Chapter 57.

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Nachdem ich nun Belle an meinem Strick leise hinter den Häusern durch das Lager geführt hatte, fragte ich mich, wie ich an der Wache vorbei kommen sollte, die vor dem Tor saß und aufpasste, dass kein Eindringling sich in das Lager schlich.
Doch, wie sollte ich es schaffen, an ihr vorbei zu kommen?
Der Wache würde es doch zu 100% auffallen, wenn ich mit einem großen Pferd an ihr vorbei gehen würde.
Das war irgendwie sehr dumm von mir.
Während wir uns langsam dem Tor näherten, überlegte ich mir passende Ausreden.
Belle hat Koliken und muss auch Nachts bewegt werden, sodass sie besser werden.
Eine gute Ausrede, doch die Stute kaute immer noch ein Büschel Heu, weshalb diese Ausrede ziemlich sinnfrei war.
Ich hatte Lust auf einen Spaziergang, mit Pferd.
Natürlich, mitten in der Nacht spazieren gehen.
Wer kannte es nicht?
Ich muss mal für kleine Omegas, doch die Toilette im Haus funktioniert nicht, weshalb ich in den Wald gehe.
Mit einem Pferd.
Diese Ausreden waren alle schlecht, bis auf die erste.
Also zog ich Belle das Büschel Heu aus der Schnute und lief weiter zum Tor.
Mein Herz raste panisch, als ich die Wache bereits erblickte, die auf einem Stuhl saß und...
Und schnarchte.
Mürrisch betrachtete ich die Alpha die schlafend vor mir auf einem Stuhl saß, die Augen geschlossen.
,,Eine wirklich tolle Wache, nicht wahr?" murrte ich zu Belle.
Natürlich antwortete das Pferd nicht.
Ich seufzte kurz, dann öffnete ich leise das Tor und trat hindurch, Belle dicht hinter mir.
Wie dumm von den Assassinen hier eine Wache hinzusetzen, die sowieso nicht aufpasste.
So trat ich hinaus in den Wald, der sich hinter dem Tor erstreckte.
Er wirkte so viel gruseliger als sonst.
Die dünnen, kahlen Äste der hohen Bäume sahen aus wie spitze Knochen, die im Mondlicht weiß glühten.
Der Schnee war mit Spuren von Tieren, Menschen und Rädern plattgewalzt und mit Schlamm befleckt.
Kein besonders schöner Anblick.
Einen Augenblick lang fröstelte es mich.
Sollte ich wirklich gehen?
Lyan würde sicher krank vor Sorge werden und meine Schwester würde töten, um mich zurück zu holen.
Doch meine Mutter brauchte mich, egal wie viele Schritte ich dafür gehen musste.
Der erste Schritt war es, herauszufinden, wo sie war, damit ich ihr helfen konnte.
Sie brauchte meine Hilfe.
Ich blickte mich um und fand schnell einen hohen Stein, auf den ich mich stellen konnte, um mich auf Belles Rücken zu schwingen.
Ich würde das irgendwie schaffen.
Ich stellte mich auf den Stein und schwang ein Bein hoch, strauchelte jedoch etwas.
Belle war so ein riesiges Tier.
Ich nahm meinen ganzen Mut und meine Kraft zusammen, griff mit einer Hand in ihre Mähne und mit der anderen Hand an ihren Hals und zog mich mit einen Ruck hoch.
Verblüfft sah ich nach unten, als ich bemerkte, dass ich tatsächlich auf ihr saß.
Ich hatte es geschafft!
Am liebsten hätte ich vor Freude aufgerufen, doch dann hätte ich sicher auf mich Aufmerksam gemacht.
Also verkniff ich mir meine Freude und nahm den Strick, der um Belles Hals lag.
,,Und los." trieb ich sie leise an, während ich mit meinen Beinen leicht gegen ihre Seite klopfte.
Kurz zuckte ich zusammen, als das Tier sich in Bewegung setzte und langsam durch den Schnee trottete.
,,Woah." ließ ich überrascht ertönen, als ich beinahe den Halt verlor, mich jedoch noch fangen konnte.
Ich war noch nie auf so einem großen Tier geritten.
Ich klammerte mich fester an das Seil und ließ den Kopf etwas unten.
So hatte ich einen etwas besseren Halt.
Der Schnee unter Belles Hufen knirschte leise, als wir den Waldweg entlang ritten.
Zum ersten Mal fragte ich mich, wo ich überhaupt hin musste.
Ich wusste nicht, wo genau Beta 27 lag.
Nachdem Kamil mich gekauft hatte, war ich Ohnmächtig geworden und hatte den Weg von dem Lager zu seinem Haus nicht mitbekommen.
Jedoch wusste noch, wo Kamil wohnte.
Zögerlich blickte ich nach Vorn in die Finsternis.
Sollte ich Kamil aufsuchen und ihn fragen?
Noëlle hätte bei diesem Gedankengang sofort geknurrt und mich für bescheuert erklärt.
Schließlich hatte Kamil mich missbraucht und geschwängert.
Er wollte mich wie Zuchtvieh behandeln, nur damit seine Familie größer wurde.
Allerdings wusste er, wo Beta 27 lag und jemand anderes konnte ich nicht fragen.
Ich durfte niemanden trauen, der mir zufällig begegnen würde.
Zu groß war die Gefahr, dass sie mich auf den Sklavenmarkt bringen würden.
Ich zitterte leicht und zog meine Kapuze über.
Ich musste spontan entscheiden, was ich tun sollte.
Schließlich war ich jetzt auf mich allein gestellt.
Noëlle und Lyan waren nicht an meiner Seite.
Kurz umhüllte Angst und Sehnsucht mein Herz.
Ich hatte Lyan einfach so verlassen.
Er würde eine leere Stelle finden, wenn er aufwachen würde.
Er würde sicher panische Angst haben.
Und meine Schwester?
Sie würde mich persönlich suchen kommen, um mich an den Haaren zurück ins Lager zu zerren und mich für immer ins Haus zu sperren.
Irgendwie hatte sie auch ein Recht darauf.
Ich schüttelte kurz meinen Kopf und richtete meinen Fokus wieder auf das, was ich eigentlich wollte.
Ich wollte Informationen über meine Mutter erhalten und herausfinden ob und wo sie lebte.
Ich spürte, wie müde ich eigentlich noch war.
Die Sache mit meiner Mutter, die Schwangerschaft, Belles ruhiger und gleichmäßiger Gang.
All diese Dinge machten mich sehr schläfrig.
Ich beschloss dem Pferd zu vertrauen, was ihre Führung anging.
Sie war sanft und würde sicher nicht einfach so losstürmen, sodass ich fiel und mir irgendetwas brach.
So seufzte ich kurz, beugte mich nach vorn und legte meinen Kopf auf Belles Hals, der durch weiches Fell gewärmt wurde.
So kuschelig.
Ich strich der Stute über das weiche dunkle Fell, ließ jedoch den Strick nicht los.
Langsam schloss ich meine müden Augen.
Die Schritte des Pferdes waren gleichmäßig, wie das Schaukeln einer Kinderwiege und die Wärme von Belle erinnerte mich an Lyans warmen Körper, wenn er mit mir schmuste.
Langsam wurde alles um mich herum leiser, bis schließlich alles verstummte.

𝕾𝖓𝖔𝖜 𝖋𝖆𝖑𝖑𝖎𝖓𝖌 (Omega X Omega) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt