Miss Lee zupfte meine Ärmel zurecht.
Ich stand vor dem großen Spiegel im Ankleideraum und betrachtete mein Spiegelbild, welches nun ein bodenlanges weißes Kleid mit mittelkurzen Ärmeln und hellblauen Rüschen trug.
Ich sah aus, wie eine aufgeputzte Taube, die man beim Karneval per Lose gewinnen konnte.
,,Was ist falsch an knielangen Kleidern?" fragte ich Miss Lee, die mir eine silbrige Kette umlegte.
Die Frau war so überrascht von der Frage, dass sie kurz nachdenken musste.
,,Nun Schätzchen, bei knielangen Kleidern kann man deine Beine sehen, was die Alpha dazu antreiben würde skandalöse Dinge mit dir anzustellen. Darum musst du deine Beine, deine
Schultern und deinen Busen verdecken, um anständig zu bleiben." erklärte sie.
Ich drehte den Kopf und sah sie fragend an.
,,Skandalöse Dinge?" fragte ich.
Miss Lee nickte.
,,Alphas können sich bei solchen reizvollen Anblicken nicht zurückhalten, Kleines. Sie könnten versuchen dich zu küssen und dir deine Unschuld zu nehmen. Wenn das geschieht, sinkst du rasant in der Gesellschaft." meinte sie.
Ich schüttelte leicht den Kopf.
Ein Kuss war doch nichts schlimmes oder?
Und was war mit sinken in der Gesellschaft gemeint?
,,Du darfst keinen Alpha zwischen deine Beine lassen, nicht ohne Ehering." erklärte Miss Lee weiter und kämmte mit einer silbernen Bürste durch meine Haare.
Nun war ich komplett verwirrt.
Was war zwischen meinen Beinen, was so schlimm war?
,,Wieso nicht?" fragte ich, so ahnungslos ich war.
Miss Lee strich leicht über meine Schulter.
,,Deine Jungfräulichkeit ist ein Geschenk für den Alpha, den du irgendwann einmal heiraten wirst. Wenn du deine Jungfräulichkeit bis zur Hochzeitsnacht nicht aufhebst, wird es dir sehr schlecht ergehen. Ein Schloss, welches mit vielen Schlüsseln geöffnet werden kann, ist ein schlechtes Schloss." antwortete sie und legte die Bürste weg.
Ich drehte mich zu ihr.
,,Und die Alphas? Was ist mit deren Jungfräulichkeit?" fragte ich.
Miss Lee schüttelte den Kopf.
,,So etwas gibt es nur bei den Omegas, Kleines. Die Alphas müssen sich hin und wieder die Hörner abstoßen und ihren Trieb ausleben, wofür es extra Personen gibt, die dafür bezahlt werden mit den Alphas zu schlafen. Diese Personen sind jedoch ganz unten in der Gesellschaft und werden es nie schaffen ganz nach oben zu kommen. Du kannst also froh sein, hier in einem wohlhabenden Haus zu leben. Also, behalte deine Jungfräulichkeit bis zur Hochzeitsnacht, wenn du deinen Ehemann beglücken und mit ihm Kinder haben willst." erklärte Miss Lee, räumte das knielange Kleid weg und ließ mich mit meinen wirren Gedanken schweigend stehen.
Es klang logisch, doch trotzdem verwirrten mich diese Fakten der Gesellschaft sehr.
Ab wann war man denn bitte so tief in der Gesellschaft gesunken, sodass man keine Anerkennung oder Beachtung von anderen mehr bekam?
Man musste ziemlich schlimme Dinge getan haben, wenn man so tief sank und keinerlei Menschenwürde mehr hatte.
Ich lief den Gang entlang zurück zum Wohnzimmer.
Das lange weiße Kleid schliff leicht auf dem Boden.
Es war fast so schön, wie das von Lady Agnes.
Es fehlten nur die Perlen, die Diamanten und das gewisse Funkeln des Stoffes.
Ich rechnete nicht damit jemals so ein Kleid, wie Lady Agnes, tragen zu dürfen.
Schließlich war ich immer noch ein Omega und wir standen unter den Alphas, in allen Kategorien.
Schönheit, Status, Bildung, in allen diesen Dingen standen die Alphas ganz vorn und die Omegas ganz am Ende.
Ich durfte Lady Agnes vom Aussehen her nicht übertreffen.
Ich wollte gerade um die Ecke biegen, als ich Stimmen aus der Wohnstube hörte.
Kay unterhielt sich mit seinen Eltern.
Neugierig lauschte ich, da mein Name genannt wurde.
,,Dai ist perfekt, wie für mich gemacht. Ich werden schon bald um seine Hand anhalten." hörte ich
Kay's Stimme.
,,Die Hochzeit müsste aber schnell gehen, da ich sehr bald an einem internationalen Schachwettbewerb teilnehme Danach würde ich gerne zu einem schwangeren Omega zurückkehren." ergänzte er.
Angespannt hörte ich zu.
Heiraten?
Kay wollte mich heiraten?
Lady Agens schüttelte leicht den Kopf.
,,Kay, was, wenn er deinen Antrag ablehnt? Wenn er dies tut, brauchen wir einen besseren Plan. Den Heiratsmarkt vielleicht? Er wäre ein etwas späterer Debütant, doch für ihn wäre ein Mann sicher schnell gefunden." meinte sie
Ich sah, wie Kamil den Kopf schüttelte.
,,Ich weiß nicht, ob ich das erlauben kann. Dai ist gerade mal wenige Stunden hier und soll sich die nächsten Jahre möglichst frei entwickeln." sagte er, woraufhin ich sah, wie Lady Agnes ihn mit großen Augen ansah.
,,Frei entwickeln? Willst du damit sagen, er soll homosexuell werden? So etwas kannst du nicht zulassen!" sagte sie.
Kamil schüttelte wieder den Kopf.
,,So etwas werde ich auch niemals dulden. Ein Omega braucht einen Alpha und keinen Omega. In der Bibel heißt es schließlich Adam und Eve und nicht Eve und Victoria. Doch er ist noch jung. Die meisten Debütanten sind über 20 Jahre und Dai ist gerade mal 18. Ich würde ihn noch nicht auf den Heiratsmarkt drängen." erklärte er.
Lady Agnes schüttelte den Kopf.
,,Nein, je jünger er ist, desto bessere Chancen hat er. Die Männer von heute wollen junge und frische Omegas. Ich werde schon bald ihm passende Kandidaten vorstellen. Dieser Omega muss verheiratet werden und Nachkommen in die Welt setzen, sonst ist er verloren." meinte sie.
Kay mischte sich wieder ein.
,,Ich werde ihn trotzdem fragen. Vielleicht haben wir das Glück und er sagt ja."
Lady Agnes nickte, Kamil schwieg.
Ein ungutes Gefühl stieg in mir auf.
Ich wollte Kay nicht heiraten und auch nicht auf den Heiratsmarkt gehen.
Ich wollte lieber mich selbst entdecken und meine Freiheit genießen.
Schnell lief ich los und versteckte mich in einem der Gästezimmer neben dem Wohnzimmer, da ich Schritte wahrnehmen konnte.
Es waren wahrscheinlich Kamils Schritte, die die Wohnstube verließen, am Gästezimmer vorbei liefen und schließlich ganz verstummten.
Nervös trat ich wieder aus dem Gästezimmer.
Mir gefiel es gar nicht, dass ich verheiratet werden sollte.
Schon gar nicht mit Kay.
Er wirkte so eintönig und außerdem sehnte ich mich nicht gerade danach mit einem Alpha zusammen zu sein und dessen Kinder zu versorgen.
,,Dai-" ich erschrak mich furchtbar, als Kay plötzlich neben mir stand und mich ansprach.
Hatte er bemerkt, dass ich sie belauscht hatte?!
Mit großen Augen sah ich Kay an.
Dieser lächelte sanft.
,,-hättest du Lust mit mir nach draußen in den Garten zu gehen?" fragte erfreundlich.
Ich zögerte.
Er wollte mir sicher im Garten einen Antrag machen.
Das wäre so unangenehm.
Ich wusste nicht warum, doch ich hatte mich noch nie zu irgend einem Alpha hingezogen gefühlt.
Egal wie attraktiv er auch war, ich fühlte rein gar nichts.
War das nicht seltsam?
,,Draußen ist es ziemlich eisig. Ich würde die Bibliothek eher begrüßen." meinte ich und lächelte ebenfalls.
Ich hoffte, dass Kay nicht Büchern interessiert war und mich damit in Ruhe ließ, doch ich hatte umsonst gehofft.
,,Oh, ich liebe die Bibliothek. Du hast recht, draußen ist es etwas zu kalt aber lesen beim Kaminfeuer ist eine gute Abwechslung bei dieser Jahreszeit." erwiderte er.
Ich nickte und lächelte, um meinen gequälten Blick zu verbergen.
Wahrscheinlich würde er mich sogar auf der Toilette fragen, ob ich ihn heiraten wollte.
Eigentlich wollte ich allein in der Bibliothek stöbern und meine Ruhe haben, doch dieses Haus war Kays Zuhause, weshalb ich Kay nicht wegschicken konnte.
Ich musste es einfach akzeptieren.
Er musste es einfach akzeptieren!
Ich würde nein sagen, egal wie sehr er mich auch anflehen würde ihn zu ehelichen
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𝕾𝖓𝖔𝖜 𝖋𝖆𝖑𝖑𝖎𝖓𝖌 (Omega X Omega)
Fantasía[Abgeschlossen Februar 2023] ~~~ England 1814 Sklaverei herrscht im Land. Omegas werden wie Waren an Alphas verkauft und ohne Wert behandelt. Dai, ein Omega, sieht nach seiner Versteigerung die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Verzweiflung, A...