Chapter 81.

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Ich wusste nun also, was in dem Kopf meiner Schwester für Gedanken herrschten.
Angst.
Zweifel.
Unruhe.
Die Angst sich an jemanden zu binden.
Die Angst jemanden geliebten zu verlieren.
Ich sah mitfühlend zu meiner Schwester, die plötzlich so klein und einsam wirkte.
Sie hatte Angst.
So große Angst.
,,Oh, Noëlle."
Ich ging auf die große Alpha zu, legte meine Arme um sie und drückte sie fest an mich.
Sie konnte doch nichts dafür, dass Lyan seine Tochter verloren hatte.
Und sie würde auch nichts dafür können, würde mich das selbe Schicksal ereilen.
Niemand konnte etwas dafür.
,,Dass das bei Lyan so schief lief, war nicht deine Schuld. Ja, es hat ihm und auch dir sehr weh getan, doch Lyan hat gelernt loszulassen. Das musst du auch. Du wirst Tante, Noëlle und ich brauche dich, weil du meine Schwester bist. Also bitte, lass die Vergangenheit hinter dir und bleibe bei mir und in unserer Familie." flüsterte ich.
Würde ich nach meiner Mutter nun auch noch meine Schwester verlieren, wüsste ich nicht weiter.
Sie hatte mich gefunden und hierher gebracht.
Sie war immer an meiner Seite gewesen.
Ohne sie, würde ich hier nicht mehr stehen.
,,Ich weiß nicht, ob ich loslassen kann." erwiderte sie.
Ich blickte zu ihr hoch und endlich in ihre klaren Augen.
,,Du kannst das, das weiß ich. Konzentriere dich auf die Gegenwart und die Zukunft. Schließlich ist deine Nichte oder dein Neffe unterwegs und möchte eine mutige und starke Tante haben." meinte ich und sah, wie sie etwas schmunzeln musste.
,,Und du solltest mit Inola darüber reden. Wenn ihr zusammen sein und Kinder bekommen wollt, wäre es besser eure gegenseitigen Zweifel und Ängste klarzustellen und zu lösen." ergänzte ich ermutigend.
Kommunikation war der Schlüssel einer gesunden und lang anhaltenden Beziehung.
Sie mussten miteinander reden.
Die weißhaarige Alpha nickte leicht, was mich erleichterte.
Somit würden sich ihre Ängste hoffentlich von ihr lösen.
Und so kehrte auch die Entschlossenheit wieder in den Körper meiner Schwester zurück.
,,Ich soll nicht in der Vergangenheit leben. Damit hast du recht." sagte sie plötzlich und löste sich aus unserer Umarmung.
Verwirrt sah ich zu, wie sie auf einen Schrank zuging und eines der Fächer öffnete.
,,Was hast du vor?"
Noëlle holte etwas aus dem Fach.
Ihre Augen leuchteten sicher und sie lächelte ein wenig.
,,Ich lasse los."
Mit großen Augen sah ich zu, wie sie mit einer Hand in ihre langen weißen Haare griff und einen anderen Gegenstand ansetzte.
Kurzerhand fielen die ersten silbrig weißen Strähnen auf den dunklen Boden.
Immer und immer mehr Haare fielen.
Die Längen wurden immer kürzer und kürzer.
Bis Noëlle stoppte, den scharfen Gegenstand auf den Schrank legte und sich durch die verbliebenen Strähnen strich.
Sie waren nicht so lang, wie ihre Haare zuvor, sondern reichten ihr nun bis zu den Schultern.
Es sah anders aus.
Aber nicht schlecht.
Nur anders.
Die weißhaarige Alpha blickte auf die hellen Strähnen am Boden.
Kurz schien sie zu zögern und ihre Entscheidung zu überdenken.
Doch dann wurde ihr Blick ernst.
,,Die Vergangenheit liegt nun hinter mir." hörte ich sie murmeln.
Wie sehr diese Haare ihre Vergangenheit symbolisiert hatten, war mir nicht wirklich klar.
Doch anhand der Länge, mussten sie eine ganze Ewigkeit symbolisiert haben.
Und diese Vergangenheit mit ihrer Ewigkeit hatte sie nun losgelassen.
Sie war frei.
Frei und bereit für die Zukunft.
,,Es steht dir." meinte ich und lächelte.
Noëlle wirkte nun noch stärker und selbstsicherer als zuvor.
Wie ein Falke oder ein stolzer Adler.
Sie hatte neuen Mut gefasst.
,,Ich muss jetzt unbedingt mit Inola reden." entschied sie.
Ich nickte ihr zu.
Das war das, was ich von ihr hören wollte.
Ein klarer Entschluss.
,,Sie ist bei Lyan und Pakka im Garten." erwiderte ich und sah ihr nach, als sie sich eilig auf den Weg zu ihrer Omega machte.
Ich hingegen verweilte noch eine Weile in dem Zimmer und blickte auf die hellen abgeschnittenen Strähnen.
Noëlle hatte sich von einer schweren Last befreit.
Genau wie Lyan und ich, hatte sie gelernt, mit der Vergangenheit abzuschließen und sie zu akzeptieren.
Auf sie würde eine großartige Zukunft an Inolas Seite warten.
Ich entschloss nach einer Weile meiner Schwester zu meinem Partner zu folgen und verließ das Haus.
Die warme Sonne schien auf die grünen Grashalme und zwei weiße Schmetterlinge flogen tanzend über die Blüten am Wegesrand, während ich den Weg zu Lyans Haus nahm.
Von Weiten konnte ich Inola, Lyan, Noëlle und Pakka bereits erblicken.
Meine Familie.
Ich beeilte mich ein wenig und kam schnell bei meinem Partner an, während Inola und meine Schwester sich ein wenig entfernten, um etwas Privatsphäre zu haben.
Lyans Rubinaugen leuchteten, als ich neben ihn kam.
,,Du konntest mit ihr reden." stellte er fest.
Ich nickte und lächelte.
,,Ja und ich habe eine Lösung für ihr Problem gefunden. Kommunikation." erwiderte ich.
Der hübsche Omega neben mir schmunzelte.
,,Du bist unglaublich, weißt du das?" fragte er.
Ich blickte in seine schönen klaren Augen.
In ihnen leuchtete die warme Mittagssonne in Form kleiner Rubine.
Einfach nur wunderschön.
,,Unser wartet eine großartige Zukunft, meinst du nicht?" fragte ich ihn.
Lyan nickte leicht und berührte mit seiner warmen Hand meinen Bauch.
Wärme erfüllte mein Herz.
Nicht nur Noëlle würde eine unbeschreibliche Zukunft mit Inola haben, sondern auch ich mit meinem Partner Lyan.
Wir würden Jahr um Jahr zusammen sein.
Jedes Abenteuer zusammen erleben.
Jede Hürde gemeinsam bewältigen.
Wir als Partner.
Wir als Familie.

𝕾𝖓𝖔𝖜 𝖋𝖆𝖑𝖑𝖎𝖓𝖌 (Omega X Omega) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt