30. Ein König und ein Dieb

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Es war unbeschreiblich, was da gerade in der Luft lag. Diese Spannung, diese gewaltige Spannung, man hätte sie glatt mit elektrischer Spannung vergleichen können, die einen Wert von mehreren Tausend Volt erreichte.
Chrollo und der Pharao - zwei Anführer, deren Wege das Schicksal zusammengeführt hatte. Zwei Anführer, die gar nicht anders konnten, als sich zu bekämpfen, um zu beweisen, wer von ihnen sich in dieser Welt durchsetzen konnte.
Wer war derjenige, der diesen Kampf gewinnen würde? Der Dieb oder der König?

„Wenn du dich gleich ergibst, lass ich dich einen schnellen Tod erleiden, du Räuber!", rief der Pharao von seinem hohen Thron herunter.
„Ich weiß ja nicht", lachte Chrollo nach oben zurück.
Dabei starrte er das Sonnen- und das Mondsymbol an. Er konnte den Gedanken einfach nicht lassen, dass mehr hinter den Symbolen steckte, als einfach nur irgendwelche ägyptische Wandmalereien.
„Du siehst doch, in welcher Lage du hier steckst, du Wurm! Lass es einfach über dich ergehen!", rief der Pharao erneut. Der erhabene Klang in seiner Stimme ließ ihn wirken, als könnte er gar nicht anders reden. Viel zu eingenommen von sich selbst, aber an einem Platz, wo ihm das auch zustand.
Chrollo blieb weiter unbeeindruckt von diesem mächtigen Mann, der da saß. Ihn interessierte es kein bisschen, dass der Pharao ihm immer wieder verdeutlichte, dass er für ihn nichts weiter als ein Insekt war, dass ihm gehörig auf die Nerven ging. Nicht nur, weil ein Dieb für einen König nichts als Abschaum war, sondern auch, weil der Pharao bestimmt zwei Jahrzehnte älter war, als Chrollo.
Wie dem auch sei, Chrollo fragte ganz provokant: „Wie würdest du mich denn »schnell« töten?"
Ein Grinsen zuckte auf dem Gesicht des Pharaos.
„Ganz einfach. Ich lass dich von der Sonne und dem Mond in die Hölle führen", meinte er stolz.
Chrollos Augen weiteten sich. Also standen die Symbole doch für etwas. War es etwa.. die Fähigkeit des Pharaos? Das Nen des Pharaos war schon beachtlich, dann musste diese Fähigkeit wohl auch Einiges draufhaben. Das Sonnen- und das Mondsymbol leuchteten an der Wand, als wären sie die Echten, die am Himmel stehen.

„Nun gut.... Ich habe verstanden... Ich glaube, ich.. habe keine Chance gegen dich. Welcher Mensch hat denn auch eine Chance gegen die Sonne und den Mond?", meinte Chrollo. Seine Entschlossenheit und seine Mordlust waren auf einmal wie weggeblasen.
Keine Spannung lag mehr im Raum.
Er senkte den Kopf. In seinem Gesicht spiegelte sich Angst, Ehrfurcht und Verzweiflung. Waren diese Symbole und das, was der Pharao gesagt hatte, wirklich so angsteinflößend, dass sie selbst Chrollo in die Knie zwangen?
Er bat den Pharao, es zu Ende zu bringen. „Endlich siehst du es ein, dass ich zu hoch für dich bin, Junge. Dein Hochmut war wohl nur aufgesetzt, was?", lachte der Pharao ihn aus, während er sich langsam und anmutig aus seinem gemütlichen Thron erhob, die langen Treppen, die sich vor dem Thron erstreckten, hinunterstieg, und wie ein Kaiser vor den in sich zusammen gesunkenen Chrollo trat.
Der Pharao streckte seine Hand nach ihm aus, um ihn zu berühren. Das viele, an ihm herumhängende Gold klimperte, aber viel schöner als Modeschmuck.
„Es ist gleich vorbei", flüsterte der Pharao mit ruhiger Stimme. Er wollte ihn gerade berühren, doch da blickte Chrollo auf. Sein Blick wanderte direkt in des Pharaos Augen. „Warte doch noch mal.... Bitte", sagte Chrollo mit zittriger Stimme. Es war schon fast ein Flehen.

Der Pharao hielt inne. Er wollte wenigstens hören, was sein Gegenüber zu sagen hatte.
„Mein ganzes Leben lang habe ich geträumt. Geträumt von Macht, sie zu besitzen und zu genießen. Ich wollte reich sein. Ich wollte alles tun, wonach mir war. Ich wollte der mächtigste Mann sein, in dieser Welt.
Und du bist der Pharao oder? Also ein Mann mit Macht. Du hast auch mal danach gestrebt. Du wolltest dasselbe, wie ich. Du musst mich also verstehen", sprach Chrollo. Er klang verzweifelt, aber entschlossen.
„Sprich weiter", meinte der Pharao und hob eine Augenbraue. Was wollte der Dieb da bitte?
„Nun ja... Du kennst das Gefühl, das Verlangen nach Macht. Ich dachte ich hätte sie erlangt. Mit dem, was ich tat. Mit den bösen Dingen, die ich getan habe. Alles nur für Macht. Klar, ich bin stark geworden, aber am Ende bin ich nur ein armseliger, kleiner Dieb. Nichts im Vergleich zu dir. Du bist so mächtig und unerreichbar, es blendet mich schon fast", sagte Chrollo. Er drückte eine seiner Hände vor seine Augen, aufgrund der erschütternden Gefühle, die ihn zu plagen schienen.
„Du hast schon recht", sprach der Pharao, immernoch mit diesem erhabenen Klang. „Worauf aber, willst du hinaus?"
„Wir sind doch beide irgendwie... gleich. Ich bin stark und will Macht, du bist stark und hast sie schon. Ich möchte noch nicht sterben. Ich möchte nicht so elendig sterben, hier zwischen Reichtum und Macht. Ich will nicht von den Dingen getötet werden, nach denen ich strebe. Also biete ich dir an, von meiner Kraft Gebrauch zu machen. Ich bitte dich darum. Ich bin stark, ich kann dir helfen, noch stärker zu werden, auch wenn ich dich niemals besiegen könnte. Das musste ich einsehen, deswegen bitte ich dich darum! Wir können zusammen mächtig sein! Denn zusammen sind wir noch stärker!". Chrollo schrie schon fast. Er kniff die Augen zusammen, um den strengen Blick des Pharaos nicht ertragen zu müssen. Dieser musterte ihn von oben bis unten. Chrollo kniete vor ihm, er bettelte ihn an. Was musste der Pharao für ein Mann gewesen sein, um ihn so unterwerfen zu können?

Dem Pharao schien das gar nicht mal so schlecht zu gefallen. Es brachte doch nur Vorteile, noch jemanden an seiner Seite zu haben, der stark war, solange der Pharao noch alle Befehlsgewalt hatte. „Komm", sagte der Pharao. Chrollo hob den Kopf. Ein paar seiner nach hinten gegelten Haare waren schon wieder nach vorne gefallen.
Der Pharao wollte ihn tatsächlich mit nach oben zu seinem Thron nehmen. So taten sie es auch, mit hoffnungsvollen Blicken folgte Chrollo dem Pharao nach oben.
„Siehst du das? Das ist, was ein König sieht. Du bist zwar ein schäbiger Junge, aber wenn du mir wirklich helfen möchtest, so will ich dir einen Teil meiner Macht gewähren", sprach der Pharao wie ein Übermenschlicher, als er Chrollo den Ausblick auf die ganzen Schätze von seinem Thron aus zeigte.
Chrollos Augen strahlten. „Pharao, nein, mein Kaiser, ich danke euch. Ich bin in Dreck aufgewachsen, und hab es nur als Dieb geschafft, rauszukommen. Doch das hier, das ist viel größer! Warum erlaubt ihr mir solche Macht?" fragte Chrollo, in einem Ton, der nur so vor Respekt strotzte.
„Du hast es gesagt. Wir wollten beide das Gleiche. Nur du hattest nie eine richtige Chance dazu. Ich bin schon mit Macht geboren. Also will ich dir etwas davon gewähren. Aber sag, was ist mit deinen Kameraden?", antwortete der Pharao.
„Ich denke mal, sie schaffen es nicht gegen eure Leibwachen. Also kann ich mich euch voll und ganz unterwerfen", versicherte Chrollo.
Irgendwie gefiel er dem Pharao. Und wirklich, der Pharao war mehr und mehr selbst der Meinung, Chrollo zu ähneln. Sie waren beide Anführer, die sich nun zusammentaten. Ein König und ein Dieb. Es war etwas Neues, aber der Pharao wollte sich darauf einlassen. Je nach Gelegenheit würde er Chrollo ausnutzen. Deswegen akzeptierte er Chrollo, der ihm dafür tausendfachen Dank schenkte. Ja, er lobte ihn fast in den Himmel.
Wo waren denn Chrollos ganze Feindseligkeit und Mordlust hin? Warum glaubte er, dem Pharao zu unterliegen? Warum wollte er sich dem Pharao ergeben? Das wusste keiner, aber eines schien festzustehen:
Dieses Duo könnte niemand zerschlagen.

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