Kapitel 11

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Anna hörte Arics Worte und ihr Inneres zog sich zusammen. Er kannte sie gut. Zu gut.
Stöhnend erhob sie sich von dem Sessel am Kamin und rieb sich die schmerzenden Glieder.

„Du bist noch wach?", hörte sie Saronns tadelnde Stimme hinter sich. Sie wandte sich zu ihm um.
„Ich schlafe nicht besonders gut in letzter Zeit", gestand sie.
„Du musst dich ausruhen Anna. Unser Leben hängt von deiner Kraft ab!"
Sein Ton wurde härter. Anna rollte nur mit den Augen. Saronn hatte dazugelernt, keine Frage. Mit Aurora ging er mittlerweile um, wie ein fürsorglicher Großvater. Doch diese Milde weitete er selten auf sie aus. Jahrhunderte der Griesgrämigkeit und Strenge legte man wohl nicht so einfach ab. Doch Anna nahm es ihm nicht mehr übel. Sie wusste, wie es in seinem Herzen aussah.

Müde steckte sie die kalten Finger unter die Achseln. Sofort war Saronn bei ihr, griff danach und nahm ihre Hände in seine. Seine Finger waren wie Feuer auf ihrer Haut und er runzelte besorgt die Stirn, als sie ihm die Hand zischend wieder entzog.
„Es wird schlimmer", stellte er fest.
Anna nickte nur. Sie wusste es selbst, spürte, wie etwas sich in ihr wand und streckte und die Krallen an den zerfransten Enden ihrer Seele wetzte. Sie schauderte und sandte eine Flut ihres Feuers durch sich selbst. Die Krallen zogen sich zurück, doch die Kälte blieb. Anna seufzte.
„So kann das nicht weitergehen, Anna", sagte Saronn ernst. „Du brauchst Hilfe!"
„Ich brauche Schlaf, Saronn. Nichts weiter!"
„Deine Albträume halten dich seit Wochen wach. Sie müssen einen Grund haben. Finde ihn!"
„Nicht Albträume, Saronn. Es ist nur ein Traum, ein einziger. Es ist immer derselbe: Ich bin lebendig begraben. Ich erwache mit Blut und Erde auf der Zunge und undurchdringlichem Nebel in meinem Geist. Mit jedem Mal wird es mehr. Es raubt mir die Sicht und den Verstand!"
Sie raufte sich die Haare und ließ sich dann kraftlos in den Sessel zurücksinken.

„Lass dir helfen, Anna! Du bist nicht allein!"
„Ich bin das mächtigste Wesen dieser Erde, Saronn! Wer soll mir helfen, wenn ich es selbst nicht vermag?"
„Macht ist nicht immer der springende Punkt und das weißt du. Hol dir Rat bei den Ältesten dieser Welten, geh zu den Silieren, zu den Erdlingen, den Riesen, mach dir ihre Erfahrung zu Nutze!"
„Ihr Rat wird mir nicht helfen – im Gegenteil. Ihr Serafin hat sich nicht unter Kontrolle. Sie werden nicht zögern mir meine Macht wieder zu nehmen und mich erneut zu bannen. So wie sie es mit der schwarzen Königin gemacht haben. Das werde ich nicht zulassen."

Saronn musterte sie nachdenklich.
„Woher kommt diese Angst, Anna? Das bist doch nicht du, die da spricht."
„Nein. Aber auch die, die da spricht, ist ein Teil von mir, Saronn, sie alle sind es. Und sie haben unter diesem Fluch gelitten. Wir haben das. Ich kann ihre Stimmen nicht ignorieren."
„Koshy wird helfen. Ohne Hintergedanken."
„Koshy ist noch jünger als ich selbst! Und er hat schon genug gegeben", stöhnte sie. Die Unterhaltung erschöpfte sie zusehends. Saronn schien es ebenfalls zu merken. Sanft führte er sie zurück zum Kamin und drückte sie in einen Sessel.
„Koshy ist in der Lage selbst zu entscheiden, wie viel er zu geben hat", erklärte er warm. Ein Tonfall, so rar, so kostbar aus seinem Mund. „Und du bist nicht allein für das Schicksal der Welten verantwortlich. Wir alle sind das. Lass uns helfen. Lass mich helfen, Anna!"
„Du tust schon so viel", erwiderte sie.
„Es kann niemals genug sein." Seine Hände ruhten warm auf ihren Schultern, sein Blick voll ernster Zuversicht.
„Bitte, Anna!", versuchte er es erneut.
Anna sah ihn an, kämpfte mit sich.
„Ich kann Aurora nicht allein lassen", brachte sie schließlich hervor. Saronn lächelte milde.
„Traust du mir nicht zu, auf sie aufzupassen? Sie wird mir schon nicht davonlaufen", zog er sie auf.

„In Ordnung", sagte sie und ließ die Schultern kreisen.
Saronn hob überrascht die Augenbrauen.
„Tatsächlich? Einfach so?", erwiderte er verwirrt. „Ich hatte mich auf eine durchwachte Nacht und eine Endlosdiskussion eingestellt."
„Strapaziere dein Glück nicht, alter Mann. Ich werde Koshy eine Nachricht zukommen lassen, aber ich lasse dich und Aurora jetzt nicht allein."
Saronn nickte zufrieden, während Anna die Augen schloss und den Kopf zurücklegte. Eine Decke landete auf ihren Schultern und sie zog sie mit einem Seufzen um sich. Das Feuer im Kamin wurde zu einer warmen Glut und irgendwann glitt sie in einen unruhigen Schlaf.

Saronn sah lange auf den schlafenden Serafin hinab. Seit Wochen schon klagte sie über Schwächeanfälle, über eine Kälte in ihrem Innern, derer sie nicht Herr werden konnte. Wie eine Krankheit, die sich langsam ausbreitete. Saronn wusste nicht, ob es Anna war, die krank war, oder diese Welt. Er wusste auch nicht, was von beidem schlimmer wäre.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt