Die Fahrt dauerte zwanzig Minuten und führte quer durch die nahegelegene Kleinstadt zum etwas abseits gelegenen Industriegebiet. Es war 23 Uhr. Sie hielten an einem harmlos aussehenden Industriegebäude, vor dem einige Männer standen. Sie wartete, bis Kendrick ihr die Tür öffnete, nahm seine Hand dankend zum Aussteigen und sah sich um. Die Männer waren Vampire. Niederrangige, das spürte sie. Einer von ihnen stieg in das Luxusauto, in dem sie hergekommen waren und fuhr damit hinter das riesige Gebäude. Kendrick nickte den anderen Vampiren zu und legte den Arm um Trinas Hüfte. So lotste er sie in das Haus, das sich als alte Fabrik entpuppte. Sie durchquerten einige Räume und Gänge und dann, hinter einer schalldichten Doppeltür kam ihnen laute Musik und stickige Luft entgegen. Es ging eine lange Treppe hinab in das Kellergeschoss, dort passierten sie noch eine rotlackierte Doppeltür. Ihre Aufregung wuchs ins Unermessliche. Und sie wurde nicht enttäuscht. Die rhythmische Musik mit harten Klängen war auf einmal dermaßen laut, dass sich ihre Ohren erst dran gewöhnen mussten. Ihr kam blitzendes und zuckendes Licht in wechselnden Farben entgegen. Sie gingen den letzten Gang entlang und dann standen sie in einem recht großen Nachtclub. Es gab eine eher kleine aber gut gefüllte Tanzfläche, drei Bars, diverse Sitzgruppen, eine hochgelegene Bühne, auf der nackte, junge Mädchen tanzten, die sehr viele Bissmale hatten. Außerdem ging es über einige Treppen in ein höheres Stockwerk. Eine solche Treppe steuerte Kendrick an, dazu mussten sie den Raum durchqueren. Trina sah im Vorbeigehen viele Vampire, die sich an Menschen nährten oder mit ihnen vögelten. Als sie die Treppe erreichten, nickte er demjenigen, der davor stand und zusah, dass kein Unbefugter hinauf kam, zu und führte sie hinauf. Hier oben gab es einzelne, abgeteilte Logen, in denen sich meistens männliche Vampire mit vielen Menschenfrauen vergnügten. In manche Separees konnte man nicht einsehen, da sie, wie im Schloss mit Vorhängen versehen waren. Er geleitete sie zu einem freien Platz, nahm ihren Mantel ab und unterbrach das Schweigen, das die ganze Zeit geherrscht hatte: "Hast du Hunger?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Okay, sag einfach Bescheid, wenn doch. Und jetzt erklär mir mal, was so besonders an dir ist, dass dir solch eine Chance geboten wird."
"Ich weiß es nicht, Kendrick. Aber ich bin überaus dankbar dafür und positiv überrascht, dass Sie mir helfen..."
"Stop! Nicht Sie! Wir sind beim Du! Das kommt hier sonst komisch rüber," unterbrach er sie.
"In Ordnung", sagte Trina.
Ein Vampir erschien und fragte, ob sie etwas zu Trinken benötigten. Kendrick wies ihn ab und er ging wieder.
"Also hier wirst du dich wohl öfter aufhalten, wenn du es auf die alten Vampire abgesehen hast. Denn hier in Nordamerika gibt es bloß drei Clubs, die von und für Vampire sind. In Europa gibt es zehnmal so viele."
"Wo sind denn die anderen Clubs hier?", fragte sie.
Er antwortete: "Einer ist in Kanada, das ist aber eher ein Privatclub, da kommst du nur mit einer Einladung hinein und der andere ist in Maryland."
"Okay. Sag mal, zählst du nicht auch zu den alten Vampiren? Du sprichst nämlich immer so, auch im Unterricht, als gehörst du da gar nicht zu."
"Naja, offiziell wohl schon. Ich denke aber, dass lediglich die erste, zweite und dritte als die alte Generation bezeichnet werden sollte. Die Vampire der vierten Generation, die sind mit Abstand nicht so alt und mächtig. Wir haben aber mehr Spaß am Dasein, denn von uns ist keiner verschollen oder tot", erzählte er. "Keiner?" hakte Trina nach.
Amon gehörte doch auch zur vierten Generation. War er etwa nicht tot? Oder ließ er das jetzt außer Acht?
"Keiner!", bestätigte Kendrick.
"Und wie alt bist du?",fragte sie forsch.
"Erst annähernd fünfhundert Jahre," sagte er leise, beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Lippen. Sie lächelte und fragte weiter: "Annähernd..? Hast du etwa bald Geburtstag? Und was zählt denn als Geburtstag? Der Tag an dem du geboren wurdest oder der Tag der Verwandlung?"
Er küsste sie noch einmal, streichelte ihr über die Wange und beugte sich wieder zurück, ehe er ihr antworte: "Sowohl als auch. Du kannst zweimal im Jahr Geburtstag feiern, wenn dir danach ist. Doch nach spätestens zweihundert Jahren ist es dir egal. Dann zählen nur noch die Jahrhunderte. Aber ja, mein fünfhundertster Geburtstag, und zwar der wahre Geburtstag naht. Nächste Woche ist es soweit. Hast du jetzt Hunger?"
Er nahm eine Karte vom Tisch, die sich als Speisekarte entpuppte. Es gab eine Speisekarte für Vampire? Was wurde da angeboten? Menschen nach Alter und Geschlecht?
"Wonach ist dir denn, kleine Trina?"
"Hmm, nach Blut!?", gab sie sarkastisch von sich.
Er schaute sie etwas irritiert an, doch sein Blick normalisierte schnell.
"Ach, ich vergaß...Verzeih mir bitte!"
Er rückte ganz dicht zu ihr auf, legte einen Arm um ihre Schultern und hielt die Karte so, dass sie mit reinschauen konnte. Dann erklärte er ihr: "Du hast eine riesige Auswahl an Geschmacksrichtungen. Du kannst Männerblut haben oder Frauenblut. Von ganz jungen oder schon älteren Menschen. Soweit ich weiß, bevorzugen weibliche Vampire den Geschmack von Männern, obwohl Frauen süßer im Geschmack sind. Und dann gibt es noch die Zusatzstoffe. Das bedeutet, ein Mensch ernährt sich ausschließlich von einem Produkt. Und nach einiger Zeit schmeckt sein Blut ein wenig danach. Es gibt Zitrusfrüchte, Mandeln oder sehr beliebt, Schokolade. Es gibt auch einige, die den Geschmack von Fisch mögen. Und heute steht auf der Karte: Paranuss, Vanille, Ananas, Kirschjoghurt, Wassermelone, Trüffel, Sahne, Schokolade... Oder doch eher pikant? Da wären dann: Chilli, Schinken oder Meeresfrüchte."
Sie verzog das Gesicht.
Er lachte: "Ja, das muss man mögen. Was darf es denn für dich sein?"
"Kann ich einige Kostproben haben? Was kostet das überhaupt?", fragte Trina.
Wieder lachte er. "Um den Preis mach dir mal keine Gedanken. Und natürlich kannst du erst einmal probieren. Warte hier, ich kläre das ab."
Dann verschwand er.
Trina sah sich um. Aus der Loge gegenüber starrte sie jemand an. Und aus der Loge daneben auch. Sie tat, als würde sie es nicht bemerken, schielte jedoch aus den Augenwinkeln hinüber. Gegenüber saß ein düsterer Vampir, mit schwarzen Augen, schwarzen Haaren und Drei-Tage-Bart. Er saß dort in Begleitung von vier Menschenfrauen, die sich um seine Aufmerksamkeit bemühten. In dem Separee daneben saß eine Vampirin mit einem scheinbar bewusstlosen Mann. Sie war blond und hatte eine Hochsteckfrisur, wenn sie das richtig sah. Wütend glotze sie Trina an.Kendrick kam wieder und setzte sich. "So, gleich kannst du die Karte rauf und runter probieren. Allerdings nicht direkt von der Quelle, sondern nur aus Gläsern."
Er merkte wohl die Blicke von gegenüber, jedenfalls sah er hinüber. Die Vampirin senkte sofort ihren Blick, der düster aussehende Vampir aber starrte weiterhin Trina an. Kendrick hob grüßend die Hand und rief: "Hallo Castor. Ich hab dich gar nicht gesehen eben. Willst du dich zu uns gesellen?"
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BlutsMacht - Die Zeremonie
VampireEin Internat in Nordamerika, das sich um die Vampirgeborenen, die Halblinge kümmert und sie von Kind an zu möglichst erfolgreichen und einflussreichen Vampiren formt. Genau auf diesem Internat durchlebt die 18jährige Trina gerade die "Verwandlungsph...