52. In den Gedanken des Clowns

43 7 0
                                    

Eine frische, nächtliche Brise zog durch die Lüfte der dunklen Stadt, eine frische, aber angenehm warme Brise.
Eine, die noch die letzten Reste des Sommers mit sich zog.
Und wenn man gerade auf dem Dach irgendeines hohen Hauses stand, fühlte sich diese letzte Sommerbrise am schönsten an, in dieser schwarzen Nacht.
Eine solche Gelegenheit der Ablenkung von den ganzen Kämpfen, die gerade im Gange waren, ergriffen selbst Hisoka und Illumi.
Es war nicht allzu lange, bevor Shalnark die Daten auf dem Computer entschlüsselt hatte und Pakunoda entführt worden war.
Gerade hatten sie nicht besonders viel zu tun, Kurapika bereitete sich irgendwo anders auf seinen Angriff vor, die beiden taten es eben hier oben.
Eigentlich wollte Kurapika die Spinnen ja bloß beobachten, doch er konnte dann später einfach nicht anders, als die Chance zu ergreifen, Pakunoda zu schnappen.

Also saßen sie da, Hisoka und Illumi, ganz am Rande des Daches eines Hochhauses, ließen die Beine hängen, und richteten den Blick gen Himmel, umhüllt von der sanften Brise.
„So einen schönen Blick hat man selten auf die Sterne", flüsterte Hisoka irgendwann.
„Wahrscheinlich merken die Leute, dass hier in Yorkshin etwas vor sich geht, deswegen bleiben sie lieber zu Hause. Und ohne die Lichter sieht man die Sterne eben besser", antwortete Illumi ganz kalt, ohne einmal die Richtung seines leeren Blickes zu ändern.
Der Blick des Clownes blieb ebenfalls gefesselt.
„Such nicht für alles immer eine natürliche Erklärung. Das macht es nämlich langweilig", meinte er, streckte die Arme zum Himmel und versuchte, mit seinen blassen Händen die Sternenbilder einzufangen.
Es war so dunkel, und doch waren zugleich so viele Sterne da. Etwas, das Hisoka ähnlich gut gefiel, wie das Kämpfen.
Illumi brach das angenehme Schweigen auf ein Neues: „Hisoka, jetzt sei mal ehrlich."
„Was denn?", fragte dieser ganz verwundert, „was hast du auf dem Herzen~?"
„Warum hast du sie umgebracht?", stellte Illumi seine Frage.
Hisoka sah ihn verwirrt an. Meinte er Machi?
„Warum hast du es nicht uns überlassen, sie zu töten? Du hast sie doch geliebt. Nicht wahr?", fragte Illumi weiter.
Wie immer, ganz ausdruckslos, als wäre er eine menschengroße, leere Puppe, starrte er den Clown, der neben ihm saß, an.
Die beiden schienen sich schon länger zu kennen. Sie waren wahrscheinlich ähnliche Freunde, wie Phinks und Feitan.
Auf einmal fing Hisoka an, zu lächeln. Es war schon eher ein Grinsen, aber kein böses, es war eher ein zufriedenes Grinsen. Ein zufriedenes Grinsen, obwohl er noch nicht einmal die Chance bekommen hatte, Chrollo Lucilfer zu bekämpfen.
Hisoka starrte wieder in den Himmel, bevor er anfing zu sprechen. Er klang anders, als sonst, viel ruhiger, viel gewissenhafter.
„Jaaa.... ich habe sie geliebt...", sagte er grinsend.
„Also, warum dann? Warum hast du es nicht mir überlassen, oder Kurapika?", fragte Illumi, ganz verständnislos, doch sein Blick war immer noch derselbe.
„Illumi.. Genau deswegen. Genau weil ich sie geliebt habe, habe ich sie getötet. Ich habe ihr nie was vorgespielt, aber ich habe sie getötet. Warum? Das ist die große Frage!", antwortete Hisoka und stand auf einmal auf, Illumi blieb an seinem Platz und verfolgte mit seinen kühlen Augen jeden Schritt, den Hisoka ab jetzt machte.

Hisoka fing an, über das Dach zu tanzen. Es war nicht wirklich ein Tanzen, er lief einfach nur herum, aber seine Schritte waren leichter, als bei einem normalen Gehen, und die Arme bewegte er mit dazu.
„Ich habe sie getötet, weil ich nicht anders konnte~", lächelte er bei seinem seltsamen „Spaziergang" über das Dach. Irgendwann balancierte er auf dem Rand. Er balancierte so elegant, er sah aus wie ein Zirkusartist, aber er sah auch aus, als würde er mit seinem Leben spielen. Er hätte fallen können.
„Es ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Das Töten. Damit habe ich diese Leute auch nie angelogen.
Denn das war das Einzige, was wir gemeinsam haben.
Und ich habe Machi getötet, weil ich es gebraucht habe. Ich kann niemanden lieben, und glücklich mit ihm sein", rief er über das Dach, und lachte laut.
Er packte mit einer Hand eine große, lange Stange, die am Rand des Daches angebracht war, und ließ sich, beschienen vom hellblauen Mond, einmal an der Stange herum drehen.
Bei der zweiten Drehung blieb er so in der Luft stehen, dass sein Körper über den weiten, weiten Abgrund stand, mit einem Fuß auf dem Dach, mit einer Hand an der Stange, der andere Fuß und die andere Hand jeweils in Richtung des Abgrunds ausgestreckt.
Illumi sah ihn einfach nur an, er fragte sich gar nicht erst, was in dem Clown vorging.
„Ich kann mit niemandem glücklich sein. Ich kann nur alleine glücklich sein. Und weißt du, was mich glücklich macht?", fragte der Clown an der Stange.
Dann drehte er seinen Körper, den Rücken zum Abgrund, ließ die Hand von der Stange los und zog den Fuß vom Dach herunter.

Da streckte er beide Arme aus, ebenso die Beine, während er da so in der Luft lag, beinahe flog, und er lachte ganz laut, wie ein Verrückter: „Tragödien! Tragödien, Kämpfen und Blutvergießen, das macht mich glücklich! Ich kann ohne das nicht leben! Ich hätte Machi nie lieben können, ohne eine Tragödie! Ich hätte sie nie lieben können, wäre ich nicht derjenige gewesen, der sie umgebracht hat!"
Hisoka hätte fallen sollen.
Doch dann zog er an seinem Bungee-Gum, und „flog" zurück aufs Dach.
Er landete gekonnt auf beiden Beinen und lächelte noch einmal. „Verstehst du es jetzt? Sie war am schönsten, als sie gestorben ist. Sie war so schon schön, mit diesen Haaren, die etwas dunkler waren, als Kirschblüten.
Ich hab sie so geliebt, ich hab sie nicht mal wirklich angefasst, weil ich dachte, das erinnert sie vielleicht an etwas Schlimmes von früher.
Ich hab sie so geliebt, es ließ mir keine Ruhe, dass ich sie einfach nur umbringen konnte. Aus Liebe."
„Ich werde dich wohl nie verstehen", meinte Illumi bloß, und zuckte mit den Schultern, während er die Beine über dem tiefen Abgrund baumeln ließ.
„Wann gehen wir dann los?", fragte er, dachte aber immernoch über Hisokas Worte nach.
Ergaben die Worte dieses Clowns denn Sinn?
Oder waren sie einfach nur die Worte irgendeines Wahnsinnigen?
„Also, ich muss genau jetzt los. Ich hab nämlich gesehen, auf meinem Handy, dass in unserer Hütte etwas vor sich geht. Sie sind so dumm! Sie lassen ihren Freund zurück, weil sie kämpfen wollen! Jetzt ist er da, ganz alleine, in der dunklen Hütte.. Haben sie die Kameras nicht gesehen?
Naja, wir sehen uns dann später, Illumi~!" antwortete Hisoka mit einem angsteinflößenden Grinsen, bevor beide das Dach des Hochhauses verließen und sich an die Arbeit machten.

Zurück in der Gegenwart.
„Danchou? Danchou! Wir stecken mal wieder ziemlich in der Scheiße!", raunte Uvogin ins Telefon, nachdem er und Nobunaga Kurapika haben gehen lassen.
„Was ist denn passiert?", fragte Chrollo mit gerunzelter Stirn.
Und dann erklärten Uvogin und Nobunaga, was genau geschehen war, Kurapikas Überraschungsangriff, die Kette um Pakunodas Herz, und ihre Entführung.
Chrollo und sein Team machten Halt, sie waren zwar einem Mafia-Versteck irgendwo im Norden Yorkshins auf der Spur, doch das Gespräch mit den Brüdern war jetzt wichtiger.
Der Danchou ballte seine Fäuste zusammen.
„Sie treiben uns langsam in die Enge", murmelte er ins Telefon.
Uvogin und Nobunaga stimmten ihm, immernoch gereizt, zu.
„Uvo, Nobunaga, wir dürfen nicht zulassen, dass sie uns auslöschen. Dass sie gewinnen. Findet diesen Kettennutzer. Macht einen Deal mit ihm. Er wird
ihn sicher nicht ausschlagen, wenn ihr sagt, dass nur einer von euch gegen ihn kämpft. Denn so, wie ihr das beschrieben habt, würde er doch jede Gelegenheit nutzen, euch zu töten, und wenn er jeden in einem einzelnen Kampf töten muss.
Aber entscheidet weise. Derjenige von euch soll kämpfen, der sicher ist, dass er gewinnt. Und wenn es aussichtslos ist, dann haut ab. Es würde diesem Kettennutzer nichts bringen, Pakunoda zu töten, nur weil ihr flieht, wenn er sie doch ausquetschen will.
Also, rettet sie. Kommt um jeden Preis lebendig zurück. Wie übernehmen hier so lange das Mafia-Versteck", erklärte Chrollo den Befehl.
„Verstanden, Danchou", riefen die Brüder ins Telefon, wie im Chor.
Dann machten sie sich sofort auf die Suche.
„Kettennutzer, mach dich auf was gefasst", drohten die beiden in die Nacht hinein.

„Ein Überlebender von den Kurtas...", überlegte Chrollo laut, „Wie konnte uns das entgehen?"
„Das finden wir heraus, wenn wir gewonnen haben", grinste Franklin.
Chrollo nickte. „Gut. Wir stürmen jetzt das Versteck."
Endlich würden die Spinnen mal einen Gegenangriff starten.

A Story about ThievesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt