Kapitel 16

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Taos richtete sich in seinem Stuhl auf und versuchte vergeblich die verspannten Muskeln zu lockern. Seit Tagen brütete er mit seinen Beratern über den Büchern, doch ohne Erfolg. Sie drehten sich im Kreis und er wusste es. Auch seine Berater wussten es. Immer wieder kamen sie mit Vorschlägen zur Lösung der Krise, einer schlechter als der andere.
„Wenn wir nicht mehr zahlen können, müssen wir uns auf eine Besatzung gefasst machen", sagte sein Heerführer wahrscheinlich zum dritten Mal an diesem Tag.
„Die Truppen sind zerstreut, die Mittel knapp, die wenigen Garnisonen in Abeno konzentriert und seit Jahren ohne Aufgabe in schlechter Form. Wir könnten Ibna nichts entgegensetzen, selbst wenn wir wollten. Sogar die Melau-Inseln haben mittlerweile eine größere Streitmacht als wir", rief er ihm ins Gedächtnis.

Taos unterdrückte ein Stöhnen. Nach der Schlacht vor Zenon hatte er die Armeen seines Vaters aufgelöst. Die meisten waren Bauern und Handwerker gewesen und er brauchte sie auf dem Feld und in ihren Werkstätten dringender als in den Kasernen, wo sie ihm nur auf der Tasche lagen. Doch die Reduktion der Streitkräfte auf ein Minimum hatte nicht nur finanzielle Gründe. Es war ein Zeichen des guten Willens, ein Beweis für die Friedensabsichten seiner Regierung. Hätte er neue Truppen aufgestellt, wäre das als Bedrohung verstanden worden und nichts konnte Taos im Moment weniger brauchen, als einen neuen Krieg. Davon abgesehen war es eine wahre Gradwanderung gewesen sein Volk von sich zu überzeugen und gleichzeitig Ibna gegenüber den rechtmäßigen Thronfolger zu mimen. Denn Abhan wollte nicht Maars Sohn auf dem Thron. Sie wollten den Krieger und Rebellen, der er gewesen war und der ihnen Freiheit und Gerechtigkeit versprach. König Kargoff dagegen musste er überzeugen, dass er eben das nicht war und dass er seinen Vater um seines Volkes Willen bekämpft hatte, aber nichts mit dem hinterhältigen Mord an ihm zu tun hatte. Es machte die Sache nicht gerade einfacher, dass er den Mörder frei in seinem Schloss herumlaufen ließ.

Ebenjener stand seit Stunden reglos in seinem Rücken, die Hand am Schwert, die Augen wachsam in den Raum gerichtet. Seine unerschütterliche Ruhe war wie ein Fels in der Brandung. Taos fragte sich oft, woher er die Kraft dafür nahm, doch sie strahlte auf ihn ab und er trank sie wie ein Verdurstender. Die Gardisten an der Tür hatten bereits zum zweiten Mal gewechselt, doch seinem Hauptmann kam nicht mal ein Seufzer über die Lippen. Taos beschloss seinem Freund einen Gefallen zu tun und löste die Runde auf.
„Wir machen morgen weiter. Vielleicht sind die Gedanken dann frischer", verabschiedete er seine Berater und niemand widersprach.

Als sie den Raum verlassen hatten, lehnte er sich müde zurück und schloss für einen Moment die Augen.
„Habe ich erwähnt wie angenehm es sein könnte, König zu sein, wenn das Regieren nicht wäre?", stöhnte er und Aric schnaubte.
„Viel zu oft", kam seine kühle Antwort und er hörte ihn mit wenigen federnden Schritten näher kommen.
„Du denkst zu viel, mein Freund. Und deine Schultern sind so verspannt, dass sie mir schon aus der Ferne die Augen ausstechen", sagte er und als Taos versuchsweise ein Auge öffnete, sah er sich Arics musterndem Blick ausgesetzt. Er öffnete auch das zweite Auge und sah seinen Freund fragend an.
„Was gedenkst du dagegen zu unternehmen, Hauptmann?"
Arics Mundwinkel zuckten.
„Ich gedenke dir Ablenkung zu verschaffen, Majestät. Wann hast du das letzte Mal dein Schwert vom Haken genommen?"
Taos grinste.


Arics Klinge durchschnitt die Luft des Kasernenhofs und Stahl traf auf Stahl, als Taos parierte. Er brauchte ein paar Schlagwechsel, bis er sich wieder auf den Rhythmus des Kampfes eingestellt hatte und als es soweit war, erschien ein berechnendes Grinsen auf Arics Gesicht. Er erhöhte das Tempo und Taos lachte, während ihre Klingen zu tanzen begannen. Er hatte dieses Gefühl vermisst, musste er sich eingestehen und beschloss noch im selben Moment, das regelmäßige Training wieder aufzunehmen.

Effi stand neben Efraim im Hof und beobachtete den Kampf mit großen Augen. Sie war seit Monaten im Palast, doch es war das erste Mal, dass sie den König kämpfen sah. Und der Hauptmann? Ihn sah sie jeden Tag trainieren, sie hatte selbst schon unzählige Male mit ihm gekämpft, aber als sie nun die beiden Männer umherwirbeln sah, musste sie sich eingestehen, dass sie nicht einmal annähernd begriffen hatte, wie gut der Hauptmann seine Waffe beherrschte.
Efraim grinste, als er ihren Blick wahrnahm.
„Früher haben sie das öfter gemacht. Trotzdem war es jedes Mal wieder so aufregend wie beim ersten Mal", bemerkte er.
Effi konnte den Blick nicht abwenden.
„Ich wusste nicht wie gut er ist", hauchte sie beeindruckt. „Und seine Majestät, er...", ihr fehlten die Worte.

Eric kam über den Hof geschlendert, den jungen Sam im Schlepptau und sie blieben neben ihnen stehen.
„Daran kann ich mich niemals sattsehen", sagte Eric und stieß einen vergnügten Seufzer aus. Efraim nickte nur. Effi riss sich von den tanzenden Klingen los und grinste Eric an. Dabei fiel ihr Sam ins Auge, der die Männer mit großen Augen anstarrte. Seinem Blick fehlte jede Faszination. Das Einzige, was Effi sah, war Panik.
„Was stimmt nicht mit ihm?", fragte sie Eric, der sofort ihrem Blick folgte. Er stutzte.
„Sam?", fragte er und packte den Jungen an der Schulter. Sam sah zu ihm auf, blinzelte, schluckte.
„Ihr lasst... ihn mit ihm kämpfen?", flüsterte er kaum hörbar. Effi runzelte die Stirn, doch Eric stöhnte leise.
„Seine Majestät ist der Einzige, der wirklich mit dem Hauptmann mithalten kann. Manchmal bin ich mir nicht einmal sicher, ob er sich nicht sogar da noch zurückhält. Der Mann ist eine Maschine", bemerkte er, ohne auf Sams Kommentar einzugehen.

„Der König gegen den Hauptmann und keiner sagt mir etwas?", erklang plötzlichJacks tadelnde Stimme hinter ihnen. „Hat jemand Finja verständigt?"
Efraim fluchte und im selben Moment war er schon losgerannt.
„Das wird Folgen haben", brummte Eric.
Effis Magen verkrampfte sich. Ja, das würde es. Sie biss sich auf die Lippen. Es war auch ihre Wache, selbst wenn Efraim dienstälter war. Unruhig beobachtete sie den Kampf bis Efraim zurückkehrte, Finja imSchlepptau, dessen Miene nichts Gutes verhieß. Noch im Gehen hob er seine Armbrust vom Rücken und spannte einen Pfeil ein. Dann legte er an. Sams Augen wurden noch größer und auch Effi warf ihm einen unruhigen Blick zu. Efraim legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. Er nickte beruhigend: Alles ok.
Effi entspannte sich ein wenig und doch wusste sie nicht recht, was sie davon halten sollte.
„Wenn er... daneben schießt...wird sein Schicksal... schlimmer sein, als deines", sagte Taos zwischen mehreren Schlägen und der Hauptmann erlaubte sich einen Blick auf die gespannte Armbrust, ohne den Kampf zu verlangsamen.
„Er trifft... immer... das richtige Ziel", schnaubte er, machte eine Drehung und einen Moment später lag seine Klinge am Hals des Königs.
Effi hielt die Luft an.
Taos hob die Hände und lächelte, während Aric seine Klinge bedacht zurückzog. Er wusste, die Armbrust war eine der zahlreichen Vorsichtsmaßnahmen, die Aric gegen sich selbst ergriffen hatte. Um Außenstehenden, die an seiner Rechtschaffenheit zweifelten, sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen. Taos hielt es für übertrieben. Vor allem weil die Wahrscheinlichkeit, dass Finja tatsächlich treffen würde, sollte Aric auf die wahnwitzige Idee kommen, seinen König im Übungskampf zu verletzen, allenfalls 50 zu 50 stand. Ebenso gut könnteer seinen König versehentlich erschießen, bei dem verzweifelten Versuch ihn zu retten. Aric hatte seine Argumente mit einem Augenrollen abgetan. Und Finjas Armbrust blieb wo sie war. Nur manchmal, wenn Taos die Finsternis in seinem Herzen nicht abzuwehren vermochte und seine Gedanken in den Abgrund seiner Ängste und Selbstzweifel hinabgezogen wurden, sagte eine leise, aber schmerzhafte Stimme in seinem Kopf, dass Aric diese Vorsichtsmaßnahmen vielleicht ergriff, weil er sich selbst nicht über den Weg traute.

Keuchend hob er sein Schwert auf und schob es zurück in die Scheide.
„Du hattest Recht. Das hat gut getan. Wir wiederholen das ab heute jeden Morgen. Es wird Zeit, dass ich wieder in Form komme. Du machst mich ja mit links fertig."
Aric zog eine Braue in die Höhe.
„Wenn du vorhast, mein Niveau zu erreichen, solltest du aufs Regieren eine Weile verzichten, mein Freund", erklärte er ernst.
Taos lachte.
„Deine Arroganz ist grenzenlos! Und da habe ich mich doch tatsächlich einmal gefragt, warum Gorjak sich an dir die Zähne ausbeißt."
„Gorjak hat es in 20 Jahren nicht geschafft und du schaffst es auch nicht."
„Wir werden sehen", sagte der König unverbindlich. „Aber mit Rücksicht auf Finjas Nerven begnügen wir uns im Training von nun an mit dem Stock."
Aric steckte sein Schwert zurück und nickte Finja zu, der die Armbrust senkte und langsam die Luft ausstieß.
„Soll mir recht sein", erwiderte der Hauptmann.

Sein Blick glitt von Finja zu Efraim, dann zu Effi, die sich kaum merklich aufrichteten.
„Jack, Eric, flankiert seine Majestät, Samuel, du hast den Rest des Abends frei. Es ist mir egal, wohin du gehst, aber verlass den Hof", befahl er kalt.
Taos kniff die Augen zusammen, sagte aber nichts, als er mit den beiden Raben im Schlepptau zu seinen Gemächern aufbrach.

Sam folgte ihnen mit unruhigen Blicken.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt