20. Dunkle Gänge & teure Schätze

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Auch wenn man sie in dem absolut schlecht erhellten, engen Gang kaum bemerkt hätte, nutzten Phinks und Feitan ihr meisterhaft trainiertes Zetsu. Hätte ja sein können, dass irgendwelche in der Pyramide eingesperrten Leute aus Verzweiflung zu Kannibalen geworden waren und die beiden überaschenderweise gefunden hätten.
Nicht dass solche Leute eine Chance gehabt hätten, aber zumindest wären sie lästig gewesen. Denn Phinks und Feitan wollten so schnell wie möglich die Schätze abräumen, die in ihrem Abschnitt versteckt waren.
„Wo soll die Pyramide bitte gefährlich sein? Der Gang hier ist nur, wie in einer gewöhnlichen Höhle! Ich hatte auf was Spannenderes gehofft", beschwerte sich Phinks. „Ich weiß, der Gang fühlt sich endlos an, er führt immer weiter nach oben, aber das kann ja nicht alles sein. Oder die Leute haben uns falsche Infos gegeben", antwortete Feitan ruhig.
„Wenn das so ist, sind sie to-", wollte Phinks rufen, doch erblickte endlich das Ende dieses langen, engen Ganges.
Sie hatten sich so ziemlich den ganzen Weg durch diesen Gang hindurchgequetscht, umgeben vom schwachen Licht der angebrachten Fackeln und zahlreichen Spinnennetzen. Die richtige Umgebung für die düsteren Phantomtruppenmitglieder..
Das Einzige, was den Gang nach dem Innern einer Pyramide aussehen ließ, waren die ägyptisch wirkenden Wandmalereien. Sie sahen aus, als würden Menschen in Pyramiden gefangen gehalten und versklavt werden.
„Damit macht ihr uns keine Angst", prahlte Phinks, als er und Feitan endlich das Ende des Ganges erreicht hatten. So weit nach oben waren sie wohl in ihrem ganzen Leben noch nicht gelaufen. Naja, die Pyramide war ja auch riesengroß.
Aus dem engen Gang heraus, gelangten sie in einen Raum.
Erst war er stockdunkel, doch die beiden erkannten, wie gigantisch er war, nachdem schlagartig zahlreiche Fackeln entflammten und den Raum in ein düsteres, aber trotzdem irgendwie helles Licht hüllten. Die Decke über ihnen schien die Spitze der Pyramide zu sein, und sie lag unzählige Meter über dem Boden, auf dem sie standen, wodurch die Mächtigkeit dieses Raumes ausgezeichnet wurde.
Phinks und Feitan kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Nicht nur, dass dieser Raum unglaublich groß war, sondern auch, dass sie quasi die Schatzkammer der Pyramide erreicht hatten. „Sieh nur, Fei, wir sind im obersten Abschnitt angekommen! All die Schätze! Das ist doch, was wir  immer wollten!", schrie Phinks, beinahe endlos glücklich wirkend, in den Raum hinein. „Toben wir uns aus", antwortete Feitan.
Die Wände waren mit weiteren schaurigen Malereien gespickt, was die beiden Spinnen aber nicht davon abhielt, Mengen an Gold in ihre Taschen zu stopfen und sich an allem, was sie fanden, zu bereichern.
Phinks gefiel es besonders, da er, aus welchem Grunde auch immer, schon seit seiner Kindheit von Pharaonen fasziniert war.
Mit funkelnden Augen sah er sich überall um, inspizierte alles, was an Ägypten und dessen Pharaonen erinnerte und entdeckte dadurch einen goldenen, verzierten Sarg.
„Fei, komm mal her!", rief er. Feitan und er öffneten den Sarg, in der Hoffnung, noch mehr Schätze zu entdecken. Und in dem Sarg befand sich eine in Bandagen eingewickelte Leiche, eine Mumie.
„Das muss der Pharao sein! Wunderschön!", strahlte Phinks und strich über den funkelnden Schmuck, den die Leiche trug. „Wir haben einen echten Pharao gefunden!", jubelte er.
„Komischer Fetisch", murmelte Feitan, wickelte einen Teil der Bandagen runter und berührte die verottete Haut des Pharao. „Verweste Leichen sind die besten". Ein seltsamer Hauch von Leidenschaft erklang in seiner Stimme.
„Du hast noch komischere Fetische", grinste Phinks. Er schnappte sich einen schlangenartigen Hut und ein langes, gelblich-weißes Gewand, mit einem roten Auge und etwas grünem Stoff am Kragen.
Er zog beides an. Es schienen die Kleider des Pharao zu sein, die neben dem Sarg gelegen hatten.
Damit sah er selbst aus, wie ein Pharao, und wie jemand, der gerade seinen Traum verwirklicht hatte und meinte: „Ich fühl mich wie ein Pharao! Jetzt macht das Diebsein noch mehr Spaß!"
„Hach ja", nuschelte Feitan.
Sie packten sich noch mehr goldene Schätze und wollten vollbeladen schon den Rückweg einschlagen, da fragte Feitan: „Warum sind vorhin die Fackeln eigentlich einfach so angegangen?" Bevor sie anfangen konnten, dieses Rätsel zu lösen, bemerkten sie, wie sich der Spalt, aus dem sie in den Goldraum gekrochen waren, mit einem lauten Knall verschloss und dann nicht mehr von den anderen Wänden zu unterscheiden war.

In der Zwischenzeit hatten Machi und Chrollo ihren Weg in den untersten Gang eingeschlagen. Er war viel breiter und führte eine ganze Weile noch tiefer in das „Untergeschoss" der Pyramide, bis Chrollo und Machi auf geradem Boden angekommen waren. Auch hier gab es schwach leuchtende Fackeln an den Wänden, ebenso Malereien. Die Luft war stickiger als oben und Sandkörner rieselten aus den kleinen Zwischenräumen in den goldgelben, steinigen Wänden. Die Atmosphäre war düster, aber mindestens genauso düster und mysteriös war die Phantomtruppe. Es war der perfekte Ort für die Truppe.
Während die beiden furchtlos den immer weiter in die Dunkelheit führenden Gang durchstriffen, konnte Chrollo sich nicht davon abhalten, gezielt auf Machis Verhalten zu achten. Ihm fiel nämlich etwas auf.
Machi war eigentlich eine nicht sehr gesprächige Person. Sie zeigte selten ihre Gefühle. Manchmal war sie wie ein Eisblock.
Doch gerade, in diesem Moment, aber auch schon bei den letzten Raubzügen oder auch schon vor 2 Jahren, bei dem Rachefeldzug gegen die Mafia, sprach sie mit ihm. Viel.
Die beiden redeten über alles mögliche in diesem Gang. Einige Male lachte Machi sogar.
Chrollo konnte seinen Blick nicht von ihren meeresblauen Augen abwenden, geschweige denn von ihrem Lächeln. Sie war wie aufgeblüht.
Mit den anderen redete und lachte sie auch, klar, sie waren nunmal Freunde. Aber es kam ihm vor, als lachte sie mit ihm mehr. Vielleicht hoffte er das ja auch nur. Aber wenn ja, wieso hoffte er das?
Jedenfalls gefiel es ihm. Ihm gefiel, wie sie war. Ihm gefiel, wie sie lachte. Ihm gefiel, wie fröhlich sie bei ihm wirkte. Am liebsten hätte er ihr gesagt, wie schön er ihr Lächeln fände und dass sie es öfter tun sollte. Es war das Einzige, neben seinen anderen Kameraden, was in seinem Herzen nicht pechschwarz war.
Plötzlich riss ihn etwas aus seinen verträumten Gedanken. Vor lauter Reden hatte er gar nicht bemerkt, was sich vor ihm abspielte: Machi war weg. Einfach weg. Vor ihm klaffte ein Abgrund, eine endlose Dunkelheit. Sein Herz war wie stehengeblieben. War Machi jetzt für immer weg? Sie waren einfach zu abgelenkt gewesen.
Doch er sah, wie an der Decke über ihm ein dünner Faden hing. Ein Faden aus Nen. Er wickelte sich auf. Und zog Machi aus dem tiefen Loch heraus. Sie hatte ihn an ihrem Fuß angebracht, und zog sich so nach oben.
Chrollo erholte sich schnell von dem Schock und ergriff Machis Hand. Damit holte er sie zu sich auf den Boden zurück.
Sie stolperten dabei, so, dass er sie im Endeffekt aus Versehen an die Wand drückte. So nah war er ihr noch nie gewesen. Er blickte ihr tief in die Augen. Einen Moment lang schoss der Gedanke durch seinen Kopf, sie einfach zu küssen.
Doch er war ein Meister darin, sich so etwas ganz schnell wieder aus dem Kopf zu schlagen.
Er dachte daran, was ihr in ihrer Kindheit passiert war, mit dem Mann in dem Bordell, und wie sie sich dabei gefühlt haben muss. Chrollo wollte nicht, dass sie sich wieder so fühlte. Er trat zurück und entschuldigte sich.
„Wofür entschuldigst du dich denn? Ich hätte mich zwar auch selbst retten können, aber du hast mich gerettet. Schon wieder. Danke. Und danke, dass du da bist", sagte sie zu ihm.
Ihr Lächeln und ihre Worte verdrehten ihm wieder den Kopf. Doch er verdrängte seine Gedanken, als sie die Schlucht überquerten und weiter liefen.
Klar, so ein Abgrund konnte ein Phantomtruppenmitglied nicht aufhalten, aber trotzdem mussten sie wachsamer sein.
In so einer riesigen Pyramide konnte schließlich alles passieren.
Der nächste Teil ihres Abschnittes war ziemlich verzweigt, an unnormal vielen Stellen mussten sie abbiegen oder sich für die richtige Verzweigung entscheiden. Gab es denn eine Richtige?
Angekommen in einem düsteren Raum, mussten Chrollo und Machi feststellen, dass niemand jemals wachsam genug für die Pyramide sein könnte.
Der Boden unter Machi öffnete sich. Sie fiel, und er schloss sich schneller, als sie ihre Fäden nutzen konnte. Er schloss sich, als wäre da nie eine Falltür gewesen. Außerdem verriegelte sich der Durchgang, durch den sie in diesen Raum gelangt waren. Chrollo hatte gerade nicht nur Machi „verloren", sondern war auch noch eingeschlossen, in einem stockdunklen Raum.
‚Was ist nur los in dieser Pyramide', dachte er. ,Kommt man hier wirklich nicht mehr raus', dachte er. ,Wenn nicht, dann sorgen wir Spinnen dafür', dachte er.
Der Anführer der Phantom-Truppe war von Geburt an mit einer viel größeren Dunkelheit gefüllt, als die Pyramide es war. Eine solche Pyramide würde ihm nicht das Wasser reichen können. Da war er sich sicher.

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