Kapitel LIV

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Sie waren auf dem Weg zur Schule und Kendrick fuhr schnell. Er wollte, dass Trina pünktlich wieder im Schloss war und sie ihre Privilegien nicht verlor. Gerade bogen sie in die etwa vier Kilometer lange Zufahrtsstraße ein, als ein schwarzer SUV sie überholte. Selbst die Scheiben waren dunkel getönt. Mit hoher Geschwindigkeit verschwand der Wagen aus ihrem Blickfeld. "Wer war das?", fragte Trina.
"Ich weiß es nicht, Süße", antwortete er mit besorgten Blick nach vorne. Dann sah er seine Beifahrerin an und lächelte.
"Meine Trina...Ich freue mich schon auf nächste Woche."
"Und ich erst", säuselte sie, sah nach vorne und schrie: "Halt an, Kendrick!"
Er drehte seinen Kopf nach vorne und machte eine Vollbremsung.
Der SUV, der sie eben noch überholt hatte, stand jetzt mitten auf der Straße und blockierte den Weg. Vor dem großen Auto hatten sich drei vermummte Personen mit Waffen positioniert.
"Oh Gott, Kendrick. Was ist hier los? Haben die da Waffen?", flüsterte sie leise, aus Angst die Männer, die etwa hundert Meter entfernt standen, könnten sie hören.
"Scheiße", murmelte Kendrick, gab Trina sein Mobiltelefon und legte den Rückwärtsgang ein. Dann gab er Gas. Er drehte sich nach hinten, um zu sehen, wo er hinfuhr und Trina rief ihm zu: "Beeil dich, die zielen auf uns. Oh mein Gott, die wollen uns töten."
"Wähl die Nummer von Corvin! Sag Bescheid, was hier passiert! Los!", wies er sie an.
Mit zittrigen Fingern bediente sie das Telefon und suchte nach Corvins Namen. Sie wollte gerade auf Anruf drücken, als die Windschutzscheibe zerberstete und sie mit winzigen, scharfkantigen Scherben überhäuft wurde. Ihr Gesicht fing an, aus zahlreichen Wunden zu bluten und sie ließ das Telefon fallen.
"Alles in Ordnung?", fragte Kendrick, der gebannt weiter nach hinten starrte.
"Ja, ja!" Sie fischte vor sich auf dem Boden nach dem Handy und hob es auf.
"Bleib bloß unten Trina", keuchte er auf einmal.
Panisch blickte sie zu ihm und sah, dass er von einigen Kugeln, die die mysteriösen Männer immer noch abfeuerten, getroffen worden war und stark blutete.
"Kendrick, halt durch...", ermunterte sie ihn und wählte die Nummer von Corvin. Er nahm ab und fragte mit genervter Stimme: "Lass mich raten, du schaffst es nicht rechtzeitig?"
"Nein, Corvin", schluchzte sie ins Telefon, "vor dem Schloss stehen Männer, die auf uns schießen. Sie haben Kendrick getroffen."
Sie hörte, wie die Kugeln über ihr in den Sitz einschlugen.
"Was? Das ist nicht witzig, Trina!"
"Bitte, Corvin. Ich glaube, das sind Silberkugeln. Kendrick hält nicht mehr lange durch."
Kaum dass sie das gesagt hatte, schloss Kendrick seine Augen und sein Fuß rutschte vom Gaspedal. Sie wurden langsamer und schlingerten. Trina packte ihren Lehrer am Kragen und zog ihn runter. Gleichzeitig griff sie geistesgegenwärtig nach dem Lenkrad und versuchte ihre Fahrbahn zu stabilisieren. Sie spürte, wie sie von der Straße abkamen und Trina wusste, es war nur eine Frage der Zeit bis sie in einen Baum krachen würden. Sie hoffte nur, dass sie bis dahin langsam genug sein würden, um nicht mitsamt dem Auto zerfetzt zu werden. Wenigstens waren sie jetzt außerhalb der Schussbahn der Männer.
Na los, werd langsamer, flehte sie.
Doch ihr Flehen wurde nicht erhöht. Mit etwa vierzig Stundenkilometern prallten sie gegen einen Baum. Der Baum fraß sich bis zu ihnen durch und spaltete den Wagen in zwei Teile. Trina wurde durch die Wucht des Aufpralls nach vorne, aus dem Auto geschleudert und landete auf dem harten Boden. Kendrick prallte mit dem Gesicht gegen das Armaturenbrett und sackte dann auf dem Fahrersitz zusammen.

Sie stöhnte, ihr tat alles weh. Vorsichtig versuchte sie sich zu bewegen, beließ es aber bei dem einen Versuch. Die Schmerzen waren nicht auszuhalten. Deswegen konzentrierte sie sich darauf, ihre Lage zu sondieren. Sie lag auf dem Boden, vor dem Auto. Kendricks Auto. Kendrick! Langsam drehte sie ihren Kopf und erblickte das Wrack, indem sie vor kurzem noch gesessen hatte. Totalschaden war noch untertrieben. Sie konnte Kendrick nicht sehen. Dafür hörte sie näher kommende Schritte. Oh, nein. Hoffentlich nicht die Männer. Sie wollte nicht sterben, sie war doch noch so jung. Gerade erst ein Baby-Vampir. Vor allem, warum wollte denn jemand ihren Tod? Oder war es nur Zufall, dass sie überfallen wurde? Vielleicht war Kendrick ja der Grund? Fragen über Fragen. Die Schritte kamen näher, sie waren nur noch wenige Meter entfernt. Da sprach doch jemand. Tatsächlich, sie erkannte Stimmen. Die Stimmen von Corvin und Mr. Morlet. Und noch andere. Sie jubelte innerlich und dann breitete sich wieder die Schwärze in ihr aus.

Als sie das nächste Mal aufwachte, lag sie auf einem wesentlich bequemeren Untergrund. Trotzdem tat ihr immer noch jeder Knochen im Leib weh.
"Ähm, hallo? Ist da jemand?", fragte sie leise.
Es war stockduster und ihre Augen gewöhnten sich seltsamerweise nicht an die Dunkelheit. Es schien, als wäre eine schwarze Tür vor ihr.
"Mach nicht so ein Lärm", kam Kendricks Stimme links von ihr. Er klang sehr schwach, aber sehr nah. Sie streckte ihre Hand aus und berührte ihn. Er lag direkt neben ihr.
"Kendrick! Du lebst! Zum Glück...Wie geht es dir? Und wo sind wir?"
"So viele Fragen, Trina, und keine Kraft sie zu beantworten. Komm her zu mir. In deiner Umarmung geht die Heilung bestimmt schneller als gewöhnlich voran. Und wir sind in einem Sarg, wenn du es unbedingt wissen musst", flüsterte er.
Sarg? Das muss ein Scherz sein oder? Wer benutze denn heutzutage noch einen Sarg, im Zeitalter von UV-undurchlässigen Scheiben, Folien und Stoffen? Sie hatte scheinbar laut gedacht, denn Kendrick antwortete ihr: "In einem Sarg heilt man schneller. Komm her jetzt!"
Sie rückte dicht an ihn und er schloss sie fest in seine Arme. Ihm musste es sehr schlecht gehen, denn sein Atem ging unregelmäßig und war rasselnd. Trotzdem schlief sie recht schnell ein.

Gähnend streckte sie sich und traf Kendrick mit dem Ellbogen an seinen Rippen. "Au, Trina, sei vorsichtig!"
"Oh, Verzeihung. Geht es dir besser? Können wir hier raus? Es ist irgendwie beklemmend hier drin."
"Du Nervensäge, versuch wieder zu schlafen. Man wird uns schon hier rausholen, zu gegebener Zeit."
Trina maulte: "Ich habe Hunger und mir ist langweilig, Kendrick. Und trotz deiner Anwesenheit fühle ich mich hier nicht besonders wohl." Er seufzte genervt und sagte: "Na schön."
Dann stieß er den Sarg auf.

Flackerndes Licht kam ihnen entgegen und blendete sie. Trina hielt sich die Hand vor die Augen und blinzelte. Als sie sich an das Licht von Fackeln und Kerzen, das sich eher als dürftig herausstellte, gewöhnt hatte, sah sie sich um. Sie saßen in einem schwarzen Sarg, der mit weißen Samt ausgestattet war. Neben ihnen stand noch ein Sarg, nur nicht so groß wie ihrer. Es musste ein kleiner Raum im Keller sein, denn, es gab kein Fenster. Auch sonst gab es nichts in diesem Raum. Nur die zwei Särge, einige Fackeln an den Wänden und einen Tisch mit jede Menge Kerzen drauf. Das wars. Trina guckte Kendrick an. Er war sehr blass, noch mehr als üblich und unter seinen Augen lagen tiefe Ringe. Seine Wangen waren eingefallen und seine Lippen sehr hell. Sie wollte gar nicht wissen, wie scheiße sie aussah. Er stieg aus dem Sarg und reichte ihr die Hand. Sie nahm sie und kletterte etwas umständlich heraus.
"Hunger habe ich auch. Komm, wir holen uns etwas", schlug er vor.
Gemeinsam gingen sie zur Tür und den Flur dahinter entlang. Jetzt wusste sie, wo sie waren. Es war ein für Schüler gesperrter Flügel im Keller. Sie gingen die Treppe hinauf und gelangten an einen weiteren Korridor. Hier stand eine Tür offen und Corvin trat heraus, als er die beiden hörte.
"Corvin, mein Freund, wir haben tierischen Hunger. Außerdem hätten wir gerne eine Erklärung...", begann Kendrick.
Corvin unterbrach ihn: "Kommt herein und wartet hier. Ich werde Mr. Morlet Bescheid geben. Auf dem Rückweg kann ich euch womöglich etwas zu Essen besorgen."
Sie nickten und gingen hinein. Tausende Bücher waren hier in Regalen an der Wand gereiht, in der Mitte stand ein riesiger Tisch mit sechzehn Stühlen. Am Kamin war eine Chaiselongue, auf der Trina es sich gemütlich machte. Kendrick lehnte sich an die Wand und sie warteten.

BlutsMacht - Die ZeremonieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt