Kapitel LXVI

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Als sie zum Tisch zurückkehrte, saßen Seere und Phenox bereits wieder bei ihrem Schöpfer. Trina setzte sich sehr weit an den Rand, um sofort mit Kendrick abhauen zu können. Phenox besah sie mit verwunderten Blick und Auriel strahlte sie an, als wäre eben rein gar nichts geschehen. Seere sah nicht einmal in ihre Richtung. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. In der Nacht, in der sie ihn kennengelernt hat, hatten sie sich so gut miteinander verstanden und jetzt behandelte er sie wie Luft. Seltsamer Typ, dachte sie und wendete sich Phenox zu, der sie gerade gefragt hatte, ob alles in Ordnung sei.
"Ja, danke. Alles ist in bester Ordnung."
"Natürlich ist alles in Ordnung bei ihr", bestätigte Auriel und erzählte weiter: "Schließlich wird einem nur einmal im Leben angeboten, nach der Schule direkt zu einem Vampir der zweiten Generation zu gehören."
Seere sah auf und schaute sie mitleidig an. Trina lächelte gequält. Ja, genau. So weit kommt es noch. Da werden wohl so einige etwas dagegen haben und das zu verhindern wissen, dachte sie. Jemand packte sie am Arm, es war Kendrick. Sie konnte sein Parfum riechen.
"Komm, Trina! Wir sehen uns, Phenox, Seere!"
Er ließ Auriel außer Acht und zog sie mit sich. Sie schaffte es noch, ein Nicken anzudeuten, dann verschwanden die drei aus ihrem Blickfeld. Unbarmherzig schleifte Kendrick sie hinter sich her und erst, als sie an Corvins Auto, das vor dem Club bereits stand, ankamen, ließ er sie los.
Er atmete schwer.
Irgendetwas stimmte nicht.
Ihr fiel auf, dass er seine Hand gegen seinen Bauchraum presste. Zwischen den Fingern sickerte Blut hervor und färbte sein
Hemd rot.
"Kendrick..?! Oh mein Gott, was ist passiert?"
Sie eilte auf ihn zu und drückte ihre Hand auf seine.
"Das ist nichts schlimmes. Es geht gleich vorbei. Ähnlich wie bei dir vor kurzem", versuchte er sie zu beruhigen und lehnte sich an das Auto.
"Wer war das?", fragte sie mit schriller werdender Stimme.
"Vermutlich ein Scherge von Auriel. Wir haben noch einige offene Rechnungen", mutmaßte er und kniff die Augen zusammen.
"Das ist mir gar nicht aufgefallen", spottete sie und erzählte von dem Geschehen mit Auriel.
"Er will dich nächstes Jahr also zu sich holen, ja?" Kendrick fing an zu lachen, hörte aber ganz schnell wieder auf, weil seine Wunde schmerzte.
"Ich bezweifle, dass du nächstes Jahr noch hier sein wirst."
"Was? Wieso? Ich muss doch die Abschlussprüfungen machen..."
"Schhh," unterbrach Kendrick sie, "vergiss, dass ich etwas gesagt habe und jetzt steig ein. Ich will nach Hause. Du verzeihst, dass ich dir gerade nicht die Tür aufhalten kann?"
"Kannst du denn fahren?"
"Ja, schau, ist schon fast verheilt", sagte Kendrick und nahm seine Hand von der Stelle.
"Okay", meinte Trina und stieg ein.

Kendrick fuhr nach Hause und trug Trina ins Schlafzimmer. Sie liebten sich leidenschaftlich und als sie danach nebeneinander lagen, fragte sie: "Was hast du gemeint mit, du bezweifelst, dass ich nächstes Jahr noch hier bin?"
Er streichelte ihr über den Kopf und wiederholte seine Worte von vorhin: "Vergiss, dass ich etwas gesagt habe. Bitte!"
"Du bist ja witzig, wie könnte ich so etwas vergessen? Los, erzähl, was es damit auf sich hat", forderte sie.
"Trina, bitte! Ich darf dir nichts erzählen. Und das werde ich auch nicht tun", beharrte er. Trina zog eine Grimasse und wechselte das Thema. Sie redeten noch einige Minuten, dann schloss Kendrick die Vorhänge. Anschließend nahm er Trina fest in die Arme und die beiden schliefen recht zügig ein.

"Aufwachen, Schönheit! Wir sind, wie immer, später dran", wurde sie geweckt.
Sie blinzelte.
Kendrick war bereits angezogen und stand neben dem Bett.
"Wenn du noch duschen möchtest, dann beeil dich. Ich warte unten auf dich."
Er ging aus dem Raum und Trina sah zu, dass sie schnell mit allem fertig wurde.
Sicher kamen sie eine halbe Stunde später im Schloss an. In der Eingangshalle schaute er sich um, ob auch niemand zusah und küsste sie dann, kurz aber heftig.
"Bis dann, kleine Trina."
Sie lächelte und hauchte: "Ich freue mich aufs nächste Wochenende, mein Geliebter."
Dann drehte sie sich herum und ging. Sie sah auf ihre Armbanduhr und legte an Geschwindigkeit zu. Der Unterricht begann in fünf Minuten.

So verging die Woche.
Trina saß im Unterricht und machte aufmerksam mit. Wenn keine Schulzeit war, lernte sie für die Prüfungen. Zweimal kam Lucien zu ihr und vögelte sie. Sie bemühte sich, seine Zärtlichkeiten zu erwidern, da sie ihn unter keinen Umständen von sich stoßen wollte. Die Jungs aus ihrer Klasse vertröstete sie stets mit: nach der Zeremonie. In Kendricks Unterricht ignorierte er sie wieder, doch sie wusste ja jetzt, weshalb er das tat. Dieses Mal flüchtete er jedoch nicht aus dem Raum, nachdem er sein Unterricht beendet hatte, sondern packte seine Sachen betont langsam zusammen. Trina tat es ihm gleich und dann waren sie alleine im Raum. Kendrick schloss die Tür und Trina umarmte ihn stürmisch. Nach einem anregenden Kuss hielt er inne und wies sie an, sich zu setzen.
"Was ist denn los?", fragte sie, als sie sich auf den nächstbesten Tisch niederließ.
"Du bleibst jetzt hier im Schloss bis die Versammlung stattgefunden hat. Es ist gefährlich geworden", erklärte er eher dürftig.
"Was? Aber wieso?"
Er seufzte und berichtete: "Diese Woche sind extrem viele Fundamentalisten angekommen. Sie treffen sich täglich im Club und ein Mädchen aus der Schule, welche sie so hassen, hat dort nichts mehr zu suchen. Auch wir, die als eindeutig loyal der Schule gegenüber gelten, setzen kein Fuß mehr dort hinein."
"Oh, wow! Und jetzt? Wird ein weiterer Anschlag vermutet? Und wo treffen wir uns jetzt?", wollte sie wissen.
"Nein, es wird kein Anschlag vermutet. Ich weiß es nicht, entweder werde ich mich hin und wieder zu dir ins Zimmer schmuggeln oder ich mache einen anderen Ort hier im Schloss ausfindig. So, und jetzt sieh zu, dass du zum nächsten Unterricht kommst."
Er gab ihr einen Klaps auf den Po, als sie aufstand und schob sie aus dem Raum.

Sich Gedanken machend eilte sie erst zum Kunst-, danach zum Spanischunterricht. Kurz vor Ende der Stunde, traf sie ein Papierkügelchen am Kopf.
Erschrocken sah sie auf. Sam und Ben grinsten sie von gegenüber an. Böse schaute sie zurück, was die beiden zum Lachen brachte.
"Mr. Carter, Mr. Pierce! Würden Sie mir bitte sagen, was so witzig ist?", wurden sie von Mrs. Caffarelli angeblafft.
Sofort verstummten sie und sahen wieder auf ihre Arbeitsblätter. Trina tat das auch und zehn Minuten später war der Unterricht zu Ende. Sie packte ihre Sachen zusammen und ging hinaus. "Trina, warte mal!"
Sie blickte nach hinten.
Ben und Sam holten sie ein.
"Was gibt es denn?", fragte sie.
"Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst etwas abwesend", meinte Sam und legte seinen Arm um ihre Schultern.
"Ja, alles gut. Danke der Nachfrage", lächelte sie und legte ihren Arm um seine Taille. Sam war schon immer derjenige gewesen, der sie aufheitern konnte.
"Nächste Woche fangen die Prüfungen an und in zwei Wochen ist die Zeremonie. Dann können wir auch endlich miteinander vögeln", gab Sam zu bedenken. Trina lachte und schubste Sam von sich.
"Du Schuft, du denkst auch nur an das eine!"
"Hey, ich stehe dir dann aber auch zur vollen Verfügung", warf Ben ein, der etwas hinter ihnen ging. Sie ging nicht auf die Anspielungen ein, sondern sagte: "Erst einmal müssen wir die Prüfungen überstehen, Jungs."
"Ja, aber bei dir braucht man sich da keine Sorgen machen, so viel wie du am Lernen bist. Man sieht dich ja gar nicht mehr", beschwerte sich Sam. Anscheinend hatten die anderen gar nicht mitbekommen, dass Trina das Schloss regelmäßig verließ, sondern gingen davon aus, dass sie nur extrem viel lernte. Ist bestimmt besser so, dachte sie und erklärte den beiden: "Ich möchte nun mal gute Noten haben."
"Streber!"
Sie streckte Sam die Zunge raus und lief den beiden davon.

BlutsMacht - Die ZeremonieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt