Die Prüfungen nahten und Trina schottete sich die letzten Tage davor ab. Sie besuchte den Unterricht und schloss sich danach in ihrem Zimmer ein, um ungestört zu lernen. So schienen es aber alle zu handhaben. Lucien und Ares sah sie nicht und auch Kendrick blieb ihr fern. Sie ernährte sich von Blutkonserven, obwohl die ziemlich fade schmeckten.
Dann kam der Tag der beiden ersten Prüfungen. Konzentriert saß sie an ihrem Tisch, der, wie alle anderen auch, separat gestellt wurde. Sie begutachtete die Aufgaben. Kein Problem, dachte sie und machte sich daran, sie zu lösen. So absolvierte sie die Prüfungen. Angefangen mit Erdkunde und Politik, Spanisch und Mathematik, dann folgten die restlichen Fächer an den darauf folgenden Tagen: Geschichte, Deutsch, Latein, Naturwissenschaften, Englisch, Literatur und Kunst, Europäische Geschichte und Ethik. In Sport wurde ein kurzer Kampf simuliert, in dem man sich verteidigen musste und in Strategie und Ethik, Allgemeinwissen, Bürowesen und Genealogie wurde auf eine Prüfung verzichtet.
Als die ganzen Klausuren vorüber waren, fühlte sie sich befreit. Der Druck war weg und die Spannung auf die Ergebnisse wuchs. Sie sehnte sich nach Kendrick, doch er ließ sich nicht blicken.
Einen Tag nach der letzten Prüfung, sie wusste nicht so recht, was sie machen sollte mit der ganzen ungewohnten Freizeit, klopfte Ares an ihrer Tür. Sie war überrascht ihn zu sehen, da er sich von ihr abgewendet zu haben schien.
"Hey, was gibt es?", fragte sie, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sie lag auf ihrem Bett und las in einem der Bücher über die alten Vampire. Er setzte sich zu ihr und sagte: "Ich wollte mich von dir verabschieden, Trina. Du weißt doch, ich werde nach Europa gehen, zum Studieren."
"Ach ja, stimmt. Gehst du heute schon?"
"Ja. Es geht gleich los. Ich möchte dir das hier geben", er holte eine kleine Schmuckschachtel hervor, "als Zeichen meiner Treue dir gegenüber."
"Was? Aber Ares, du bist doch gar nicht treu. Ich meine, du schläfst doch mit anderen und wieso willst du mir deswegen etwas schenken?", fragte sie verwirrt.
Ares lächelte und streichelte ihr Bein.
"Trina...Du hast Recht. Ich schlafe mit anderen. Aber nur, weil unsere Zeit noch nicht gekommen ist. Doch das wird sie, ich weiß es. Und dann werde ich keine andere neben dir haben, nie wieder. Vermutlich werde ich dir verfallen, wie Lucien dir verfallen ist. Und um dir zu versichern, dass ich, wenn ich mit dem Studium fertig bin, zu dir zurückkehren werde, möchte ich dir das hier schenken."
Er öffnete das Schmuckkästchen.
Darin war ein atemberaubendes Armband. Es war gold und silber und funkelte. Ares nahm es vorsichtig am Verschluss heraus und hielt es ihr hin. Dazu erklärte er ihr die Raffinesse des Schmuckstücks: "Der Verschluss und alles, was auf deiner Haut aufliegt, ist aus Gold. Hier oben, die Einfassungen für die Steinchen", er deutete drauf, "allerdings sind aus Silber. Und die Steine, ich konnte mich nicht für einen Stein entscheiden, deswegen habe ich verschiedene einfassen lassen: einen Saphir, einen Smaragd, einen Rubin, einen Opal, einen Mondstein und einen Diamanten." Er zeigte nacheinander auf die kleinen, glitzernden Steinchen. Ihre Augen wurden groß, sie waren alle wunderschön, doch der dunkelrote Opal mit den blauen und grünen Äderchen hatte es ihr besonders angetan. Sie streckte ihren Arm aus und Ares legte es ihr um, sehr bemüht, ja nicht das Silber zu berühren. Als er es zumachte, begutachtete sie es. Es war einzigartig und gefiel ihr sehr gut. Sie sprang Ares um den Hals und bedankte sich. Er lachte, schob sie dann von sich und forderte sie auf: "Komm und küss mich, ich muss jetzt los!"
Langsam näherten sich ihre Lippen seinen, sie lächelte und presste sie dann verlangend auf seine. Trina öffnete sie und ließ seine Zunge zu ihrer. Es folgte ein kurzer, aber heftiger Zungenkuss, doch dann löste er sich von ihr, stand auf, sah sie lächelnd an und ging dann.
Jetzt war Trina wieder alleine. Allein mit ihrem neuen Armband. Sie liebte es. Solch einen guten Geschmack hatte sie Ares gar nicht zugetraut, dazu musste es ein Vermögen gekostet haben. Vorsichtig nahm sie es ab und legte es zurück in die Schatulle, die er auf dem Bett liegenlassen hat. Sie wollte es erst zu einem besonderen Anlass tragen und packte es zu ihren anderen Schätzen in den Karton. Dann sah sie sich um. Sie musste ihre Sachen bald zusammensuchen, da die Abschlussklasse immer im Turm wohnt und sie vermutlich bald dorthin umziehen würde. Trina zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder dem Buch zu.
Es verging etwas Zeit, als es erneut klopfte. Vielleicht war es ja jetzt Kendrick, hoffte sie und sagte: "Herein!"
Doch es war nicht Kendrick, sondern Lucien.
Er wirkte verändert, und strahlte Autorität aus. Ja, das war es, er wirkte autoritär. Kritisch betrachtete sie ihn, wie er näher kam und fragte dann: "Lucien? Was ist mit dir?"
Er ignorierte ihre Frage einfach und kam zu ihr aufs Bett.
"Lucien?"
Besitzergreifend zog er sie zu sich heran und küsste sie.
War das wirklich Lucien? Er küsste anders als sonst. Aggressiver... Irgendetwas war geschehen mit ihm. Sein fordernder Kuss überrumpelte sie und einer ihrer Fangzähne striff seine Lippe. Ein kleiner Kratzer entstand und ein Tropfen Blut quoll hervor. Als sie den Geschmack des Blutes erkannte, stieß sie Lucien geschockt von sich.
"Was zum Teufel..? Lucien, was hast du mit Auriel zu tun? Und wieso hast du sein Blut in dir?"
Lucien schien überrascht, überspielte dies aber schnell und erwiderte: "Ach, du kennst ihn bereits? Wieso wundert mich das nicht?"
"Lenk nicht ab! Erklär mir, was zwischen euch läuft!"
Er drehte seinen Kopf weg und sagte: "Das geht dich nichts an, Trina!"
Doch das wollte sie so nicht akzeptieren.
Sie umfasste sein Kinn und drehte sein Gesicht sanft zurück. "Lucien, du gehörst zu mir! Es geht mich sehr wohl etwas an..." Sie stockte. Seine Augen... Was war nur mit ihm? Wo sie sonst in dunkle Saphire sah, die vor Tatendrang nur so glänzten, waren jetzt lediglich ausdruckslose, dunkelblaue Augen, selbst dieser seltsame Schein war weg.
Ihr kam ein Thema aus Corvins Unterricht ins Gedächtnis. Es handelte von dem Einfluss, der Vampirblut auf einen haben kann. Weiblichen Vampiren machte das Blut eines anderen Vampiren nichts aus. Männliche Vampire konnten auch ohne Probleme das Blut eines weiblichen zu sich nehmen. Das Blut von einem anderen männlichen Vampir hingegen, konnte ihn vergiften, sein Wesen verändern, das sogenannte 'Böse Blut'. Ihr schossen Tränen in die Augen, sie wollte nicht, dass Lucien sich verändert, nicht so. Die blutigen Tränen liefen ihre Wangen hinab.
"Warum weinst du? Du bist eine zukünftige Königin, du hast nicht zu weinen, Trina! Mit mir ist alles in Ordnung. Ich habe mich halt umorientiert und für eine andere Zukunft als Corvins Assistent entschieden. Auriel nimmt mich nach der Versammlung mit zu sich", erklärte er.
"Nein", sagte sie mit bemüht fester Stimme, "das lasse ich nicht zu! Dein Platz ist an meiner Seite, jetzt und für alle Zeiten. Du wirst bei mir bleiben, Lucien!"
Er lachte auf und schlug ihre Hand weg.
"Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Bevor du dich ausschließlich diesem Idioten Kendrick zugewandt hast."
Sie schluckte, sie hatte gedacht, es mache ihm nichts aus. Jetzt musste sie sich etwas einfallen lassen...Auch wenn es ihr schwer fiel, sie lächelte und sagte: "Wie es scheint, bist du hier der Idiot. Was glaubst du, warum ich so viel Zeit mit ihm verbracht habe? Er kennt viele der ältesten Vampire. Das habe ich ausgenutzt! Du bist derjenige, den ich will, Lucien..."
Ihr taten die Worte, die sie selbst sagte weh. Doch wollte sie Lucien unter keinen Umständen verlieren. Prüfend sah er sie an. Sie wischte ihre Tränen weg und bemühte sich dann, mit möglichst trotzigem Blick zurück zu gucken.
Er schüttelte den Kopf. "Ich glaube dir nicht", entschied er und wollte aufstehen. Trina griff nach ihm, bekam sein Hemd zu fassen und zerrte ihn zu sich. Er verlor das Gleichgewicht und fiel auf sie. Sofort schlang sie ihre langen Beine um ihn und übersäte sein Gesicht mit Küssen. Lucien versuchte sich aufzurichten, doch Trina hielt ihn fest. "Du bleibst bei mir", flüsterte sie. Sie sah ein Flackern in seinen Augen. Er schien mit sich zu ringen, doch das Flackern erlosch schnell wieder und ihr Lucien verlor.
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BlutsMacht - Die Zeremonie
VampiroEin Internat in Nordamerika, das sich um die Vampirgeborenen, die Halblinge kümmert und sie von Kind an zu möglichst erfolgreichen und einflussreichen Vampiren formt. Genau auf diesem Internat durchlebt die 18jährige Trina gerade die "Verwandlungsph...