Sie sah zu Kendrick hinüber. Er zog seine Zähne gerade aus dem Fleisch der Frau und schubste sie achtlos von seinem Schoß. Sie schaffte es gerade noch sich auf den Beinen zu halten und stakste irgendetwas murmelnd davon. Kendrick wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, schüttelte dann den Kopf und sagte: "Immer wieder versucht sie, mich dazu zu bewegen, sie zu ficken. Und jedes Mal weise ich sie ab. Sie lernt es nie."
Trina rückte dicht zu ihm und flüsterte in sein Ohr: "Du bist so unglaublich sexy, wenn deine Augen rot sind. Ich könnte dir jetzt so die Klamotten vom Leib reißen und..."
Kendrick deutete ihr mit einer Geste den Mund zu halten und knirschte mit seinen Zähnen. Dabei sah er sie gierig an. Er schien sich enorm zurückhalten zu müssen, sich nicht augenblicklich auf Trina zu stürzen. Doch Ablenkung nahte, denn wieder stand ein Vampir vor ihrem Tisch. Kendrick atmete auf und Trina schaute sich den Unbekannten näher an. Es war einer derer, der ihr gut gefiel. Er hatte dunkelblonde, zurückgekämmte Haare, Augen, die an Moos und Meer gleichzeitig erinnerten und ein männliches Gesicht und lächelte Trina mit seinen schmalen Lippen an. Sie lächelte zurück und sah dann etwas eingeschüchtert auf den Boden. Kendrick ergriff das Wort und lud den Vampir ein, sich zu ihnen zu setzen. Das tat er auch, aber nicht neben Trina, sondern neben Kendrick. Er stellte sich ihr vor: "Ich bin Phenox. Und du heißt?"
"Trina", antwortete sie.
"Trina? Nur Trina? Oder ist das eine Abkürzung?", hakte er nach. "Erwischt", sagte sie lächelnd, "ich heiße Katrina." "Katrina...Hübsch, wie die Trägerin des Namens", schmeichelte er, dann wandte er sich zu Kendrick und sprach mit ihm über das bevorstehende Treffen. Zwischendurch warf er ihr einige Blicke zu. Dann sagte er: "Seere wollte gleich auch zu uns stoßen, er hat nur noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Und du", er setzte sich ihr gegenüber, "bist noch an der Schule, richtig? Da du jetzt hier sitzt, gehe ich davon aus, dass du in wenigen Wochen die Schule verlässt. Was wirst du dann machen? Ich habe für so eine schöne, junge Vampirin mit Sicherheit eine Aufgabe in meiner Firma."
"Ähm, danke für das Angebot, aber ich habe noch ein Jahr vor mir, an der Schule", erwiderte sie und Kendrick erklärte Phenox: "Sie ist ein Ausnahmetalent. In vielerlei Hinsicht. Sie ist Jahrgangsbeste, deswegen wurde ihr Ausgang unter meiner Aufsicht gewährt."
"Aber wieso ist sie dann schon verwandelt? Die Zeremonie ist doch erst nach den Prüfungen oder wurde das geändert?", fragte Phenox nach und warf einen skeptischen Seitenblick auf Trina. "Nein, das wurde nicht geändert. Nur wie bereits erwähnt: Sie ist ein Ausnahmetalent. Aharon hält viel von ihr und ist von ihrer Zukunft überzeugt", erzählte Kendrick mitteilsam.
"Aharon hält viel von ihr? In welcher Hinsicht? Er ist doch mit Arantxa verbandelt."
Kendrick lachte: "Ja, er ist auch nicht in dieser Hinsicht von ihr überzeugt. Aber in jeder anderen erdenklichen Weise."
"Hääh, Häähm", räusperte sich jemand.
Trina lenkte den Blick auf diesen Jemand. Er war sehr groß, hatte rabenschwarze Haare, Augen wie Stahl und einen Hauch von Drei-Tage-Bart.
"Seere, komm setz dich", sagte Phenox und wartete bis Seere auf der halbrunden Couch neben Trina Platz genommen hatte, dann sprach er weiter: "Du hast eine sehr außergewöhnliche, junge Dame neben dir sitzen. Das ist Katrina."
Seere sah sie aus seinen kalten Augen an und nickte ihr dann zu: "Ich bin Seere." Seine Stimme klang anders als erwartet. Wesentlich freundlicher, als sein Aussehen es erahnen ließ. Er zögerte nicht, zu äußern, weswegen er an ihren Tisch gekommen war: "Da war doch ein Vorfall im Schloss und..."
"Äh, ja!", unterbrach Kendrick ihn mit einem besorgten Blick auf Trina.
"Wir sollten uns woanders unterhalten. Phenox, dürfte ich mal eben?"
"Natürlich", sagte Phenox und stand auf, um Kendrick vorbei zu lassen. Seere stand ebenfalls auf und Kendrick bat Phenox, auf Trina zu achten.
"Mit Vergnügen", freute er sich und rückte zu ihr auf.
"Was für ein Vorfall denn..?", fragte sie scheinheilig.
"Keine Ahnung. Aber wenn du nichts mitbekommen hast, scheint es nicht wichtig gewesen zu sein. Welche Nebenfächer hast du, Katrina? Vielleicht kann ich arrangieren, dass du nach deiner Schulausbildung zu mir und Seere kommen kannst. Du würdest hervorragend zu uns passen", lenkte er ab.
"Meine Nebenfächer sind Bürowesen, Europäische Geschichte und Ethik, Deutsch und Latein. Woraus schließt du denn, dass ich gut zu euch passen würde?"
"Du bist wirklich nicht auf den Mund gefallen", lachte er.
"Alexander war vorhin bei uns und hat sich über ein junges, vorlautes Mädchen in Kendricks Begleitung beschwert. Deswegen bin ich hier herüber gekommen und ich bin wahrlich nicht enttäuscht. Schon allein deshalb passt du hervorragend zu uns. Dazu deine bezaubernde Schönheit und wenn du Jahrgangsbeste bist, musst du sehr fleißig und klug sein. Außerdem hält Aharon laut Aussage von deiner Begleitung viel von dir. Und Aharon liegt mit seinen Einschätzungen immer richtig. Und der letzte Punkt: Kendrick zeigt sich zum zweiten Mal mit dir. Er zeigt sich nie und das betone ich, nie mit einer Frau zweimal."
"Ach wirklich?", staunte sie, "ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, was ich nach der Schule machen werde. Meine Tendenzen sind auch nicht eindeutig. Ich bin selber gespannt, was man mir nach den Klausuren vorschlägt."
Interessiert hörte Phenox ihr zu.
"Ein Ausnahmetalent...", nuschelte er zu sich selbst und dann: "Hättest du denn Interesse für Seere und mich zu arbeiten? Ich könnte dir jede Stelle anbieten, die dir liegt. Entwicklerin im Labor, Sekretärin im Büro, Leiterin des Personals, Buchhalterin, im Außendienst, als Begleitung bei Festlichkeiten...Aber da ich Kendrick kenne, und weiß, dass er das Wort "Ausnahmetalent" nicht leichtfertig gebrauchen würde, wären diese Arbeiten wahrscheinlich nicht deiner würdig."
"Ganz recht, Phenox."
Kendrick und Seere waren zurückgekommen und standen vor dem Tisch. "Für sie sind andere Wege geebnet. Eine Arbeit in eurer Firma käme nicht in Frage, tut mir leid", erklärte Kendrick und setzte sich neben Phenox, während Seere wieder neben ihr Platz nahm. Seere sah aufgebracht aus. Trina befürchtete und ahnte, was Kendrick ihm eben erzählt hatte und wollte ihn irgendwie trösten. Sie stellte sich den Tod eines von ihr gemachten Vampirs, mit dem man Jahrhunderte verbracht hatte, vor, wie den Tod eines Sohnes. Behutsam legte sie ihre Hand auf seinen Oberarm und fragte: "Alles in Ordnung? Du wirkst ziemlich angespannt." Verwirrt über ihr Tun, sah er sie an und entspannte sich tatsächlich etwas unter ihrer Hand, dann antwortete er: "Ja, danke. Alles ist in Ordnung." Sie merkte sein Unbehagen und nahm ihre Hand zurück. Schockiert blickten Phenox und Kendrick sich an. Was für ein mutiges, kleines Mädchen, dachte Phenox bewundernd. Sie konnte froh sein, dass er sie nicht allein schon aus Reflex quer durch den Club geschleudert hatte. Doch ihre Beweggründe, ihre Empathie, waren es, die Seere verwirrten und ihm seine Reflexe versagen ließen. Sie schien wirklich etwas besonderes zu sein. Kendrick war es, der Phenox aus seinen Gedanken riss.
"Entschuldige, alter Freund, ich war nur gerade erstaunt über so viel Mut...Was hast du gesagt?"
"Ich sehe, du bist ihr jetzt auch verfallen", lachte Kendrick, "Gräme dich nicht darüber, du bist nicht der Erste und wirst nicht der Letzte sein. Aber ich hatte gefragt, ob du bereits gegessen hast!?"
"Ja, habe ich. Und ja, dieses Mädchen ist faszinierend. Ich würde gerne etwas mehr Zeit mit ihr verbringen. Aber was ist das Geheimnis, welches sie verbirgt, verbergen muss? Welche Bürde wurde ihr auferlegt, Kendrick?"
Trina bekam von dem Gespräch nichts mit. Sie war von Seeres Erzählungen abgelenkt. Er berichtete ihr gerade von ihrem Heimatland, Deutschland. Allerdings keine gute Laune Heimatgeschichten, sondern seine Erlebnisse im zweiten Weltkrieg.
"Das kann ich dir nicht sagen, Phenox. Es ist eine gewaltige Aufgabe, die sie zu erfüllen hat, aber sie wird es schaffen. Und sie wird das Geheimnis nicht preisgeben, egal wie du sie lockst oder folterst. Aber Zeit kannst du gerne mit ihr verbringen, vorausgesetzt sie möchte es auch. Falls ja, wirst du jede Menge Spaß haben und nichts anderes mehr haben wollen", sagte Kendrick leise.
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BlutsMacht - Die Zeremonie
VampireEin Internat in Nordamerika, das sich um die Vampirgeborenen, die Halblinge kümmert und sie von Kind an zu möglichst erfolgreichen und einflussreichen Vampiren formt. Genau auf diesem Internat durchlebt die 18jährige Trina gerade die "Verwandlungsph...