21. Licht oder Schatten

66 8 0
                                    

Der Gang, der in den anderen oberen Abschnitt führte, und den Nobunaga und Uvogin als ihren gewählt hatten, war ähnlich gestaltet, wie die bereits beschrieben. Die Brüder folgten dem Gang eine ganze Weile nach oben, durchkämmten auch die engsten Passagen und waren stets auf der Suche nach dem, was die Pyramide zu bieten hatte.
„Sind hier nicht wenigstens auch mal ein paar Gegner für mich? Wenn wir die Schätze schon nicht finden können, will ich wenigstens was zwischen die Fäuste bekommen!", grölte Uvogin, als sie nach einer gefühlten Ewigkeit noch immer nichts gefunden hatten.
„Uvo, warte mal, sind wir hier nicht grade schonmal vorbeigekommen?", fragte Nobunaga.
„Hmm, das kann echt sein. Ich erinnere mich an dieses Riesenteil von Fels hier!", anrwortete Uvogin, und deutete auf einen dicken Fels im Zentrum des Raumes, in dem sie sich gerade befanden.
Sie konnten leider kaum etwas erkennen, da sie den wohl am schlechtesten beleuchteten Gang erwischt hatten, von den Fünf, die anfangs zur Verfügung standen.
Und das Innere der Pyramide entpuppte sich als verzweigter, als erwartet. So verzweigt, dass sich sogar 2 Mitglieder der Phantomtruppe darin verlaufen konnten. Kombiniert mit dem sperrlichen Licht war das aber kein Wunder.
Wenigstens mussten sie keine Überraschungsangriffe fürchten, denn jedes Truppenmitglied beherrschte ein herausragendes Zetsu.
Trotzdem störten sich die beiden an der Tatsache, nicht zu wissen, wie sie zur Schätzekammer dieses Pyramidenabschnitts gelangten. Unzählige Male liefen sie im Kreis, immer wieder den großen Felsen erreichend, aber nichts Wertvolles findend.
Nicht einmal in der Pyramide Eingeschlossene, die sie bekämpfen könnten, waren zu entdecken.
Andere Menschen hätte es wohl in den Wahnsinn getrieben, sich in einer dunklen Höhle wie in dieser riesigen Pyramide nicht mehr zurechtzufinden, doch Nobunaga und Uvogin waren einfach nur wütend.
„Das kann doch nicht sein. Wir haben doch alles abgesucht. Wir wussten zwar nicht, was genau in jedem Abschnitt auf uns warten würde, aber trotzdem! Dass wir nicht mal mehr den Rückweg finden!", maulte Uvogin. „Einerseits schienen die Leute Recht zu haben mit dem »Man kommt zwar jederzeit in die Pyramide rein, aber nicht mehr raus«. Andererseits sind bis jetzt keine Gegner aufgetaucht. Das ist verdammt seltsam", antwortete Nobunaga nachdenklich.
Als sie dann auf ein Neues den Raum mit dem Felsen erreichten, rastete Uvogin „ganz leicht" aus. „Ich lass mich doch nicht von der Pyramide verarschen! Hier stimmt doch was nicht!", schrie er, und schlug seine gewaltige Faus gegen den Felsen.
Zu seinem Erstaunen bröckelte der Fels nur leicht an, als wäre er aus dem Nen eines starken Gegners geschaffen. „Was zum..", fing Uvogin an, doch unterbrach sich selbst, als sich der Raum plötzlich mit einem weiteren mächtigen Stein verschloss und, ähnlich wie bei Phinks und Feitan, Fackeln entflammten, die endlich für eine ordentliche Helligkeit sorgten.
So ließen sich zahlreiche, myteriöse und unlesbare Schriftzüge an den Wänden erkennen.
Und in genau dieser Sekunde ereignete sich ein weiteres Spektakel vor ihren Augen:
Tausende, abertausende Goldmünzen fingen an von der weit über ihnen liegenden Decke herabzurieseln. Dort musste irgendein Schlitz gewesen sein, aus dem sie kamen, denn dieser Raum lag zwar oben, aber nicht an der Spitze der Pyramide.
„Nobunaga, lass uns in Gold baden!", grinste Uvogin, „auch wenn wir eingeschlossen wurden, und die Schriften da aussehen, als wären es Mord-Drohungen."

Franklins und Bonolenovs Gang war ein gerader Gang. Er führte weder nach oben, noch nach unten. Er war nicht einmal schief. An den Wänden wieder Malereien, Fackeln, alles. Es war eben eine Pyramide, in der sie alle waren, also klar, dass die Gänge ähnlich waren.
Nur der Boden hier war besonders wie Wüstenboden, Sand durch und durch.
„War es eigentlich auch so sandig in Meteor City?", fragte Bonolenov neugierig.
„Ha! Meteor City ist die sandigste Stadt der Welt! Und deswegen auch die schmutzigste", lachte Franklin, sank aber seinen Blick, als würde er in alten, grausamen Erinnerungen schwelgen.
Dieser Ort erinnerte ihn an das Gefängnis, dem er entkam. In der Pyramide war er so eingesperrt, wie damals im Labor.
Aber Franklin hatte keine Angst mehr. Vor nichts und niemandem. Nicht mal einen Schauer konnte man ihm über den Rücken jagen. Also hob er gleich wieder den Kopf und dachte an all das Gold, mit dem sie die Pyramide verlassen würden.
Der Gedanke daran berauschte ihn förmlich. Es gab ihm ein Gefühl von Euphorie, wenn er daran dachte, wie groß dieser Raub werden würde. Und wenn er daran dachte, wie groß dadurch die Phantom-Truppe im „Verbrecher-Business" rauskommen würde.
Wie armselig es doch damals war. Im sandigen Meteor. Gut, dass er endlich zu etwas gehörte, das niemals abstürzen würde.
In diesem Moment seiner Träumerei fiel ihm erstmal gar nicht auf, dass er plötzlich alleine war. Erst als er sich umdrehte, um nach Bonolenov zu sehen, bemerkte er die dicke Wand, die sich hinter ihm erhob, wo doch gerade noch ein Gang gewesen war. Sie war bestimmt mehrere Meter dick. Hinter ihr versuchte Bonolenov verzweifelt, hindurchzubrechen. Es gelang nicht, obwohl es hätte gelingen müssen. Noch dazu konnten sie sich gegenseitig nicht hören. Wieder einmal hatte die Pyramide zugeschlagen.

„Ich glaube, die Leute hatten Recht", meinte Shalnark auf einmal in die Stille hinein, in der er mit Pakunoda nach unten in die Pyramide zog.
Sie sah ihn fragend an. Bis jetzt war doch nichts Komisches passiert, bei ihnen zumindest.
„Naja, ich hab ein seltsames Gefühl. Ich mein, sieh dir die Malereien an. Als wären wir die Opfer, die sich die Pyramide nimmt. Und es ist, als wäre die Pyramide schon sehr lange so", antwortete Shalnark und grübelte, kam aber zu keinem Schluss. „Hmmmm, vielleicht wirds deswegen aber bald spannend. Darauf hätte ich mal wieder richtig Lust", fügte er vorfreudig hinzu.
Pakunoda nickte bloß.
Die beiden erreichten schließlich das Ende des unterirdischen Ganges. Zwar kamen sie an eine Sackgasse, doch diese Sackgasse barg mehr, als nur eine Wand, durch die kein Weg mehr weiterführte.
Die Luft in dem Raum war so stickig, dass sich Shalnark und Pakunoda fühlten, als befänden sie sich in einem alten Bunker, der nur aus Erde und Holz bestand und einzustürzen drohte. Auch wenn der Raum hier aus stabilen Steinwänden errichtet war.
Vor ihnen erstreckten sich an dieser steinigen Wand zwei Durchgänge, in denen jeweils eine staubige Treppe nach oben führte. Die Durchgänge wurden von hölzernen Türrahmen gestützt, welche wirklich aussahen, als würde da gleich alles zusammenkrachen. Über den Durchgängen war Folgendes in krakeligen, japanischen Schriftzeichen in die Wand gemeißelt:
„Wähle weise. Licht oder Schatten?"
Dabei war deutlich gemacht, dass der linke Gang ins „Licht" und der Rechte in den „Schatten" führen sollte.
Sie waren mehr oder weniger gezwungen, einen der Durchgänge wählen, anders kamen sie ja nicht weiter. Und wie Phantomtruppenmitglieder nun mal waren, entschlossen sie sich, sich aufzuteilen, um beide Durchgänge zu erkunden.
„Das ist genau, was wir Spinnen tun. Finden wir heraus, was es mit der Pyramide auf sich hat, und rauben sie dann aus", meinte Shalnark, er hoffte auf ein Abenteuer.
„Ich nehm den, der ins Licht führt", beschloss Pakunoda. „Yay, ich wollte sowieso in den Schatten!", freute sich Shalnark.
Beide betraten also ihren ausgewählten Weg.
Direkt nach Betreten dieses Weges, verschlossen sich die Durchgänge hinter ihnen, wieder mit dicken Steinen.
„Endlich wird's interessant. Dann wollen wir mal, auf in den Schatten!", murmelte Shalnark grinsend, während er die Treppenstufen emporstieg.

Es war genau der gleiche Augenblick, in dem alle 10 Spinnen auf irgendeine Weise eingeschlossen worden waren. Und, wie aus dem Nichts, so plötzlich, dass sich normale Menschen wohl fast zu Tode erschreckt hätten, ertönte in jedem Bereich der Pyramide, sodass es jeder von ihnen hören konnte, erst ein fragwürdiges Knirschen, und dann eine tiefe Männerstimme. Sie klang, wie aus Lautsprechern, obwohl es nirgendwo welche gab. Sie fing einfach an, überall durch die Pyramide zu hallen. Sie sprach in einem majestätischen, eingebildeten Ton:
„Es mag euch noch nicht aufgefallen sein, aber ihr seid hier in meinem Revier. Das ist meine Pyramide. Ich erlaube ein paar törichten Dieben nicht, sie einfach auszurauben. Denn ich bin der Pharao. Das hier ist mein Königreich. Ihr kommt hier nicht mehr raus, es gibt keinen Ausgang mehr und die Pyramide ist mit Nen versiegelt. Viel Spaß, ihr dürft euch jetzt zu Tode hungern. Ach, vielleicht tötet euch ja zuerst einer meiner Diener, oder eine Falle erwischt euch! Hahaha, das habt ihr nun davon, ihr bekommt die teueren Schätze, die hier versteckt liegen, nicht, selbst, wenn ihr sie findet!"
Und so schnell, wie sie gekommen war, war die Stimme auch wieder verklungen.
Jagte ihnen das Angst ein? Ließ es sie verzweifeln? Wollten sie versuchen, aus der Pyramide zu fliehen?
Nein. Sie ließen sich nicht einschüchtern.
Wenigstens wussten sie sogar jetzt ein bisschen von dem, was hier eigentlich abging.

Einige Minuten später leuchtete das Handy aller 9 Beine auf. Eine Nachricht vom Kopf, von Chrollo, in ihrer Phantomtruppen-Nachrichtengruppe. Jede Spinne erhielt sie. Jede Spinne las sie.
„Ihr habt den Pharao gehört. Auch wenn wir es schon wussten, hier liegen verdammt teure Schätze. Und was wollen wir? Ihr wisst es genau. Wir holen die Schätze, aber wir machen es anders, als geplant. Wir töten zusätzlich den Pharao, dann kommen wir hier auch raus. Der, der ihn zuerst tötet, darf die Schätze, die der Pharao mit sich rumträgt, für sich selbst behalten! Danach sammeln wir uns am Treffpunkt."
Das war es, was jedem Phantomtruppenmitglied solche Leidenschaft bereitete. Zu stehlen und zu töten.
Und es schien jetzt endlich wieder spannend zu werden. Genau aus diesen Gründen machte sich auf den Gesichtern jeder Spinne ein vorfreudiges, blutrünstiges Grinsen breit. Bei manchen mehr, bei manchen weniger.
„Dass wir hier überhaupt Netz haben", wunderte sich Phinks. „Shal ist eben ein Genie". Feitan konnte es kaum abwarten, ein Blutbad anzurichten.

Chrollo war bereits auf der Suche nach dem Pharao. Er wusste, die anderen waren es auch. Und deswegen hatte er seine Kameraden so gern. Weil keiner von ihnen sich jemals vor dem Tod fürchten würde. Weil sie freudig Seite an Seite mit dem Tod lebten. Weil er, also Chrollo, das auch tat. Deshalb hatte er genau sie als Kameraden gewählt.
Sie waren zu allem bereit.

A Story about ThievesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt