12. Lektion

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So wie die Mafia die Müllhalde kontrollierte, waren die Mitglieder der Spinne quasi die Könige der Straßen von Meteor City.
Von Zeit zu Zeit sprach man selbst in der letzten, verstaubten Ecke dieser Stadt über sie. Sie waren doch bloß 9 Kinder. Und doch waren sie so stark. Sagten sich die Leute. Die Leute, die sich nicht zu wehren trauten und sich schon fast freiwillig ausrauben ließen.
Man sprach darüber, dass Einige von Ihnen bereits in der Lage waren, Nen ausstrahlen und benutzen zu können. Konnte es ein Spinnenbein nicht, wusste es sich anderweitig zu verteidigen.
Denn die Straßen prägten diese Kinder, die Grausamkeit ihres Lebens zwang sie regelrecht, sich von ihrer eigenen Dunkelheit einnehmen zu lassen und sich nur auf diese Weise da draußen behaupten zu können. Vielleicht wären sie ja alle längst tot, hätten sie nicht von Anfang an dem Tode selbst ins Auge geblickt, ob sie nun bösartig geboren oder bösartig „gemacht" worden sind.

Und das war es, was die Leute, die genau im Klaren darüber waren, dass sie keine Chance gegen diese Bande von Dieben hatten, und daher zu nichts anderem fähig waren, als über sie zu tuscheln und zu lästern, nicht wussten. Sie kannten ihre Geschichten nicht. Manchen waren sie egal, manche beleidigten sie und manche fürchteten sie. Doch für die Spinnenmitglieder zählte nur, ihr verkorkstes Leben unter der bemerkenswerten Führung von Chrollo Lucilfer wenigstens ein bisschen spannend zu gestalten, ihre mächtige Position auf den Straßen zu genießen und zu überleben.

Die Dinge, die sie auf der Straße sahen, die zugrundegehenden und verhungernden Menschen, die Ungerechtigkeiten. Und die Morde, die sie begingen. Das machte sie noch skrupelloser, den ein oder anderen noch wahnsinniger, als ihr pechschwarzes Leben sie bereits gemacht hatte. Und das, obwohl sie alle doch noch so jung waren. Innerhalb der Gruppe waren sie die Einzigen, für die sie gegenseitig Sympathie empfanden, und echte Freundschaft untereinander existieren ließen.
Natürlich aber, wenn eine solch gefährliche Bande auf Meteors Straßen ihr Unwesen trieb, bekam auch früher oder später durch irgendjemanden oder irgendetwas die Mafia davon Wind. Denen passte es nämlich ganz und gar nicht, wenn ein paar unbedeutende Bälger auf einmal gelernt hatten, wie man sich durchsetzt. Und genau deswegen sollte Chrollo und seinen Freunden eine angemessene Lektion erteilt werden.

Nichtsahnend und schon fast unschuldig wirkend, an einem noch unschuldigeren Sonntagmorgen, 4 harte und kriminell-erfolgreiche Jahre nach der Gründung der Spinne, saßen die Beine zusammen mit dem Kopf entspannt in einem ihrer dunklen, schmutzigen Unterschlüpfe. Auch Machi hatte sich perfekt bei ihnen eingelebt.
Zusammengekauert und gelangweilt hangen die Könige der Straßen also einfach nur herum und zählten ihr gestohlenes Geld, im selben flüchtigen Moment, in dem unerwartet die Decke des Unterschlupfes mit einem lauten Geräusch einkrachte und wie aus dem Nichts ein dürrer, großer Mann mit stachligen schwarzen Haaren einfiel.
Die Bande machte sich sofort kampfbereit, und Chrollo merkte an, was alle sofort gespürt hatten: „Passt auf, Leute. Der Typ ist anders, als alle, gegen die wir je gekämpft haben! Er beherrscht.... Nen.. Und es fühlt sich verdammt stark an."
Doch keiner von ihnen ließ sich davon abschrecken, den Mann anzugreifen, auch wenn sich bei Einigen der Gedanke breitmachte, diesen Kampf zu verlieren.
Der Mann grinste. „Mal sehen, ob ihr wirklich so stark seid, wie erzählt wird."
Und ab diesem Augenblick war es, als würde die Zeit viel zu schnell vorbeiziehen.

Phinks und Uvogin starteten einen Frontalangriff, jedoch sollte das keine gewöhnliche Prügelei werden. Der Mann strahlte sein Nen aus und, als ob er ihre Bewegungen vorhersehen könnte, wich er selbstsicher aus und verpasste beiden einen so heftigen Schlag mit seiner bloßen Handfläche, dass sie sofort das Bewusstsein verloren. In Chrollo breitete sich Wut aus, er stürmte vor, wollte auf den Mann einstechen, bekam aber einen Tritt direkt in den Magen, sodass es sich anfühlte, als würde man diesen Zerquetschen. Der Anführer knallte Blut spuckend an die Wand.
Nobunaga fühlte sich verpflichtet, den am Boden liegenden Uvogin zu schützen, stieß ohne nachzudenken einen Kampfesschrei aus und stand kurz davor, im Schutze eines Kugelhagels von Pakunoda und Franklin, den Mann niederzumetzeln.  Und wieder erfolgos, er stoppte Nobunagas Klinge  mit der bloßen Hand, und von den regnenden Kugeln traf ihn keine einzige. Er schlug auch Nobunaga, Pakunoda und Franklin, deren Munition mittlerweile ausgegangen war, nieder.
Von einer Seite schnellte Shalnark auf den Mann zu und versetzte ihm einen heftigen Schlag ins Gesicht.
Dieser schien noch immer unbeeindruckt, packte Shalnark am Kragen und gab ihm mit schadenfroher Miene eine noch viel schmerzhaftere Faust direkt auf die Nase. Shalnark lag in einer kleinen Blutpfütze.

„Was ist denn los mit euch? Ich dachte ihr wärt so außergewöhnlich?!", brüllte er, viel zu überzeugt von sich selbst, um zu bemerken, wie eine Gestalt aus dem Schatten mit einer unermesslichen Geschwindigkeit auf ihn zupreschte und ihm ein scharfes Messer durch den Hals stach. Feitan verzog dabei sein Gesicht zu einem noch bösartigeren Lächeln, während er das Messer immer tiefer in den Hals des Mannes drückte und zusah, wie das Blut  herausquillte und so Boden und Wand auf hässliche Weise verunreinigte.
„Ohooh, was für eine unglaubliche Mordlust..Ich hab gar nicht darauf geachtet, dass jemand so schnell von hinten kommt...aber....", sprach der verletzte Mann und zog das Messer lässig aus seinem Hals, den er daraufhin mit Nen heilte, „du warst weder schnell, noch stark genug. Darum muss ich Leuten wie euch Manieren beibringen."
Er krallte sich Feitan, brach ihm seine Arme und schlug seinen Kopf gegen die Wand. Nun lag auch Feitan in seinem Blut.
In der Zwischenzeit hatte sich Chrollo langsam und wortlos wieder aufgeräppelt, nur um mitansehen zu müssen, wie zu guter Letzt auch noch Machi fehlschlug, ihn zur Strecke zu bringen und in einen krankenhausreifen Zustand versetzt wurde. Chrollo wurde noch wütender. Alle seine Kameraden lagen am Boden.
Und es war wahrscheinlich noch ein paar Ecken weiter zu spüren, wie sich Chrollos Aura dämonisch ausbreitete, und seine gesamte Kampfkraft aufbesserte. Er stieß sich vom Boden ab, welcher durch den so verursachten Druck schon zu bröckeln begann, schnellte zu dem Mann, der der Attacke auszuweichen unfähig schien und ließ diesen sein kantiges Messer spüren. Die Druckwelle war wohl so stark, dass der Mann zum ersten Mal in diesem Kampf von der Stelle bewegt und nach hinten geschleudert wurde. Doch er stand auf.
„Wow. Ich bin sichtlich beeindruckt. Einen Moment lang hat mir deine Aura echt ne scheiß Angst eingejagt. In dem Alter schon solches Nen aufbringen zu können... Dafür lass ich euch am leben. Ich denke mal, das war Lektion genug für euch, damit ihr auf den Straßen nicht mehr so auf stark macht", sprach er zu Chrollo, in einer plötzlich respektvollen Tonlage, aber gleichzeitig auch mit einem satirischen Klatschen.

Das war das Letzte, woran Chrollo sich erinnern konnte, nach dem er das Bewusstsein wieder erlangt hatte. Anscheinend war er ebenfalls nicht gut genug gewesen. Die restlichen Spinnenmitglieder erwachten wenig später.
Sie alle plagte das gleiche Gefühl. Machtlosigkeit. Schwäche. Erniedrigung. Erniedrigung, nur durch die Gnade ihres Gegners überlebt zu haben.
Und so verdammt unterlegen zu sein.

Aber sie hatten gelernt, dass es viel größere Leute  gab, als sie. Sie waren vielleicht auf Meteors Straßen die Besten, doch das war nichts im Vergleich zur Außenwelt. Das schafften sie nun, sich einzugestehen. Genau deshalb mussten sie stärker werden, um jeden Preis. Und dann würden sie da raus gehen und zeigen, wie mächtig sie als Nen-Nutzer sein würden. Und sie würden es als Diebe zeigen, als Diebe, die sich alles nehmen konnten, was sie begehrten. Sie wollten nie wieder unterlegen sein.
Nach dieser Niederlage entschlossen sie sich also, sobald ihre Wunden verheilt wären, mit Training anzufangen, um dieses Drecksloch von Meteor City endlich verlassen zu können. Denn sie hatten es eigentlich schon die ganze letzte Zeit satt, ihr Jagdgebiet und was sie stehlen wollten nur auf eine solch staubige, heruntergekommene, und durch und durch schiefgelaufene Stadt zu beschränken.
Ihr erster Ansatz für das Training lag in Chrollos Keller. Dem Keller voller Bücher. Bücher, mit denen sie über das Nen lernen und Fähigkeiten entwickeln konnten, wie sich noch herausstellen sollte. Bestimmt würde Chrollo auch lernen, das Buch mit dem weißen Handabdruck zu beherrschen.
Die Bande überfiel also Chrollos eigenes Elternhaus.
Als die Spinnenbeine gerade die nützlichsten Bücher aus dem Keller geschafft hatten, brachte seine winselnde Mutter, die zusammen mit ihrem Mann von Feitan und Nobunaga bedroht und so in Schach gehalten wurde, noch ein paar klägliche Worte hervor, denen sich Chrollo aber mit kühlen Augen abwand:
„Was ist nur aus dir geworden.... Wobei wir es ja sowieso...gewusst hatten....Du bist ein Monster."

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