Kapitel 76

14 3 0
                                    

Sam lenkte den Wagen schweigend in den Sonnenaufgang. Hinter ihm in den Fässern war hin und wieder ein Fluch oder ein Stöhnen zu hören, wenn die Straße besonders uneben wurde, aber ansonsten war es still. Die ersten Vögel stimmten ihren Morgengesang an und Amon stimmte irgendwann in ihr Pfeifen ein.

„Und wie ist es so in der Garde des Königs?", fing er an zu plaudern und Sam sah ihn mit großen Augen an. Erwartete er wirklich, dass er davon erzählte, während sein Hauptmann und sein König hinter ihm auf der Ladefläche in Fässern steckten und den Tag verfluchten? Amon grinste. Er wusste offenbar genau, was er dachte und er meinte es ernst. Sam schluckte.

„Es war eine aufregende Zeit, seit ich ihr beigetreten bin, Sir", antwortete er ehrlich. Amons Grinsen wurde breiter.

„Wie lange bist du schon dabei?", fragte er neugierig.

„Seit zwei Monaten, Sir."

Amon pfiff durch die Zähne.

„Alle Achtung, Junge. Da hast du dir wirklich eine aufregende Zeit ausgesucht. Aber mach dir nichts draus. Als ich der Rebellion beigetreten bin, haben wir den Herzog gestürzt und einen Krieg gegen König Maar begonnen. Das war auch aufregend", behauptete er und Sam sah ihn ungläubig an. Amon lachte.

„Das war ein Scherz, Junge. Ohne mich hätte es nie eine Rebellion gegeben", erklärte er mit einem Zwinkern. „Aber dein Hauptmann ist schuld daran, dass ich größenwahnsinnig wurde, den Herzog gestürzt habe und einen Krieg mit Maar riskiert. Er ist ziemlich gut darin, dich vor vollendete Tatsachen zu stellen, also nimm dich in Acht."

Sam wusste nicht, was er dazu sagen sollte, doch Amon schien auch keine Reaktion zu erwarten.

„Aber wirklich hüten solltest du dich vor der Frau an seiner Seite!", fuhr er ungerührt fort. „Vier Jahre habe ich in einem Bett mit ihr geschlafen, kannst du das glauben? Vier Jahre durch dick und dünn, von einem Abenteuer ins Nächste und dann brennt sie von heute auf morgen mit einem Krieger durch. Aber was beschwere ich mich? Von all den Männern in ihrem Leben bin ich noch gut weggekommen. Ich habe den Krieg mit ein paar Schrammen überlebt, eine Frau gefunden und Familie gegründet. So gut erging es anderen nicht. Deinen König zum Beispiel hat sie mit dem blutbefleckten Thron Abenos allein gelassen. Eine Horde von Attentätern im Nacken. Und Aric durfte in einer dunklen Zelle in Ibna schmoren und seine Freiheit aufgeben. Wie lange lebst du schon in Abeno, Sam? Hast du sie je durch die Tore der Stadt gehen sehen? Nein, der Serafin steht über solchen Dingen! Was bedeuten schon Freundschaft und Familie, wenn einem die Macht der Welt zu Füßen liegt?"

Sam starrte ihn an. Sein Gesicht glühte, so unangenehm war ihm die Situation. Er wusste auch nicht, was er sagen oder tun sollte, um die Sache zu entschärfen. In den Fässern hinter ihm blieb es still. Amon schien nichts anderes erwartet zu haben. Sie fuhren über eine Kuppe und plötzlich lag die Ebene vor ihnen. Die erwachende Stadt am Horizont glitzerte in der aufgehenden Sonne. Sam hielt staunend inne.

„Was ist?", fragte ihn Amon verwirrt, als er merkte, dass das Fuhrwerk langsamer geworden war. Sam starrte auf die Ebene hinab und ein ungewohnter Schmerz durchzuckte seine Brust.

„Mein Vater ist hier gefallen", sagte er verhalten. Amon stutze kurz.

„Das tut mir leid", sagte er dann ehrlich.

„Ich habe es ihm lange nachgetragen, dass er mich im Stich gelassen hat", erklärte Sam weiter. Er hatte das seltsame Bedürfnis diesen Gedanken laut auszusprechen. Hier, wo sein Vater ihn vielleicht hören konnte. „Damals wusste ich es nicht besser. Ich war allein und habe mich verlassen gefühlt. Heute weiß ich, dass er keine Wahl hatte. Niemand hatte damals eine Wahl. In meinem Schmerz habe ich ihn zu Unrecht verurteilt. Dabei habe ich ihn nur schrecklich vermisst."

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt