitan, da er gemerkt hatte, dass alle Hoffnung bei seinem kleinen Bruder verloren war.
Feitan wusste, wie sehr es Shio und Mrs Portor schmerzte, wie er zu ihnen war. Doch so war es eben.

Nachdem Feitan noch heimlich Pläne geschmiedet hatte, von zu Hause auszureißen und aus reinem Vergnügen der Kriminalität weiter zu verfallen, kehrte er Stunden später nach Hause zurück, als der Himmel schon lange in ein tiefes, dunkles Blau gehüllt war.
Als Feitan jedoch das Haus betrat, sah er einen Mann in lumpigen Kleidern, der schadenfroh lächelte, mit einem Messer, von dem glänzendes, dunkelrotes Blut tropfte. Das Blut von Shio und Mrs Portor. Ihre Leichen lagen aufgeschlitzt im Badezimmer und in der Küche.
Es war ein Racheakt, von dem Typ, der in der Gasse entkommen war, für die beiden Morde, die Feitan begangen hatte. So leicht konnte man in Meteor eben gefunden werden.
Es tat Feitan nicht weh, dass sie tot waren, kein bisschen, er war nur verdammt noch mal wütend. Denn er wurde schnell wütend, schon bei Kleinigkeiten. Und es konnte ja sein, dass die beiden ihm tief in seinem Inneren doch etwas bedeutet hatten.
Er faselte etwas in einem unverständlichen japanisch, was aber nach einer brutalen Morddrohung klang und tat, was ihm die größte Freude bereitete.

Gefesselt an einen Stuhl waren dem Mann bereits sämtliche Finger- und Fußnägel herausgerissen, Blut triefte aus jeder einzelnen seiner Öffnungen. Feitan hackte ihm noch einen Arm ab, ein Bein, schnitt ihm die Zunge raus, sah zu, wie er an seinem Blut beinahe erstickte, doch bevor das geschehen konnte, lag auch schon der abgetrennte Kopf des Mannes auf dem Boden. Das Blut spritzte in alle Richtungen, während sich draußen die gleichfarbige, aufgehende Sonne erhob. Feitan verfolgte den Aufgang der Sonne mit seinen dunklen Augen, während das Gemetzel um ihn herum die Leidenschaft in ihm weckte.
Ihm machte es mittlerweile noch mehr Spaß, vor dem Töten sein Opfer zu foltern.
Und er lachte dabei, schadenfreudig, und wie ein Psychopath. Die Schreie und Hilferufe seines Opfers waren Musik in seinen Ohren, er liebte, wie es langsam verrottete, das ganze Blut. Er war längst wahnsinnig geworden.
Niemand hätte je beantworten können, aus welchem Grund er so war. Warum er mit 13 Jahren schon so etwas tat.
Aber da er, obwohl er hauptsächlich gefühlskalt war, so schnell wütend wurde, war er wie geschaffen für solche Dinge.

Nach dem, was er getan hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als von nun an auf den Straßen zu leben.
Sollte es jemand rauskriegen und ihn dafür zur Rede stellen, hätte er den Tod von Shio und Mrs Portor wohl als Vorwand für seine Tat genutzt, ohne miteinzubringen, dass er es zum Großteil einfach nur wollte.
Auf den Straßen von Meteor City wollte er das tun, was ihm am meisten gefiel und wurde zu einem der gefürchtetsten Diebe.

Und so traf Feitan Portor erneut auf Chrollo Lucilfer.

A Story about ThievesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt