40. Konflikte

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Die Nacht des 2. Septembers zog vorüber, und der Tag des 3. Septembers brach herein.
Es hatte wahrscheinlich nie solche Spannungen gegeben, in der Phantomtruppe.
„Danchou, das ist doch scheiße", meinte Phinks in einem Gespräch mit Chrollo, „wenn es jetzt schon Stress innerhalb der Gruppe gibt. Wegen sowas bricht sie noch auseinander."
„Ich weiß. Aber ihr wisst, ich vertraue euch und ihr vertraut mir. Ich lasse uns nicht ausenanderbrechen. Wir kennen uns immerhin seit zwölf Jahren, die Meisten von uns zumindest", entgegnete Chrollo.
Er regte sich selbst darüber auf, so dumm gewesen zu sein. Es war offensichtlich, ob absichtlich oder nicht, Hisoka war wie Gift für die Truppe. Nur, seit er dabei war, gab es Streit. Und zusätzlich schien ihm das auch noch Spaß zu machen.
„Er provoziert uns. Er ist zwar kein Verräter, aber das braucht er, um sich zu unterhalten. Anders hält er es nicht aus", meinte Shalnark. Seine Augen glühten. „Genau", antwortete Chrollo, „daher, ihr drei, habt ein Auge auf ihn. Er darf kein inneres Chaos mehr stiften. Er gefährdet den Plan, egal wie klein seine Verstöße sind."
Feitan, Phinks und Shalnark willigten ein. Jemand
musste die Zügel dieses Clowns unbedingt mal fester ziehen.

Der frühe Morgen des 3. Septembers.
„Hisoka, ich weiß, dass du wach bist. Also sieh mich an", meinte Machi kühl und starrte auf den Clown herunter, der gemütlich in seiner Ecke lag und tat, als würde er schlafen. Dabei war das nur seine Art, seine Kameraden zu belauschen, mal wieder, nur zur Unterhaltung. „Erwischt", zwinkerte er und setzte sich auf. „Was gibt's denn, Süße?", fragte er neugierig.
„Naja. Wenn man so drüber nachdenkt, war das gestern Abend echt nicht cool. Das ‚Kill-Klauen' allein ist jetzt nicht so schlimm, es führt aber zu Streit. Und Streit darf es hier nicht geben", beantwortete Machi die Frage.
„Bist du jetzt auf einmal auf deren Seite? Sie haben doch den Streit angefangen, Prinzessin", sagte Hisoka und tat so, als wäre er empört.
„Irgendein normaler Raub, da wär's scheißegal, aber das hier ist Yorkshin. Es ist das Nest der Mafia. Wir dürfen hier nichts Dummes machen", sagte Machi, langsam unruhiger werdend. Das erste Mal seit langer Zeit schien sie sauer auf Hisoka.
„Na und? Als könnten die uns besiegen. Mach dir keine Sorgen, ich hab doch gesagt, ich pass auf dich auf", lächelte er und versuchte sie an sich heranzuziehen. Doch sie drückte ihn weg.
„Hisoka! Weil ich dich verteidigen wollte, hab ich Streit mit meinen besten Freunden angefangen! Mit meinen besten Freunden, die ich seit 12 Jahren kenne! Das war nicht in Ordnung von mir. Wir haben zu viel zusammen durchgemacht, als dass ich mich jetzt mit ihnen streiten wollen würde, über sowas. Also reiß dich bitte zusammen, Hisoka, halt dich an den verdammten Plan."
„Warum hast du mich dann überhaupt verteidigt?", fragte er genervt. Machi sah ihn zum ersten Mal seit 3 Jahren wieder so an. Mit der eisigen Kälte in ihren Ozeanaugen.
„Ich mag dich eben. Mehr als die anderen dich mögen", antwortete sie, und ging. Ohne ihn noch einmal eines Blickes zu würdigen, sagte sie: „Bei meiner Show heute bleibst du aber bitte im Publikum."

Die legalen Auktionen, die überall in der großen Yorkshin-City verstreut lagen, waren in vollem Gange. Dort sprach man nicht über die Vorfälle der letzten Nächte, und dass sich immer noch niemand erklären konnte, was mit den Mafia-Leuten geschehen war. An diesem Abend würden sie die Wachen wieder verstärken. Ob das was bringen würde? Eher nicht. Sie wollten ja richtige Elitetruppen schicken, Nen-Nutzer und so, aber es fehlten die Beweise, dass das von Nöten war. Also suchten sie nach den verschwundenen Leuten, den ganzen Tag, ohne Erfolg.
Seufzend zündete sich ein Mafia-Soldat in irgendeiner dreckigen Gasse eine Zigarette an. „Was ist bloß mit den Leuten geschehen?", fragte er sich laut. Traurig schaute er nach oben, in den wolkigen, aber blauen Himmel.
Einer seine Kameraden antwortete leise, vielleicht war es eher eine Art Selbstgespräch: „Man kann sie eben nicht zähmen." „Wie bitte?", fragte der erste Soldat und blies etwas Zigarettenrauch in die Luft, doch sein Kamerad strich sich durch die langen, schwarzen Haare und meinte, er hätte bloß vor sich hergesummt.

„Danchou, alles okay?", fragte Machi, und runzelte die Stirn. Chrollo war auf einmal wie erstarrt stehengeblieben. Er blickte in Richtung einer Gasse, einige Meter von ihnen entfernt.
„Dort", fing er an zu sprechen, „da war eine verdammt starke Aura. Ganz kurz. Er verbirgt sie mit Zetsu. Ich kann es immer noch spüren."
„Wäre es Nacht, könnten wir demjenigen folgen", meinte Machi und wendete sich in Richtung der Gasse.
„Ich bin mir sicher, irgendetwas geht hier vor, in Yorkshin", erzählte Machi. Chrollo sah sie an. Pure Schönheit. Er schüttelte schnell den Kopf, weg mit den Gedanken. „Du hast Recht. Genau deswegen müssen wir ja vorsichtig sein. Hier sind Leute, die sind so stark, wie wir. Und vielleicht planen sie was", sagte er.
Machi erzählte von dem negativen Gefühl, das sie die ganze Zeit hatte, jetzt, wo sie mal mit Chrollo alleine unterwegs war. Chrollo nickte. Sie hatten noch eine ganze Reihe Raubzüge vor sich. Und da Machis Intuition niemals log, blieb er ständig aufmerksam; er würde seinen Gegner eliminieren, sobald es die Gelegenheit gab.

Die beiden schlenderten also umher, auf der Auktion, ziellos, vielleicht auf der Suche nach etwas Spannenderem. Doch es gab nichts. „Danchou", sagte Machi auf einmal zu ihm. „Tut mir leid wegen gestern Abend. Feitan hatte ja Recht, Hisoka hat was Falsches getan. Ich-"
„Ist schon gut, Machi. Ist ja nicht deine Schuld.
Aber trotzdem gefährdet Hisoka die Truppe", unterbrach Chrollo sie, leicht angespannt.
„Mag sein. Aber ich krieg ihn in den Griff. Auf mich wird er hören, wenn ich ihm was sage. Ich verspreche es dir", sagte sie entschlossen.
„Wenn du es so sagst", meinte Chrollo, immernoch unzufrieden. Naja, immerhin brauchten sie Hisoka, er war ja eines der stärksten Mitglieder.
„Machi, Heute Abend ist ja deine Show", fing Chrollo an. „Yep, ich hab Hisoka schon gesagt, dass er die Finger davon lassen soll. Wie gesagt, wenn ich es sage, klappt es. Dann macht er nicht mehr nur, was er will", erwiderte Machi sofort und lächelte ein bisschen. Sie war sich bei der Sache wohl ziemlich sicher.
Chrollo hätte ihr gerne gesagt, wie schön das Lächeln war. Aber, weg mit den Gedanken.
„Kann sein, dass die Auktionen ab jetzt spannender werden. Mach dich auf was gefasst, heute Abend", lachte Chrollo.
„Klar. Ach, so nebenbei, ich habs dir ja schon mal gesagt, aber mach das Gel aus den Haaren." Machi lachte auch, jetzt mehr.
„Jaja, ich wollte es mal wieder ausprobieren. Aber deine Haare sind wenigstens schön, so wie sie sind", grinste er. Hätte er das jetzt sagen sollen? Wer wusste das schon, Machi lachte bloß weiter, immer weiter, als wäre sie mal wieder richtig gut gelaunt gewesen. So vertrieben sich die beiden also noch die restliche Zeit bis zum 3. Auktionsüberfall.

Der Himmel verfärbte sich rosarot, wurde von Minute zu Minute dunkler. Der Abend kam über Yorkshin. Die Spinnen schlichen sich also wieder zum Auktionshaus, erledigten die Wachen außen und drangen in das Gebäude ein, noch bevor die Auktion starten sollte. Sie besetzten den Raum hinter den Vorhängen, tauschten die Objekte gegen Kopien und knipsten den echten Auktionatoren das Licht aus. Machis und Nobunagas Show würde vielleicht nicht so furchterregend sein, wie die Falle mit der Spinne, dennoch würde sie in einem Massaker enden. Das wussten sie alle, und sie freuten sich darauf.
Also stiegen Machi und Nobunaga auf die Bühne, in den schwarzen, glänzenden Anzügen, und hielten selbst die Auktion.

Chrollo hatte heute kein Glück. Er konnte den Tresor nicht freistellen. Denn er war weg. Einfach weg. Keine Wachen, kein Tresor, keine Wertstücke. Sie mussten sie irgendwo hingebracht haben, um sie zu schützen, aber niemand wusste, wohin. Doch warum, das war Chrollo klar.
‚Sie wissen, dass wir hier sind', dachte er. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als zur Auktion seiner Kameraden zu stoßen und ihnen davon zu erzählen. Vielleicht war bei der Auktion ja auch irgendetwas verdächtig. Oder gar schiefgelaufen? Aber woher wussten die Mafia-Leute bitte, dass die Spinnen hier waren? Von den Zivilisten hatte keiner eine Ahnung, wer sie waren, und Mafia-Soldaten, denen sie unter die Augen gelaufen waren, hatten sie verschwinden lassen. Woher wussten sie es also? Chrollo fand darauf keine Antwort.

Als er zur Auktion kam, hatten Machi und Nobunaga gerade angefangen. Chrollo setzte sich zu den Zuschauern, in die oberste Reihe, um einen guten Überblick zu erhalten.
Und da bemerkte er Machis und Nobunagas misstrauische Blicke. Die beiden symbolisierten Chrollo, dass auch hier etwas nicht stimmte. Er drehte seinen Kopf in alle möglichen Richtungen und suchte nach dem, was sie meinten.
Die beiden schielten immer wieder zu einer Person im Publikum. Durch das Zetsu dieser Person war Chrollo gar nicht aufgefallen, dass die Aura dieser Person viel größer war, als sie gerade vorgab. Er sah die Person an. Es war der Typ vom Armdrücken, der mit den langen, schwarzen Haaren, der Machi und Nobunaga im Armdrücken besiegt hatte.
Ein paar Plätze weiter saß auch noch Hisoka, der sich prächtig zu amüsieren schien. Er hatte wohl Machis Anweisungen, „im Publikum" zu bleiben, etwas zu ernst genommen.
Und zu allem Übel bemerkte Chrollo noch eine Person, einige Reihen weiter hinten, weiter oben. Er entdeckte den blonden Jungen in der blauen Kleidung. Und dessen Blick war wieder einmal von Hass getränkt.

A Story about ThievesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt