Als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, fixierte der Hauptmann Efraim. Mit einem knappen Wink forderte er ihn in den Ring. Efraim protestierte nicht, zog sein Schwert und ging in Position. Über ihnen grollte der Donner und kaum trafen die Klingen der Beiden aufeinander, begann es in Strömen zu regnen.
Effi stand da, die Nässe kroch durch ihre Kleidung und unter die Haut, doch sie wagte nicht, sich zu rühren, während der Hauptmann Efraim nach Strich und Faden fertig machte. Immer wieder ging er zu Boden und rappelte sich wieder auf. Seine Uniform war schlammverschmiert, sein Gesicht weiß vor Erschöpfung. Sie wusste, sobald er nicht mehr aufstand, würde sie selbst an der Reihe sein. Als es soweit war, ergab sie sich mit klammem Herzen in ihr Schicksal. Arics dunkler Blick durchbohrte sie, dann hob er die Klinge.
Sam stürzte aus der Kaserne und blieb erst stehen, als er sicher war, völlig unbeobachtet zu sein. Dort ließ er sich gegen die Mauer sinken und atmete tief durch. Er war zutiefst erschrocken als der Hauptmann mit dem König die Klingen gekreuzt hatte. Doch noch mehr Angst hatte er bekommen, als Finja mit der Armbrust aufgetaucht war. Sein Verstand versuchte zu begründen, dass der König beschützt werden musste, beschützt vor seinem eigenen Hauptmann, diesem kalten unheimlichen brutalen Mann. Dass seine Furcht darin begründet lag, dass er Angst um den König hatte. Doch eine leise Stimme tief in seinem Herzen flüsterte etwas anderes. Sam wischte sie wütend fort und konzentrierte sich auf die andere Sache, die ihn im Innersten aufwühlte:
Er verstand nicht viel vom Schwertkampf, aber er hatte in den letzten zwei Wochen genug Gardisten trainieren sehen um zu erkennen, dass das, was da gerade im Kasernenhof passiert war, um ein vielfaches besser, schneller und gewandter war. Es strahlte eine Perfektion aus, die er trotz seiner Unwissenheit spüren konnte und die tief in ihm eine Saite zum Klingen brachte. Normalerweise ignorierte er dieses Gespür für Schönheit und Harmonie, das in ihm schlummerte, denn sein Alltag gab es nicht her, dass er ihm Beachtung schenkte. Doch dieser Kampf, der einem göttlichen Tanz glich, erinnerte ihn daran. Er wühlte ihn auf, wie er es nie für möglich gehalten hätte.
Sein Herz hämmerte gegen seine Brust und Sam starrte auf seine zitternden Hände. Seine Finger öffneten und schlossen sich in dem Versuch sich zu beruhigen. Nach einer Weile gab er es auf und schob sie in die Hosentaschen. Dann lief er los, ohne zu wissen wohin. Er konnte sich nicht erinnern, wie lange er so durch die Gänge gestreunert war, der Regen prasselte noch immer gegen die Scheiben, das Schloss versank in friedlicher Dunkelheit.
Irgendwann fand sich Sam vor Küche wieder, wahrscheinlich dem einzigen Ort, der irgendwie einem Zuhause gleichkam. Drinnen war es dunkel, als er sich durch die Tür schob, vertraute Gerüche und die warmen Dämpfe von Gekochtem hingen in der Luft. Sam schlich um die Kochstellen und Regale herum, ohne einen einzigen Fehltritt zu machen. Er brauchte kein Licht, seine Füße kannten den Weg. Auf seiner alten Schlafbank hob sich der Umriss eines Körpers ab. Sam hatte noch nicht einmal Zeit gefunden sich den neuen Küchenjungen anzusehen, so sehr hatten ihn die Ereignisse der letzten Wochen auf Trab gehalten. Doch sein Ziel war ein anderes.
„Henna?", flüsterte er, als er vor ihrer Schlafbank stehen blieb.
Seine Hand suchte ihre Schulter.
„Henna!", sagte er noch einmal. Sie regte sich.
„Sam? Bist du das etwa?"
Er hielt sich nicht mit einer Antwort auf, sondern schob die Stiefel von den Füßen und suchte sich einen Weg unter ihre Decken. Ihre Arme schlossen sich um seine Mitte und sie kuschelte sich zufrieden an ihn.
„Geht es dir gut, Sam? Du zitterst ja."
„Ja. Es ist nur...", er seufzte, „es waren zwei aufwühlende Wochen."
Henna kicherte.
„Das kann ich mir vorstellen. Erzählst du mir davon?"
Sam nickte.
Es war weit nach Mitternacht, als Finja und der Hauptmann den Hof verließen. Allerdings nicht ohne noch einmal deutlich zu machen, dass Finja unter allen Umständen sofort informiert werden musste, wenn der Hauptmann gegenüber seinem König eine Waffe zog. Ganz gleich in welchem Kontext.
Efraim lehnte zitternd an einem der Balken, die das Vordach stützten und wartete bis Effi sich aufraffen konnte aus dem Schlammloch zu kriechen, zu dem der Hof geworden war. Sie löste einen Finger vom Schwertgriff, dann noch einen, dann gab sie es auf, rollte sich auf den Rücken und ließ den Regen auf sich niederprasseln. Sie schloss die Augen, konnte der Versuchung nicht widerstehen. Einfach schlafen, hier und jetzt, dachte sie.
„Effi, steh auf. Na los", sagte plötzlich Efraim dicht an ihrem Ohr. Seine Hand legte sich auf ihre Schulter, doch sie spürte sie kaum. Müde blinzelte sie in den Regen und sah sein Gesicht über ihrem schweben. Er grinste mit bebenden Lippen.
„Du hast dich verdammt gut gehalten", sagte er
„Du nicht", gab sie schwach zurück und er zuckte kaum merklich die Schultern.
„Er weiß, dass der Kampf nicht meine Stärke ist", bemerkte er, dann richtete er sich stöhnend auf. Auffordernd streckte er ihr die Hand entgegen. Effi rang einen Moment mit ihrer Erschöpfung, dann gab sie sich einen Ruck und ließ sich von ihm aufhelfen.
„Das... machen wir nicht nochmal", keuchte sie und er stieß ein schwaches Prusten aus.
„Das war ja auch Sinn der Übung, nicht wahr?", entgegnete er während sie Arm in Arm auf die Kaserne zuwankten.
„Alter Besserwisser", schalt sie ihn lahm.
„Kleine Angeberin", gab er nur zurück. Sie lächelte.
„Was denkst du, was er mit Finja anstellt?", fragte sie, als sie endlich im Trockenen waren und achtlos eine breite Schlammspur hinter sich herzogen.
„Wieso? Er hat nichts falsch gemacht."
„Ich frage mich nur... würde er tatsächlich...?", sie stützte sich erschöpft an der Wand ab. Keine Armee der Welt würde sie dazu bringen, jetzt noch das Badezimmer in den Dienstbotenunterkünften aufzusuchen.
„Zerbrich dir darüber lieber nicht den Kopf, Effi", sagte er und schob sie weiter auf die Tür am Ende des Ganges zu.
Heißer Dampf schlug ihnen entgegen, als sie eintraten und Effi schluchzte auf. Jemand hatte ein Bad für sie eingelassen. Für Beide. Seife und Handtücher lagen sorgfältig zusammengelegt am Kopfende der beiden Wannen.
„Auf unsere Kameraden ist Verlass", stöhnte Efraim und schälte sich ungeniert aus seiner Uniform. Effi tat es ihm gleich und ließ sich mit einem tiefen Seufzer in die Wanne gleiten. Niemand störte sie. Effi hörte Rascheln und das Murmeln vertrauter Stimmen und schloss entspannt die Augen. Sie wusste, ihre Kameraden hielten vor der Tür Wache.
Aric vergewisserte sich, dass Effi und Efraim sicher in den Händen ihrer Kameraden waren, dann zog er sich in sein Zimmer zurück und warf die nassen Kleider in eine Ecke. Er wusch sich das Gesicht, zog sich ein trockenes Hemd über und warf sich in seinen Sessel. Erst dann erlaubte er sich ein schmales Lächeln. Effi war gut geworden. Besser, als er je für möglich gehalten hätte. Selbst Efraim, der das Schwert regelrecht hasste, machte unerwartet gute Fortschritte.
Aric massierte seine müden Muskeln und starrte in die Flammen. Doch an diesem Abend wartete er vergeblich. Das Feuer brannte stumm vor sich hin, kein Flackern, kein Bild, keine Bewegung zeugte von ihrer Anwesenheit. Es war die dritte Nacht in Folge, dass er nicht von ihr hörte. Unruhig stand er auf und strich dem Raben auf dem Weg zum Bett über das samtene Gefieder.
„Wo steckst du?", fragte er in die Stille.Doch nicht einmal der Wind wollte ihm antworten.
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Die Raben des Königs
FantasyAric hat seine Aufgabe als Hauptmann der königlichen Leibgarde angetreten. Seine Männer eine unverbrüchliche Einheit aus Loyalität und tödlicher Präzision. Doch das Leben am Hofe lässt sich nur schwer mit seinem Wesen vereinbaren. Auch Taos kämpft...