Chapter 42.

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Deprimiert saß ich auf einem abgeholzten Baumstumpf, von dem ich einen guten Blick auf den Eingang des Lagers der Assassinen hatte.
Ich hatte schlecht geschlafen, finstere und schmerzhafte Alpträume gehabt.
Dadurch, dass meine Schwester schon bald ins Lager zurückkehren würde, hätte ich mich früh bei Lyan für den Unterschlupf und seine Verpflegung bedankt und hatte mich danach direkt verabschiedet.
Ich musste einfach weg, um nicht noch mehr verletzt zu werden.
Das Schauspiel meiner Gefühle war schon schwer genug.
Und so wartete ich auf Noëlle, während die Lichtung immer mehr zugeschneit wurde.
Einige der Assassinen hatten bereits Schaufeln aus ihren Häusern geholt und schippten ihre Wege frei.
Ich hingegen saß hier mit meiner Kapuze über dem Kopf und schmollte.
Wenigstens das konnte ich am besten.
Herumsitzen und schmollen.
Ich ließ einen langen Seufzer ertönen, der in einer weißen Wolke emporstieg.
Noëlle sollte sich besser beeilen.
,,Meine Güte, der war aber lange und intensiv." hörte ich eine vertraute Stimme.
Ich drehte den Kopf, wobei etwas Schnee von meiner Kapuze fiel.
,,Oliver." begrüße ich den dunkelblonden Omega.
Dieser lächelte leicht und seine grünen Augen schimmerten.
,,Du wartest sicher auf Noëlle, oder?" fragte er und legte das Bündel Holzscheite in seiner Hand kurz auf den frei gefegten Boden.
Ich nickte leicht.
,,Ich hoffe bei der Mission ist alles gut verlaufen." erwiderte ich, allerdings merkte ich, wie Oliver mich betrachtete.
In seinen Augen leuchtete ein wenig Sorge.
,,Ist etwas geschehen? Du wirkst so unglücklich." fragte er und setzte sich auf den Holzstamm neben mir.
Sollte ich ihm wirklich sagen, was los war?
Es ging ihn eigentlich nichts an.
Dennoch tat seine Sorge irgendwie gut und ich hatte das Bedürfnis mich auszusprechen.
,,Ich habe gestern realisiert, dass ich meine Hoffnung bezüglich der Liebe einer Person hier aufgeben sollte." erklärte ich kurz.
Oliver sah mich mitfühlend an.
,,Das tut mir leid. Darf ich fragen, warum?"
Ich seufzte wieder.
,,Ich dachte immer seine Gesten würden bedeuten, dass er interessiert an mir wäre, doch langsam merkte ich, dass dem nicht so ist. Wie auch? Wir kennen uns noch nicht solange. Warum sollte er mich auch lieben?"
Beim letzten Satz spürte ich, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.
Warum sollte er mich auch lieben?
Ich war derjenige, der sich so schnell und so närrisch in Lyan verliebt hatte.
Ich war derjenige, der sich eine Zukunft mit ihm vorgestellt hatte, ohne seine Gefühle zu kennen.
Ich war derjenige, der sich in jedem einzelnen Moment Hoffnung gemacht und nach jedem noch so kleinen Anzeichen gesucht hatte.
Das war nicht richtig.
,,Ich war so dumm und habe mir eine Zukunft mit ihm ausgemalt, ohne zu wissen, wie seine Gefühle mir gegenüber sind. Er sieht mich nur als Bruder seiner besten Freundin, mehr nicht. Die ganze Zeit hatte ich Hoffnung und mir gewünscht, dass er der richtige wäre. Die ganze Zeit wollte ich nur einen Partner, der mich und das Baby akzeptiert und versteht, was geschehen ist. Doch er scheint nicht die gleichen Ansichten zu haben." ergänzte ich und wischte eine Träne von meiner Wange.
Dann atmete ich tief durch.
All diese Worte hatten nun mein Herz ein wenig befreit.
Olivers tröstende Pheromone schwirrten um mich herum und ersetzten den Geruch nach kalten Schnee durch den eines saftigen Pfirsichs.
,,Das tut mir alles so leid. Ich habe gar nicht gewusst, durch was du alles momentan gehst. Herzschmerz, ein Kind. Das muss hart sein." meinte er.
Ich nickte leicht.
,,Es zerbricht mich." hauchte ich.
Einen Moment schien Oliver zu überlegen.
,,Vielleicht kann ich dich etwas erheitern. Komm doch wieder mit zu den Pferden. Wir putzen sie und dann backen wir ein paar Kekse bei mir, hm?" schlug er vor.
Ich überlegte einen Moment.
Oliver war so nett zu mir.
Er schien sich um mich zu sorgen.
Ich sah ihn an.
,,Könnten wir das vielleicht machen, wenn Noëlle da ist?" fragte ich.
Oliver nickte und lächelte.
,,Natürlich. Deine Schwester hat sich sicher nach dir gesehnt." wechselte er das Thema, wofür ich ihm dankbar war.
,,Ich hoffe es. Ich habe mich jedenfalls sehr nach ihr gesehnt." erwiderte ich.
Oliver schmunzelte.
,,Das glaube ich dir. Schließlich ist sie deine Schwester. Ich würde meine Schwester auch vermissen, würde sie für drei Tage auf eine Mission gehen." meinte er.
Ich sah ihn überrascht an.
,,Du hast eine Schwester?" fragte ich.
Oliver nickte.
,,Vielleicht kennst du ja Jane. Sie ist eine Omega, wie wir und ebenfalls schwanger." erwiderte er.
Ich nickte.
Ich erinnerte mich daran, dass Lyan und Noëlle sich mal am Lagerfeuer über Jane und Violet unterhalten hatten.
,,Ich kenne sie vom hören her." erklärte ich.
Der blonde Omega nickte.
,,Du wirst sie sicher mögen. Vielleicht können wir sie ja besuchen. Sie wohnt gerade bei Violet, was sie eigentlich eher weniger schön findet aber sie hat keine Wahl. Violet will das Baby, genauso wie sie."
Ich wollte gerade etwas erwidern, als sich meine Aufmerksamkeit auf den Lagereingang richtete.
Das große schwere Tor wurde geöffnet und eine Schar Assassinen ritt auf ihren Pferden ins Lager.
Sofort nahm ich Noëlles vertrauten Duft wahr.
Sie war da!
Ich erblickte die weißhaarige Alpha sofort, wie zwei fremden Omegas von ihrem Pferd half.
Sie rochen nach Kälte, Angst und Tod.
Oh Gott, hatte ich auch so gerochen, als ich verkauft wurde?
Schnell sprang ich auf und lief auf meine Schwester zu.
,,Noëlle!" rief ich ihren Namen.
Die Alpha drehte den Kopf, ihre Augen schimmerten.
Ich war so überglücklich sie wiederzusehen.
Gerade wollte ich mich in ihre Arme werfen, doch meine Schwester hielt mich zurück und entfernte sich ein Stück.
,,Hallo, Dai, ich freue mich auch dich wiederzusehen aber wir dürfen uns jetzt erst einmal nicht berühren." begrüßte sie mich.
Ich sah sie verwirrt an.
Den ganzen letzten Tag hatte ich mich so sehr auf ihre Wärme und Fürsorge gefreut, nachdem das mit Lyan so fürchterlich schief gelaufen war.
,,W-Warum nicht?" fragte ich und sah, wie einer der Omegas hustete.
Noëlle strich ihm sanft über den Kopf.
,,Einige der Omegas sind krank. Wir wissen nicht, welche Krankheit sie haben und ob wir uns möglicherweise angesteckt haben. Wir sollten deshalb Berührungen vermeiden. Gerade du, weil du schwanger bist." erklärte sie, jedoch leuchteten ihre Augen sanft.
Ich nickte verstehend.
Sie wollte mich nicht in Gefahr bringen.
Mein Blick fiel auf etwas weißes an ihrem Arm.
Ein Verband.
Man sah, wie dunkles Blut das Weiß befleckte.
,,Was ist da passiert?" fragte ich besorgt.
Noëlle sah auf ihren Arm.
,,Oh, ich wurde angeschossen. Es war nur ein Streifschuss und ist nicht tief, keine Sorge." meinte sie.
Angeschossen?!
Oh mein Gott!
,,D-Du gehst sofort zu Ali!" befahl ich entsetzt.
Noëlle schmunzelte und nickte.
,,Ich helfe kurz die Omegas unterzubringen, dann gehe ich zu Ali, versprochen. Wenn dann geklärt ist, welche Krankheit die Omegas haben und ob wir uns angesteckt haben, können wir weitersehen." erwiderte sie.
Damit gab ich mich zufrieden.
,,Gut, dann zünde ich das Feuer im Kamin."
Noëlle nickte zustimmend.
Gott, ich war so froh, dass sie wieder bei mir war.

𝕾𝖓𝖔𝖜 𝖋𝖆𝖑𝖑𝖎𝖓𝖌 (Omega X Omega) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt