„Ich habe Angst!", flüsterte Aurora, als sich das Pferd unter ihnen in Bewegung setzte
„Ich auch. Aura. Ich auch...", sagte ihre Mutter und schlang die Arme fester um sie.
Aurora klammerte sich daran fest und spähte zur Burg, wo Saronn gerade unter den Toren verschwand.
„Warum kommt er nicht mit uns?", fragte sie kleinlaut.
„Er muss die Quelle versiegeln", erklärte ihre Mutter angestrengt, doch Aurora verstand nicht, was das bedeutete.
„Warum?"
„Weil sie nicht mehr sicher ist."
„Gehen wir deshalb fort?", fragte sie weiter.
„Ja. Der Schutzschild wird zusammenfallen, deshalb sind wir hier ebenfalls nicht mehr sicher, Aura."
Da krachte es plötzlich hinter ihnen. Ein Dröhnen fuhr Aurora durch den Schädel, ihre Ohren drohten zu platzen, Feuer, heiß und endlos, Feuer aus den Tiefen der Erde, das Feuer, aus dem sie selbst gemacht war, brandete über das Schloss hinweg, über die Wiese, über Aura und ihre Mutter. Das Pferd stieg und Aura fiel. Sie schrie auf vor Schreck, doch die Arme ihrer Mutter hielten sie noch immer fest. Dann schlugen sie auf der Erde auf. Aurora rollte über die Wiese, riss sich die Arme auf, ihr Bein schlug gegen einen Stein. Zitternd rappelte sie sich auf und kroch zu ihrer Mutter. Das Pferd war nirgends zu sehen.
„Mami?", schluchzte sie und zerrte an ihr, damit sie aufstand. Das Dröhnen in ihren Ohren wurde lauter, das Feuer in ihr brandete verzweifelt auf.
„Mami!", schrie sie ängstlich und klammerte sich an sie, verbarg ihr Gesicht an deren Brust und hielt sich die Ohren zu. Das Feuer in ihrem Innern zerrte an ihr, wollte sie fortreißen, sie zerreißen, doch Aurora schrie dagegen an, schützte ihren ureigenen Feuerkern und verkroch sich noch tiefer in den Armen ihrer Mutter.
Bis es mit einem Schlag plötzlich vorbei war. Wo eben noch Hitze und Sturm geherrscht hatten, war plötzlich nur noch gähnende Leere, Aurora begann zu zittern, Gänsehaut zog sich über ihre Arme und ihren Rücken. Sie fror. Ihre Tränen durchnässten die Bluse ihrer Mutter. Dann ein Knacken, ein Krachen, sein Echo zog sich weit durch das Tal und die kalten Hände ihrer Mutter schoben sie sanft von sich.
„Lauf, Aurora!", sagte sie. Ihre Stimme klang gepresst, atemlos.
Das Krachen in ihrem Rücken wurde lauter. Steine schlugen neben ihr ein, die Erde unter ihr bebte.
„Die Burg stürzt ein, du musst laufen! So schnell und so weit du kannst!"
Ihre Stimme klang rau, wie von einer anderen Welt.
Aurora wimmerte. Sie wollte nicht laufen, wollte nicht weg von ihrer Mutter. Sie hatte Angst. Wieder zerrte sie an ihr, doch ihre Mutter stand nicht auf. Sie sah nur auf, hob den Arm und gab ihr einen Stoß.„Lauf, lauf, lauf!"
Aurora schluchzte und stolperte los, während hinter ihr die Festung zusammenstürzte wie die vielen Bauklötzchenburgen, die sie mit Saronn gebaut hatte. Aurora weinte und rannte blind, die Stimme ihrer Mutter begleitete sie.
„Lauf... lauf!"
„Aurora!"
Aurora schlug die Augen auf und erschrak. Wo war sie? Ihr Herz raste, sie rang nach Atem. Noch immer hatte die Angst sie fest im Griff.
„Du hast geträumt, Aurora. Es ist alles in Ordnung. Du bist hier bei mir", redete die Stimme weiter. Sie kannte sie... liebte sie.
„Papa?", fragte sie zaghaft und ihr Blick suchte nach ihm. Da war er, Augen so dunkel, wie ihre eigenen, die Stirn sorgenvoll gerunzelt, aber ein schmales Lächeln auf den Lippen. Sie liebte dieses Gesicht, obwohl sie es immer nur in Bildern aus Feuer und Wind gesehen hatte. Bilder, die ihre Mutter für sie schuf, oder Bilder aus Norts Geist, wenn er sie besuchen kam und von ihrem Vater erzählte. Ihr Vater...
Seine Hand legte sich an ihre Wange und strich tröstend darüber, dann zog er sie an sich.
„Es war nur ein Traum", wiederholte er und hielt sie fest, bis das Zittern irgendwann nachließ. Aurora schniefte. Asche kitzelte sie in der Nase. Sie löste sich aus den Armen ihres Vaters und sah sich um. Der Raum war nicht groß, ein Sessel stand direkt neben ihnen am Kamin. Nur langsam kam die Erinnerung zurück. Wie sie im Schloss angekommen waren, wie sie Effi und Jack kennengelernt hatte und Effi sie ins Bett gebracht hatte... nein, Aric hatte das getan – in den Kamin. Sie blinzelte verstohlen in den großen gemauerten Kamin, wo nur noch verkohlte Überreste ihres Bettzeugs vor sich hin qualmten.
Sofort schob sie den Kopf wieder in Arics schützende Umarmung.
„Lauf, Aurora...", klingelte es noch immer in ihren Ohren. „Lauf!"
Aric sah nachdenklich auf seine weinende Tochter hinab. Sie zitterte noch immer, ihre kleinen Hände krallten sich in sein Hemd. Die Hitze, die sie ausstrahlte, war kaum auszuhalten. Trotzdem hielt er sie fest, strich ihr beruhigend über den Rücken und murmelte ihr leise tröstende Worte zu.
„Sie ist nicht mitgekommen", murmelte Aurora plötzlich und Aric hielt inne.
„Wer ist nicht mitgekommen?", fragte er vorsichtig.
Aurora schniefte.
„Mama", antwortete sie und ein neuer Heulkrampf begann sie zu schütteln. Aric wurde flau im Magen. Er hatte es vermutet, als er sie dort auf den Trümmern gefunden hatte – dass das Mädchen mehr gesehen hatte, mehr wusste, als sie zugab. Doch Aurora hatte unter Schock gestanden und die Gefahr, dass ihr Feuer erneut ausbrechen würde, war groß. Er schluckte.
„Lauf Aura... lauf", stieß Aurora zwischen ihren stockenden Atemzügen aus und Aric begriff.
„Sie hat dir gesagt, du sollst weglaufen. Und sie konnte nicht mit dir gehen", schlussfolgerte er mit ruhiger Stimme. Das letzte, was er wollte, war, sie weiter zu verstören. Aurora schluchzte wieder und Aric spürte ihr Nicken an seiner Brust.
„Weißt du, warum?", hakte er sanft nach.
Sie spannte sich an. Lange Zeit sagte sie nichts, schniefte nur weiter vor sich hin und vergrub sich regelrecht in seinen Armen. Doch ihr Körper wurde kühler, das Zittern ließ nach. Aric wartete, obwohl sein Herz vor Ungeduld zu bersten schien.
„Sie war zu schwach. Das Gleichgewicht war zerstört, sie konnte es nicht halten. Deshalb hat Saronn die Quelle versiegelt. Dann ist alles zusammengestürzt, die Burg, der Schutzschild", drang es irgendwann dünn unter seinen Armen hervor.
„Ich hatte Angst..."
Aric schauderte. Es war so viel schlimmer als er angenommen hatte.
„Bist du gelaufen, wie sie es dir gesagt hat?", fragte er.
Stille, dann sah er die Gänsehaut, die sich auf ihren dünnen Armen ausbreitete.
„Aurora?", fragte er noch einmal.
„Ich wollte nicht, aber... und dann bin ich hingefallen...", flüsterte sie, als hätte sie Angst, der Wind selbst könne sie hören.
„Und dann... dann gab die Erde unter mir nach. Sie hat mich eingeschlossen und dann war es dunkel und still und..."
Arics Herz setzte aus, er hielt die Luft an.
„Ich habe gewartet, habe versucht zu graben, aber nicht einmal mein Feuer drang durch die Wände. Irgendwann bin ich eingeschlafen. Und als ich wieder aufgewacht bin, da lag ich unter einem Gebüsch. Ich bin zur Burg zurückgerannt, aber... Sie war weg. Ich hab überall nach ihr gesucht, Papa. Aber sie war nicht mehr da."
DU LIEST GERADE
Die Raben des Königs
FantasyAric hat seine Aufgabe als Hauptmann der königlichen Leibgarde angetreten. Seine Männer eine unverbrüchliche Einheit aus Loyalität und tödlicher Präzision. Doch das Leben am Hofe lässt sich nur schwer mit seinem Wesen vereinbaren. Auch Taos kämpft...