Mit großen Augen und pochendem Herzen starrte ich auf die kleinen Blutflecken, die den hellen Stoff des Kleides zierten.
Ich blutete.
Aber warum?!
Ich trug doch ein Kind in mir, oder nicht?
Mein Blick flog auf meine Hand, die leicht besprenkelt war mit der roten Flüssigkeit.
War es doch meine monatliche Blutung und ich war doch nicht schwanger?
In diesem Moment wünschte ich mir, dass Noëlle da wäre, um mir zu helfen und zu sagen, was ich jetzt machen sollte?
War ich nun doch nicht schwanger?
Oder war das Baby möglicherweise in Gefahr?!
Mein Herz raste.
Was würde Noëlle nur in so einer Situation machen?
Tief durchatmen.
Ich atmete lange durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus, bis sich mein rasendes Herz etwas beruhigt hatte.
Ich musste weiter nachdenken.
Ich blutete, auch wenn es nicht viel war.
Vielleicht sollte ich mir besser erst einmal neue Unterwäsche und eines der Baumwolltücher holen und mich neu einkleiden.
Gesagt, getan.
Ich öffnete den Schrank, griff schnell nach neuer Unterwäsche und nach einem Baumwolltuch.
Dieses legte ich in die Wäsche für Untenrum und warf mir zuletzt noch mein sauberes Kleid über.
Die blutige Unterwäsche warf ich in die Waschwanne, das dreckige Kleid faltete ich zusammen.
Noëlle würde mich zum Mediziner schicken und es abklären lassen, da war ich mir ganz sicher.
Für Mantel und Stiefel war keine Zeit, also rannte ich mit den Hausschuhen raus in die Kälte und rüber zu Alis Haus.
Er würde mir sicher weiterhelfen können.
Innerlich verspürte ich tiefe Angst.
Irgendwie hatte ich Angst, dass etwas mit dem Baby nicht stimmen könnte.
Für Noëlle wäre es sicher eine Erleichterung, wenn dies nun doch meine monatliche Blutung war und ich nicht schwanger war.
Doch wenn ich schwanger war und etwas mit dem Baby geschah...
Meine ganze Brust zog sich bei diesem Gedanken zusammen.
Ich wollte mir das gar nicht vorstellen.
Ängstlich klopfte ich an die Tür des Hauses von Ali, zitternd vor Kälte.
Der Alpha öffnete sofort.
,,Dai, dich hatte ich gar nicht erwartet. Ist etwas geschehen?" fragte er und merkte sofort meine Angst.
Ich deutete auf das Kleid.
,,Du hast meine Schwangerschaft bestätigt aber jetzt blute ich." erwiderte ich zitternd.
Ali ließ mich in sein warmes Haus eintreten und nahm mir das Kleid ab.
,,Wie stark ist die Blutung?" fragte er und suchte nach der Stelle mit den Flecken.
,,Nicht stark, nur ein paar Flecken aber es ist definitiv Blut!"
Ali nickte leicht und fand die Flecken schnell.
Er betrachte sie eine Weile.
,,Du hast recht, das ist tatsächlich Blut." stellte er fest.
Ich sah ihn verzweifelt an.
,,Was nun? Bin ich doch nicht schwanger? Oder ist etwas mit dem Baby?" fragte ich panisch.
Ali hob beruhigend die Hand.
,,Ganz ruhig, Kleines. Hast du denn Schmerzen im Unterleib?" fragte er.
Ich schwieg kurz, um nach Schmerzen zu fühlen, doch da waren keine.
,,Nein." antwortete ich.
Ali nickte.
,,Gut, dann brauchst du dir keine Sorgen machen." meinte er.
Ich sah ihn verwirrt an.
Schließlich hieß eine Blutung nie etwas gutes.
,,Also, schwanger bist du definitiv. Die Blutung hier ist ganz leicht und hell, wie du siehst. Solange du keine Schmerzen hast oder die Blutung tiefrot, klumpig und stark ist, denke ich nicht, dass du einen Abgang hast." erklärte er.
Ich atmete kurz durch.
Also war alles in Ordnung?
,,Du bist laut meiner Rechnung noch sehr früh dran in deiner Schwangerschaft. Ich schätze mal 5. oder 6. Woche erst. Leichte Blutungen in dieser Zeit sind nicht ungewöhnlich. Ich vermute, dass die Blutung noch von der Implantation, beziehungsweise Einnistung kommt. Also keine Angst, ruhe dich einfach etwas aus und dann sollte sie auch schnell wieder verschwinden." meinte er und lächelte aufmunternd.
Mir fiel ein großer Stein vom Herzen.
Es schien alles gut zu sein.
,,Danke." erwiderte ich erleichtert.
Ali nickte mir zu.
,,Trage einfach ein Baumwolltuch, bis die Blutung vorbei geht und entspanne dich etwas. Sollte die Blutung nach einigen Tagen immer noch da sein, kannst du wieder her kommen oder mich rufen, okay?" schlug er vor.
Ich nickte dankend.
Ein Glück.
Für Noëlle eher Pech aber für mich erleichternd.
Also war alles in Ordnung mit dem Baby.
Ich wusste nicht genau, warum ich mich darüber so freute.
Schließlich war dieses Kind wirklich kein Wunsch und Kamil war der Vater.
Wahrscheinlich waren es irgendwelche Hormone, die meine Gefühle veränderten.
,,Danke nochmal." verabschiedete ich mich von Ali.
Dieser nickte noch einmal lächelnd, dann verließ ich das Haus und lief schnell wieder zu dem von Noëlle und mir.
Es war wirklich fürchterlich kalt.
So stieg in mir die Lust auf, etwas mehr Holz in den Kamin zu leben, mir einen schönen Tee zu kochen und es mir auf der Couch gemütlich zu machen.
Ali meinte, ich sollte mich ausruhen, also tat ich das auch.
Wieder im Haus holte ich direkt einige Holzscheite und legte sie ins knisternde Feuer.
Dann holte ich einen Kessel, füllte etwas Wasser hinein und hing ihn über das Feuer.
Zuletzt nahm ich mir eine Tasse und das Teesieb, um die Kräuter im heißen Wasser zu brühen.
Sauber machen wurde demnach heute nichts mehr.
Dafür nahm ich mir vor, meiner Schwester morgen bei den Hausarbeiten zu helfen.
Ich saß wenig später auf der bequemen Couch mit meiner Tasse Tee in der Hand und eine weiche Decke über meine Beine gelegt.
Mein Blick schweifte nach draußen, wo der Schnee langsam zunahm.
Einige der Assassinen fegten den Schnee von ihrer Veranda und aus den Feuerstellen, während die Kinder sich mit den eisigen Schneekristallen bewarfen oder sie zu Türmen formten.
Ich erinnerte mich noch, wie ich als Kind im Sklavenlager mit den kalten Bällen gespielt hatte.
Oder wie ich mit Noëlle eine Schneeballschlacht auf dem Weg hierher gemacht hatte.
In ein paar Jahren würde mein eigenes Kind unter diesen Kindern sein und ihm Schnee spielen.
Ob unter meiner Obhut oder unter der einer anderen Person wusste ich noch nicht.
Aber es würde da sein.
Die Tür wurde geöffnet und ich blickte auf eine völlig eingeschneite Noëlle, die ins Haus stapfte und sich schnell ihre gefrorene Jacke auszog.
,,Noëlle." begrüßte ich meine Schwester, die ihre Stiefel auszog, von denen Schneeklumpen fielen.
,,Die beim Markt hatten keine Gurken mehr, tut mir leid." erwiderte sie.
Ich sah sie unglücklich an.
Nicht wegen den Gurken, sondern weil sie nun ganz umsonst den weiten Weg geritten war.
,,Nein, mir tut es leid. Du bist jetzt ganz umsonst geritten bei dieser Kälte." erwiderte ich und stellte meine Tasse auf den kleinen Holztisch.
Zu meiner Überraschung schüttelte die weißhaarige Alpha den Kopf.
,,Ganz umsonst war es nicht. Ich habe ein paar andere Sachen mitgebracht. Warum sitzt du eigentlich auf der Couch, als wärst du krank?" fragte sie.
Ich sah kurz auf meine Decke.
,,Ich hatte leichte Blutungen vorhin. Ali meinte, es sei nichts schlimmes und ich soll mich nur ausruhen." erklärte ich.
Noëlle nickte leicht und stellte ihre große Tasche auf den Tisch.
,,Was hast du denn mitgebracht?" fragte ich sie.
Meine Schwester setzte sich neben mich, als würde sie nun eine ganz lange Geschichte erzählen.
,,Also, ich habe nach deinen besagten Gurken gefragt aber die Dame am Stand meinte, ich hätte bereits alle gekauft, die sie hatte. Sie hatte mir dann ein paar Äpfel und eingelegte saure Gurken angeboten, die ich dann mitnahm. Warum auch nicht." fing sie an und holte ein Gurkenglas mit sauren Gurken darin aus der Tasche.
Ihre Geschichte war noch nicht vorbei.
,,Ich bin dann weiter, um mich umzuschauen, ob jemand anderes Gurken hätte und bin dann auf einen Fleischhändler gestoßen. Dieser hat mir einen Truthahn zum halben Preis angeboten, da ihn sonst niemand gekauft hätte. Also habe ich auch diesen mitgenommen." berichtete sie weiter und holte das bereits gerupfte und ausgehöhlte Tier heraus, welches in einer Box steckte.
Daraus würde Lyan sicher einen großartigen Schmaus kochen.
Mir lief direkt das Wasser im Mund zusammen, doch ich merkte, dass meine Schwester immer noch nicht fertig war.
,,Mit den sauren Gurken, den Äpfeln und dem Truthahn in der Tasche bin ich also weiter gegangen und wollte gerade zurück nach Hause, als ich an einer Buchhandlung vorbei kam. Sie hatten dort etwas, bei dem ich dachte, dass du dich darüber freuen würdest, jedoch hatte ich kein Geld mehr. Nach einigen Momenten des Handels, bin ich also die Äpfel los geworden und habe das hier für dich bekommen." endete sie, zog ein Buch aus ihrer Tasche und reichte es mir.
Mir blieb der Mund offen stehen, als ich das dunkle Leder erkannte.
Oh mein Gott!
,,The Tower of Westbridge?!" rief ich fassungslos und begeistert zugleich.
Noëlle nickte.
,,Ich dachte, du würdest es gerne zu Ende lesen." meinte sie.
Ich lächelte und fiel ihr um den Hals.
Sie war die beste!
,,Danke." hauchte ich.
Die Alpha strich mir lächelnd über den Kopf.
,,Immer gerne. Aus dem Truthahn dachte ich, könnte Lyan sicher etwas gutes kochen. Vielleicht wird dir dieses Mal nicht schlecht." erwiderte sie.
Ich nickte leicht und lehnte mich weiterhin gehen sie.
,,Das habe ich mir auch schon gedacht. Mir geht es jetzt nach dem Tee ganz gut." meinte ich und blätterte kurz in dem Buch.
Ich konnte es noch gar nicht glauben!
Für ein paar Äpfel hatte sie wirklich dieses großartige Buch bekommen.
Und ich konnte es lesen, wann immer ich wollte.
Ich musste es unbedingt Lyan mal leihen!
Ein Ploppen ließ mich zu meiner Schwester sehen, die das Gurkenglas geöffnet hatte und es mir entgegen hielt.
,,Probier mal, vielleicht schmecken sie dir."
Ich nahm mir eine der kleinen dicken und pickeligen Gurken heraus.
Sie sah sehr interessant aus.
Kurz zögerte ich noch, doch dann biss ich hinein.
Ich verzog das Gesicht, als ich den sauren Geschmack bemerkte.
Was war das denn?
Schwindel-Gurken?!
Noëlle konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
Nach ein paar Mal kauen, musste ich jedoch feststellen, dass die Schwindel-Gurken eigentlich ganz okay schmeckten.
Sie waren nur gewöhnungsbedürftig.
,,Lecker." murrte ich.
Die weißhaarige Alpha grinste.
,,Ich hätte dich warnen sollen. Aber schau, dir wird nicht schlecht." meinte sie und ich stimmte ihr zu.
Mein Magen blieb angenehm ruhig.
Ich biss noch ein Stück von der Schwindel-Gurke ab.
Sie schmeckte wirklich nicht schlecht.
Noëlle stand auf.
,,Ich gehe jetzt kurz zu Lyan und frage ihn, ob er für uns kocht."
Ich nickte und freute mich insgeheim.
Wenn Lyan wieder hierher kam, würde ich ihm das Buch zeigen können!
Aber hoffentlich würde ich mich nicht wieder in seiner Anwesenheit übergeben müssen.
Das wäre so peinlich.
,,Sag ihm, ich freue mich, wenn er kommt." rief ich ihr noch zu, als sie ohne Mantel und in ihren Stiefeln nach draußen ging.
Es würde ihn nicht beeinflussen, doch das war mir egal.
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𝕾𝖓𝖔𝖜 𝖋𝖆𝖑𝖑𝖎𝖓𝖌 (Omega X Omega)
Fantasy[Abgeschlossen Februar 2023] ~~~ England 1814 Sklaverei herrscht im Land. Omegas werden wie Waren an Alphas verkauft und ohne Wert behandelt. Dai, ein Omega, sieht nach seiner Versteigerung die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Verzweiflung, A...