Chapter 72.

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Dass meine Schwester keine wirkliche Verbindung zu meinem Kind wollte, schmerzte mich mehr, als der Schnitt einer Klinge.
Zuerst hatte ich geglaubt, sie würde sich für das Kind interessieren.
Doch nun wirkte es, als würde sie die kleine Familie endgültig verlassen wollen.
Je näher die Geburt heran rückte, desto mehr löste sich Noëlle von uns.
,,Sie ist eine Alpha und Alphas sind meistens Einzelgänger. Vielleicht verlässt sie jetzt unser Nest, um eine eigene Familie zu gründen." überlegte Lyan.
Es war eine Vermutung, die wahr sein könnte.
Lyan und ich erfüllten die Elternrollen für Pakka und mein Kind.
Noëlle würde kaum gebraucht werden.
,,Aber sie ist meine Schwester und Tante von dem Kind. Ich möchte, dass sie Kontakt haben. Schließlich ist sie das einzige Familienmitglied, was ich noch habe." erwiderte ich.
Würden wir meine Mutter finden, hätte das Baby auch eine Großmutter.
Doch, wenn meine Mutter mich damals wirklich nicht wollte, wollte ich auf keinen Fall, dass sie Kontakt zu mir oder meinem Kind hat.
Sie hätte das nicht verdient.
,,Dai, wir brauchen keine Wolljacken für die Fahrt. Es wird langsam immer wärmer."
Ich hielt inne und sah auf die Jacken.
Ich brauchte wirklich keine Wolljacken.
Ich schüttelte leicht den Kopf.
,,Wie kann ich meine Schwester dazu bringen, sich ein wenig mehr mit dem Kind anzufreunden?" fragte ich meinen Partner.
Lyan zuckte mit den Schultern.
,,Ich glaube man kann da nur abwarten. Es wird bestimmt besser, wenn das Baby auf der Welt ist." meinte er.
Ich seufzte.
Also konnte ich nicht wirklich was machen.
Nur warten.
Auch, wenn es schwer war.
Pakka zog an meinem Kleid, während er auf dem Holzboden saß und zu mir aufsah.
Seine dunklen Augen leuchteten.
Unwillkürlich musste ich ein wenig Lächeln.
Er wusste, wie man jemanden aufmuntern konnte.
Wir würden ihn zwar nur einen Tag nicht sehen, doch es würde trotzdem schwer werden ohne ihn.
Inola, die nur ein paar Häuser weiter wohnte, hatte angeboten ihn zu nehmen, während wir unterwegs waren.
So würden wir ihn nicht in Gefahr bringen und könnten uns ganz auf unser Ziel konzentrieren.
Meine Mutter finden und mit ihr reden.
Elaine of Whitefall.
Sie hatte sicher so einiges zu erzählen.
Gute und schlechte Dinge.
Innerlich betete ich dafür, dass wir sie antreffen würden und ich mit ihr ein normales und ruhiges Gespräch führen konnte.
Und ich hoffte sehr, dass das, was die Omega vom Sklavenmarkt behauptet hatte, falsch war.
Ich hoffte, dass meine Mutter mich nicht mitnehmen konnte und nicht, weil sie es nicht wollte.
Danach wäre ich endlich zufrieden und das Thema konnte gegessen sein.
Doch irgendwo in meinem Herzen, bahnte sich ein ungutes Gefühl an.
Ein Gefühl, welches mir sagte, dass das was ich erfahren würde, alles verändern würde.
Eine kleine Bewegung in meinem Bauch weckte meine Aufmerksamkeit.
Das Baby wollte mich ermutigen, da war ich mir sicher.
Es konnte meine Zweifel und Sorgen spüren.
Kurz strich ich über meinen Bauch, dann schloss ich den Koffer.
Es befand sich nicht fiel drinnen.
Nur ein paar Anziehsachen für Lyan und mich, ein Paar wärmere Jacken und eine Decke, falls es in der Kutsche kühler werden würde.
Auch einen Korb mit Essen würden wir mitnehmen, doch den hatte meine Schwester.
,,Können wir?" fragte mich mein Partner.
Ich lächelte leicht und nickte.
Ein Kribbeln durchfuhr meinen Körper beim Gedanken an die kleine Reise.
Sie würde nicht lange gehen.
Und dennoch war sie ein großes neues Abenteuer.
Ich war noch nie Kutsche gefahren.
Würde das sehr wackeln?
Während Lyan den Koffer nahm, hob ich den kleinen Pakka auf meinen Arm.
Gemeinsam verließen wir unser schönes Haus und traten raus in einen sonnigen Tag.
Das Gras wuchs in einem kräftigen Grün und zu den Krokussen hatten sich die ersten Osterglocken gesellt, die mit ihren herrlich gelben Blüten einfach himmlisch aussahen.
Es war ein schöner Tag, um zu reisen.
Vor dem Haus stand bereits die fertige Kutsche.
Sie war wie die, die von den Adeligen verwendet wurde.
Groß, dunkelblau und mit goldenen Ornamenten verziert.
Ich hatte mir für die Bezahlung das Geld aus Kamils Testament genommen, welches mir als eingetragener Erbe zur Verfügung stand.
Das Geld hatte nun also einen kleinen Nutzen gehabt und würde in der Zukunft einen noch viel größeren Zweck erfüllen.
Lyan und ich wollten nicht ewig im Lager bleiben, da waren wir uns einig.
Doch, bevor wir uns einen neuen Wohnsitz suchten, würde noch viel Zeit verstreichen.
Vor der Kutsche waren zwei Pferde gespannt, schwarz und edel.
Die schönen Tiere passten einfach perfekt ins Bild und ließen alles nochmal mehr erstrahlen.
Wie schwarze Perlen.
Noëlle stand neben der Kutsche und überprüfte ihre Waffe, sah sich die scharfe Klinge an und belud ihre Pistole mit Kugeln.
Die weißhaarige Alpha hob den Kopf, als sie uns bemerkte.
,,Da seid ihr ja." meinte sie.
Ich nickte ihr zu.
,,Wir haben noch ein paar Sachen eingepackt. Hast du das Essen?" fragte ich sie.
Meine Schwester nickte, was mich beruhigte.
Es schien alles reibungslos zu verlaufen.
Perfekt für einen guten Beginn der Reise.
,,Die Kutsche ist wirklich wunderschön geworden." hörte ich Inolas Stimme.
Die blonde Omega blickte fasziniert auf das Gefährt.
,,Wenn wir zurück sind, wollen wir sie allen Assassinen zur Verfügung stellen. Ansonsten würde sie nur herumstehen und vor sich hin verenden, was sehr schade wäre, da sie schon ein bisschen was gekostet hat." erklärte ich.
Inola nickte.
,,Man könnte mit ihr sicher auch schön an den See zu einem Picknick fahren oder in die Stadt, wenn man etwas größere Besorgungen machen will." meinte sie.
Das waren auch gute Ideen.
Gerade jetzt, wo es wärmer wurde, waren Ausflüge an den See eine schöne Idee.
,,Danke, dass du Pakka nimmst." mischte sich Lyan an.
Die blonde Omega lächelte.
,,Kein Problem. Ich finde es wirklich mutig, dass ihr das macht und sie sucht. Ich glaube ich hätte nicht die Kraft sie zu suchen und ihr entgegenzutreten." erwiderte sie.
Ich nickte leicht.
,,Ich bin auch wirklich aufgeregt. Wie wird sie sein? Was wird sie zu sagen haben? So viele Fragen."
Meine Schwester kam zu uns.
,,Je eher wir losfahren, desto früher werden deine Fragen beantwortet." meinte sie.
Sie hatte recht.
Wir sollten uns langsam verabschieden.
Auch Lyan schien Noëlles Wink zu verstehen.
,,Also, Inola, sollte Pakka sich bekleckern, kannst du die Wäsche sammeln und uns geben, wenn wir wieder da sind. Oder du wäschst sie erst im heißen und dann im kalten Wasser. Was das Essen angeht, ist er zum Glück nicht wählerisch. Sollte er nicht einschlafen können, versuche es mit leichtem Schaukeln und Summen." erklärte er ihr noch kurz.
Die Blonde nickte.
,,Ihr könnt euch auf mich verlassen. Der Kleine wird es bei mir gut haben." sagte sie.
Ich war davon überzeugt.
Lyan und ich verabschiedeten uns noch kurz von dem kleinen Omega mit den großen Augen, dann übergab ich ihn an Inola.
Pakka schaute ein wenig verwirrt, als er plötzlich nicht mehr auf meinem Arm saß.
Erst als Lyan und ich in die Kutsche stiegen, schien er zu bemerken, dass wir gehen wollten.
Das gefiel ihm natürlich gar nicht, also begann er in Inolas Armen zu zappeln und zu quengeln.
Es zerriss mir fast das Herz, als Noëlle die Pferde antrieb und sich die Kutsche in Bewegung setzte, während Pakka anfing zu weinen.
,,Mammie!" hörte ich ihn noch rufen.
Oh Gott, nein.
Das war so traurig.
Mein Herz schmerzte bei diesem kläglichen Weinen und Rufen nach mir.
Armer kleiner Schatz.
,,Es wird sich in ein paar Minuten beruhigen. Wir sind ja auch nicht lange weg." versicherte mir Lyan, als er meinen besorgten Blick bemerkte.
,,Wirklich?" fragte ich ihn.
Der schöne Omega nickte.
,,Für Kinder ist solch eine Trennung immer schwer." meinte er.
Ich war mir da nicht so sicher.
Ich lehnte mich gegen Lyan, während die Kutsche das Lager verließ.
,,Denkst du nicht, dass er glaubt, er wird uns weggenommen, wie euren Eltern? Denkst du, er denkt jetzt, dass er uns nie wieder sieht?" fragte ich.
Lyan strich über meinen Kopf.
,,Das glaube ich nicht. Ich denke, er vermisst dich einfach. Aber Inola wird ihn gut ablenken, bis wir wieder da sind, da bin ich mir sicher. Und wir sollten uns jetzt auf unser Ziel konzentrieren." meinte er.
Ich nickte leicht.
Er hatte recht.
Inola würde sich gut um Pakka kümmern, also musste ich mich auf mein Ziel konzentrieren.
Ich würde meine Mutter treffen.

𝕾𝖓𝖔𝖜 𝖋𝖆𝖑𝖑𝖎𝖓𝖌 (Omega X Omega) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt