5. Proband 007

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Es gibt Menschen, die sind von Natur aus böse, und es gibt jene, in denen das Monster erst noch erweckt werden muss.
Zu letzteren zählt ein weiterer Junge aus Meteor City, ohne jegliches Wissen, woher er kam oder wer er überhaupt war. Seit er denken konnte, war er nun hier. In dem großen, nach Tod stinkenden, dunklen Labor.

Es lag irgendwo verborgen, an einem verlassenen Ort in Meteor, und zählte wohl zu den schandhaftesten Orten dieser Stadt.
Wahrscheinlich hatten sie Franklin Bordeau seine Erinnerungen genommen, da er sich an nichts vor der Zeit im Labor erinnern konnte, obwohl er schon mit 10 dorthin gekommen war.
Dass er Franklin hieß und wann er Geburtstag hatte, waren seine einzigen und wertvollsten Erinnerungen, die er für keinen Preis der Welt auch noch hergegeben hätte. Sein Nachname Bordeau kam einfach nur von der bordeaux-roten Kleidung, die er zu tragen gezwungen war. Den Namen hatte er sich selbst gegeben.
Franklin erfuhr in den sechs Jahren, die er in dem Labor sein Dasein fristete, keine Liebe, nur Schmerz. Jeden Tag Versuche, Versuche an ihm und an den anderen Kindern, mit denen experimentiert wurde.
Sie wollten biologische, noch genauer menschliche Waffen herstellen, um sie für eine abnormal hohe Summe an die Mafia zu verkaufen, doch mit wenig Erfolg. Egal was sie versuchten, am Ende starben die Kinder oder wurden für die Experimente unbrauchbar. Dann wurden sie ausgesetzt, auf der Müllhalde weggeworfen. Wie gesagt, in Meteor kommen keine Cops, wenn was falsch läuft.
Doch Franklin passierte das nie. Sein Körper wollte den Geist einfach nicht aufgeben, egal was man ihm auch antat.

Man bohrte in seinen Kopf, schnitt ihm das Gesicht an mehreren Stellen auf, flickte es schlampig wieder zusammen. Sie wollten ihm etwas ins Gehirn pflanzen und seine Reaktionen auf bestimmte, schmerzerfüllte Reize testen. So unproffessionell, dass Franklin meistens nicht mal eine Nakose bekam. Dieses Leid war schließlich für nichts, wie die Versuchsergebnisse zeigten.
Sie schnitten seine Finger auf, bauten sie verändert wieder mit dem Körper zusammen, um die allbekannte Fantasie der Fingerpistolen zu verwirklichen und bei der Mafia zu punkten. Und auch wenn Franklin Schmerzen beim Schießen hatte und ihm die Finger bluteten, wenn er den oberen Teil herunterklappte, glückte das Experiment.
Ein minderwertiges Untergrundlabor hatte einen Menschen mit Fingerpistolen geschaffen. Sie würden also auch mal zu den Reichen gehören.

Die anderen Kinder bewunderten Franklin, dass er jahrelang so stark geblieben war. Körperlich schon, aber seelisch hatte man ihn gebrochen. In den Nächten weinte er. Jeden Tag nur Schmerzen. Dieser Ort trieb ihn in den Wahnsinn.
Er würde am liebsten das Blut dieser Wissenschaftler fließen sehen.
Doch ein Mädchen hielt ihn bei Verstand. Mina. Sie hatte auch lange durchgehalten, wie er, weshalb sie sich schon lange kannten und sich gegenseitig eine mental stützen konnten.
Nein, viel mehr waren sie sehr enge Freunde. Und die letzten zwei Jahre hatten sie, in jeder freien Sekunde, die ihnen zur Verfügung stand, detailliert ihre Flucht geplant.
Als nach sechs Jahren von Franklins qualvollen Aufenthalts, der Tag der Flucht nun endlich gekommen war, schlichen er und Mina früh morgens aus den Zimmern, um weder Wissenschaftler noch die anderen Kinder zu wecken, die mit Sicherheit zu viel Aufsehen für eine Flucht errägt hätten. Die anderen zurück zu lassen machte Franklin noch mehr zu schaffen, doch er war so weit gekommen und durfte sich jetzt nicht geschlagen geben. Ohnehin schon flossen alle nur erdenklichen Gefühle durch ihn, Aufregung, Angst, etwas könnte schief gehen, Hass gegen seine Übeltäter. Hass aus tiefster Seele.
Franklin steckte die ganzen Gedanken zur Seite und führte zusammen mit Mina den Plan aus. Fast.
Gerade, als sie den hintersten und letzten zu überwindenden Ausgang erreichten und das Tor zur Freiheit beinahe offen stand, ertönte eine Sirene. Sie hatten doch alles durchdacht. Was hatten sie falsch gemacht?
Verzweiflung machte sich in Mina und Franklin breit. Die Ausgänge waren verriegelt. Franklin saß schweißgebadet da, regungslos, verängstigt. Es war zu viel, einfach viel zu viel. Doch das grausamste kam erst noch. Und zwar in jenem Moment, als genau der Mann, der jahrelang Franklins Körper verunstaltet und ihn Höllenqualen hat leiden lassen, schadenfreudig auf die beiden zustapfte.

„Franklinnn....", fing er an zusprechen, während er dessen Kopf am Kinn zu sich zog und ihm tief in die braunen Augen starrte. „Dachtest du wirklich, dass wir dich, das fast perfekte Testobjekt, Proband 007 einfach nen Abgang machen lassen? Denkst du nicht, wir würden sehen, was 007 macht? Du wirst uns nämlich noch viel Geld einbringen.", der Wissenschaftler lachte auf eine widerliche Art.
Und im selben Moment, in dem Mina auf ihn losgehen und den immernoch regungslosen Franklin beschützen wollte, sprach der Wissenschaftler: „Franklin, weißt du was wir hier mit Rebellen machen?"
Der Wissenschaftler zog eine Waffe aus der Tasche seiner eigenen, bordeaux-roten Jacke und knallte Mina ab. Einfach so, ohne zu zögern.
Franklin schrie. Er wollte nicht aufhören, zu schreien. Seine Welt brach zusammen. Er war aus der Schock-Starre erwacht. Doch bevor er etwas unternehmen konnte, verabreichte man ihm ein Beruhigungsmittel und brachte ihn fort. Wieder hatte er Tränen in den Augen.

Zu seinem Erstaunen erwachte Franklin in einem normalen Haus wieder auf, außerhalb des Labors. Die Menschen, die mit ihm in dem Haus waren, versicherten ihm, seine neue Familie zu sein. Franklin wollte aber keine Familie, er wollte nur Mina zurück, welche er aber niemals zurückbekommen würde.
Naiv, wie er war, und aus Hoffnung, hielt er seine Situation jedoch für eine wirkliche Befreiung von all den schlimmen Jahren, die ihn bis auf Knochen und Mark traumatisiert hatten, und ging zur Schule.
Doch die Schüler dort hänselten ihn, schon am ersten Tag. Sie beleidigten ihn, demütigten ihn, taten ihm nur noch mehr weh. Es lag an seinen vielen Wunden und an seiner unnormalen Größe und Breite, die durch die vielen Experimente zu Stande gekommen waren. Franklin wollte weglaufen. Nicht mal in einem „normalen" Leben, ging es ihm gut.
Als er das Schultor passieren wollte, erblickte er seinen Lehrer, der auf ihn zumarschierte. Franklin erschauderte. Hatte fast eine Panikattacke. Er erkannte dieses giftige Lächeln sofort. Es war das Lächeln des Mannes, den er am meisten hasste. Genau, dieser Wissenschaftler.
Er erklärte dem erschütterten Franklin, dass er ihm, bevor er an die Mafia verkauft werden würde, noch einen kleinen Einblick in das normale Leben schenken wollte. Und wie gutherzig er daher ja sei. In diesem Augenblick gingen alle Gefühle mit Franklin durch. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er konnte das Monster nicht zurückhalten, das man in ihm erweckt hatte. ,Normales Leben', dachte er. ‚Du wolltest doch, dass ich mich noch schlechter fühle', dachte er. ,Diese ganzen Kinder hier wissen doch gar nicht, wie es jemandem wie mir geht', dachte er. ,Fahrt doch alle zur Hölle', dachte er.

Dann hat er die oberen Fingerteile umgeklappt, egal wie es blutete oder schmerzte, und geschossen. Wahrscheinlich hatte er so oft geschossen, ohne auf die Munition zu achten, dass selbst die Leiche des Wissenschaftlers noch darunter leiden musste, wahrscheinlich absichtlich. Es fühlte sich gut an, als würde eine Last von seinen Schultern genommen werden.
Ihm war es egal, wie viele Schüler zusahen. Sollte ihnen das eben eine Lehre sein.

In Franklins Augen spiegelte sich die Leere, gepaart mit Grausamkeit. Und so suchte auch er, ein Opfer der bösen Menschen, in den Gassen, wo ihn niemals einer von denen finden würde, ein neues Zuhause.

A Story about ThievesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt