Chapter 28.

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Verschlafen blinzelte ich, als ich von gedämpften Stimmen geweckt wurde.
Ein kalter und frostiger Morgen war angebrochen.
Matte Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch das kleine Fenster und bemalten den hölzernen Fußboden mit Lichtmustern.
Der Platz neben mir war leer.
Noëlle war wohl schon erwacht und aufgestanden.
Ich setzte mich murrend auf und sah mich kurz um.
Wie spät war es?
Dadurch, dass es Winter war, war es schwer einzuschätzen, wie hoch die Sonne stand.
Wir brauchten auf jeden Fall noch eine Uhr hier im Haus.
Vielleicht würden wir mal auf den Markt gehen, um eine zu holen.
Ich streckte meine Arme hinter meinem Rücken, dann stand ich auf.
Es war ein neuer Morgen, ein neuer Tag und eine neue Gelegenheit mit Lyan zu sprechen.
Schnell erhob ich mich und lief zu meinem Schrank.
Er war gefüllt mit Noëlles Sachen und mit einigen Anziehsachen, die ich geschenkt bekommen hatte.
Sie waren sehr schlicht, ließen mich mehr wie ein Bauernkind aussehen, dennoch war ich froh etwas zum Anziehen zu haben.
Unterwäsche und Strümpfe waren schnell gefunden.
Doch, welches Kleid sollte ich tragen?
Ich hatte die Auswahl zwischen dreien.
Ein blassen blaues Kleid aus weichem Stoff mit kurzen Ärmeln.
Ein anderes braunes Kleid mit weißem Brustteil und weißen Ärmeln.
Und zuletzt ein weißes Kleid mit blauen Mustern.
Nach einiger Zeit des Überlegens, entschied ich mich für das weiße Kleid mit den blauen Mustern.
Es war wunderschön, elegant und dennoch schlicht.
Würde es Lyan auch gefallen?
Was dachte er, wenn er mich sah?
Hatte er die selben Gedanken, wie ich über ihn?
Ich seufzte kurz und griff noch nach meinem Korsett.
Lyans Gedanken waren sicher ganz anders, als meine.
Auch wenn er mich so sanft ansah.
Wahrscheinlich war ich für ihn nur der kleine Bruder seiner besten Freundin.
Was auch sonst?
Wir kannten uns noch nicht lange, warum sollte ich mehr für ihn sein?
Ich beschloss den Gedanken fallen zu lassen und verließ das Schlafzimmer, auf dem Weg ins Badezimmer.
Die Stimmen wurden lauter, als ich in den kleinen Flur trat.
Ich erkannte schnell die starke Stimme meiner Schwester.
Doch, wer war die andere Person?
Kurz blickte ich in die Küche und erblicke Noëlle, die mit einem anderen Alpha redete.
Er war definitiv größer als ich, hatte etwas längere Haare und eine große Tasche bei sich.
Wer war das?
Noëlle bemerkte mich sofort, als eine Holzlatte knarrte.
,,Du bist wach." stellte sie fest.
Ich nickte leicht, mit meinen Sachen in der Hand.
,,Ich gehe mich kurz anziehen, dann können wir frühstücken." erwiderte ich und wollte mich wieder wegdrehen, doch meine Schwester hielt mich zurück.
,,Warte, bevor du gehst, das hier ist Ali, der Mediziner." stellte sie den anderen Alpha vor.
Ich nickte ihm höflich zu.
,,Hat Noëlle wieder etwas angestellt, weshalb du sie verarzten musst?" fragte ich schelmisch.
Ali schmunzelte, schüttelte jedoch den Kopf.
,,Um genau zu sein bin ich wegen dir hier. Noëlle meinte, du könntest vielleicht schwanger sein." erklärte er.
Ich sah kurz zu der Alpha, dann nickte ich leicht.
,,Ja, es könnte sein. Meine Blutung ist auch noch nicht da aber das muss nichts bedeuten, oder?" fragte ich.
Ali wog den Kopf hin und her.
,,Es kommt darauf an, wie lange sie schon nicht gekommen ist." meinte er und holte einen kleinen Becher aus seiner Tasche hervor.
,,Wir können ganz einfach testen, ob du ein Kind unter dem Herzen trägst. Dazu bräuchte ich etwas Urin von dir." ergänzte er.
Ich sah ihn überrascht und verstört zugleich an.
Urin?!
Ich sah zu Noëlle, in der Hoffnung, dass dies ein Scherz war.
Doch ihr Blick war todernst.
Gruselig.
Etwas missmutig nahm ich den kleinen Becher.
Das war verstörend!
Warum brauchte man dazu Urin?
Könnte man das nicht irgendwie anders herausfinden?
,,Gut, ähm, ich gehe dann mal." meinte ich etwas unsicher.
Ali nickte.
,,Einfach rein damit. Das muss dir auch nicht peinlich sein." erwiderte er.
Ich nickte nur, was mehr sarkastisch wirken sollte.
Natürlich war es peinlich!
Was dachte er sich?!
Ich seufzte innerlich.
Ich musste da also durch.
,,Und was genau hast du jetzt damit vor?" fragte ich, als ich eine halbe Stunde später wieder die Küche betrat.
Ich hatte mich kurz mit einem Lappen gewaschen, mich angekleidet und meine Haare zurecht gemacht.
Danach hatte ich mich um den unschönen Teil mit dem Becher gekümmert.
Diesen reichte ich nun wieder Ali, der einen Teelöffel mit etwas Salz bei sich hatte.
,,Damit schauen wir jetzt, ob du wirklich ein kleines Baby in dir hast. Wenn ja, wird dein Urin gleich aufschäumen, durch die Hormone der Schwangerschaft. Wenn nicht, bleibt alles unverändert und du bist nicht schwanger." erklärte er kurz.
Ich sah gespannt zu, wie Ali das Salz in den Becher gab.
Auch bemerkte ich, wie angespannt Noëlle neben mir auf das Experiment starrte.
Ich wusste genau, dass sie hoffte, die Flüssigkeit würde ruhig bleiben.
,,Ich denke wir haben ein Ergebnis." meinte Ali.
Er hatte recht.
Es war eindeutig.
Die Flüssigkeit schäumte.
Ein Schauer lief über meinen Rücken, als Noëlles scharfe Pheromone beinahe wie Messerstiche durch den Raum flogen und ihr ein Knurren entwich.
Ich war schwanger.
Mit Kamils Baby.
Es faszinierte mich, wie ruhig ich selbst war.
Schließlich war das nicht gerade eine positive Nachricht.
Wahrscheinlich war es eher ein kleiner Schock und die ganzen Emotionen würden erst später ausbrechen, wenn ich richtig realisierte, was geschehen war und was auf mich zukommen würde.
Ein Kind.
,,Ich bringe ihn um." hörte ich Noëlle mehr zu sich sagen, als zu mir oder Ali.
Konnte man es ihr verübeln?
In diesem Moment flogen meine Gedanken zu Lyan und die Realität brach ein.
Was würde er denken?
Wie würde er reagieren?
Würde er nichts mehr mit mir zu tun haben wollen?
Würde er mich stehen lassen?!
Würden wir uns jemals näher kommen?!
Oh Gott!
Was jetzt?!
Er würde mich hassen, würde er von dem Ding erfahren!
Oh nein, nein, nein!
Angst kroch meinen Rücken hoch.
Was sollte ich jetzt machen?
Ich konnte doch jetzt kein Kind bekommen!
Ich sah mein Leben an mir vorbei ziehen und das, was meiner Meinung nach geschehen würde, würde ich Lyan davon erzählen.
Er würde nie wieder ein Wort mit mir wechseln.
Er würde mich nie wieder ansehen.
Er würde mir nie wieder ein Lächeln schenken.
Er würde mich verstoßen, über mich reden und mich bis an mein Lebensende hassen.
Das war mein schlimmster Alptraum.
,,Was sollen wir jetzt machen? Er ist zu jung, um ein Baby zu bekommen." fragte Noëlle Ali, während ich nur gegen die Wand starren konnte.
,,Soweit ich weiß, ist Dai volljährig, also nicht zu jung. Generell, ich kann nichts dagegen unternehmen." erwiderte er.
Noëlle schnaubte.
,,Komm schon, es gibt doch sicher irgendein Kraut, welches die Schwangerschaft abbrechen könnte." meinte sie.
Ali schüttelte den Kopf.
,,Damit würden wir Dais Leben in Gefahr bringen."
Die weißhaarige Alpha knurrte.
,,Ach und mit einer Schwangerschaft oder Geburt etwa nicht? Was, wenn sein Körper nicht bereit ist für ein Kind? Was, wenn es zu Komplikationen kommt? Lässt du ihn dann einfach sterben?!" zischte sie wütend.
Ali hob die Hände vor der Alpha und schüttelte den Kopf.
,,Sollte es so weit kommen, werde ich alles in meiner Macht stehende tun, um Dai zu retten, das verspreche ich dir. Aber Dai wird dieses Kind bekommen müssen. Es gibt keine sichere Möglichkeit für einen Abbruch." erklärte er und machte eine kurze Pause, in der sich meine Schwester beruhigen sollte.
,,Er muss dieses Kind ja nicht behalten. Er kann es nach der Geburt auch einfach einer anderen Omega in die Hand drücken. Hier im Langer gibt es durchaus Pärchen, die sich ein Kind wünschen, es aber einfach nicht funktionieren will. Allerdings liegt diese Entscheidung allein bei Dai." ergänzte er.
Noëlle sah mich mit ihren eisigen Augen an.
,,Was hältst du davon?" fragte sie direkt.
Ich sah sie verwundert und ängstlich an.
In meinem Kopf schwirrte nur Lyans hübsches Gesicht.
,,I-Ich w-weiß nicht. Ich brauche kurz Zeit allein." murmelte ich und drehte mich weg.
Noëlle wollte noch etwas sagen, doch ich lief einfach an ihr vorbei in unser Zimmer.
Ich musste nachdenken.
Sehr viel nachdenken.
Mein ganzes Leben hatte sich soeben um 180 Grad gedreht.
Ich konnte kaum klar denken.
Immer wieder blitzte Lyan vor meinem geistigen Auge auf, sagte etwas und verschwand dann.
Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Zimmertür, als ich diese schloss und tiefe Stille herrschte.
Mein Ebenbild spiegelte sich im Spiegel, der gegenüber von der Tür stand.
Das was ich dort sah, war ein kleiner zerbrechlicher Omega.
Ich sah, wie sich schwere Ketten um ihn schlugen und ihn zu Boden rissen, er um Hilfe schrie aber niemand ihn hörte.
Er war allein.
Allein in seiner Situation.
Genau, wie ich in meiner.
Diese Sache, dieses Ding, war allein meine Sache.
Niemand konnte mir helfen.
Ich war allein.
Ganz allein.

𝕾𝖓𝖔𝖜 𝖋𝖆𝖑𝖑𝖎𝖓𝖌 (Omega X Omega) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt