Kapitel 38

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Sam zuckte unter dem Blick des Fremden unwillkürlich zusammen. Er hatte den Mann nicht vergessen und eine Welle von Schuldgefühlen flutete seine Eingeweide. Er wollte nicht zugeben, dass er ihm bereits begegnet war, doch nun ließ es sich kaum noch leugnen. Der Hauptmann hatte ihn Gorjak genannt und die Art und Weise wie er mit dem Fremden umging, wie Gorjak mit Aurora umging... Unschlüssig kniff er die Lippen zusammen.

„Viel gesprächiger bist du ja nicht geworden", sagte Gorjak. „Aber davon abgesehen hast du dich echt gemacht. Schicke Uniform."

Sam sagte nichts und Gorjaks Grinsen wurde nur noch breiter. Er klopfte dem Hauptmann auf die Schulter.

„Gute Wahl, Hauptmann", sagte er.

Der Hauptmann verzog keine Miene, sackte aber für einen Moment in sich zusammen. Sam wusste, woher er gerade kam, er hatte es von den anderen gehört. Eric hatte ihm erklärt was 30 Peitschenhiebe mit einem Mann anrichten konnten und Sam war beinahe froh darüber, dass er dazu verdonnert worden war auf Aurora aufzupassen, statt sich das brutale Schauspiel ansehen zu müssen. Trotz der aufrechten Haltung und dem steinernen Gesicht wirkte der Hauptmann als hätte ihn ein Fuhrwerk überfahren. Gorjak schien die Haltung des Hauptmanns ebenfalls nicht entgangen zu sein, doch er machte keine Anstalten sich für den Schlag auf den Rücken zu entschuldigen. Er wartete einfach, bis sich der Hauptmann wieder in der Gewalt hatte und wandte sich solange an Sam. Er deutete auf das Schwert, das ihm seit Tagen an der Hüfte hing.

„Kannst du damit umgehen oder trägst du es aus Prinzip mit dir herum?", zog er ihn auf. Sam blinzelte einen Moment überfordert. Die Aufmerksamkeit des Fremden war ihm unangenehm. Er warf einen fragenden Blick zum Hauptmann, doch der wartete stoisch und mit verschlossenem Blick auf seine Antwort. Sam holte Luft und sah Gorjak an.

„Ich lerne damit umzugehen", antwortete er wahrheitsgemäß. Seine Worte schienen zumindest den Hauptmann zufrieden zu stellen. Er wandte seine Aufmerksamkeit ungerührt wieder seiner Tochter zu. Doch Gorjaks Blick ruhte noch immer auf ihm. Seine Augen funkelten.

„Kann's kaum erwarten mit dir in den Ring zu treten, Junge", erklärte er amüsiert und Sam war sich nicht sicher, ob er das ernst meinte oder sich über ihn lustig machte. Wie auch immer, er konnte die Vorfreude nicht teilen. Der Mann war ihm nicht geheuer und Sam fragte sich, was ihn mit dem Hauptmann verband, dass dieser ihn nicht in die Schranken wies.

„Samuel, wer hat dich trainiert, solange ich weg war?", fragte der Hauptmann unvermittelt.

Sam schluckte.

„Effi", antwortete er leise. Er wusste nicht, ob das den Regeln entsprach, doch Effi hatte auch nichts Gegenteiliges angedeutet. Der Hauptmann nickte nur und Gorjaks Blick wurde noch intensiver. Er grinste vergnügt.

„Gut. Dein heutiges Training übernimmt Lane."

Sam nickte, obwohl er sah wie Erics stoische Maske bei den Worten des Hauptmanns Risse bekam. Jack bemühte sich gar nicht erst um Neutralität. Seine Augenbrauen fuhren überrascht in die Höhe. Sam bekam ein mulmiges Gefühl. Lane war brummig und miesepetrig, aber davon abgesehen hatte Sam bisher keine Probleme mit ihm gehabt. Allerdings hatte Lane sich auch selten dazu herabgelassen überhaupt mit ihm zu reden. Er beteiligte sich nicht an dem Gezanke in der Wachstube und versah seinen Dienst mit grimmiger Ernsthaftigkeit. Im Training und der Freizeit lief Sam ihm kaum über den Weg. Er hatte keine Ahnung, was Lane trieb, wenn er nicht gerade Wache schob oder einen seiner Kameraden im Training in den Sand prügelte.

Gorjak schien weder Zurückhaltung noch Bedenken zu kennen, wenn er mit dem Hauptmann sprach und im Gegensatz zu Eric und Jack machte er seinen Gedanken Luft.

„Lane? Hat die Peitsche dir den Verstand rausgeprügelt, Aric? Er macht ihn zu Kleinholz, bevor der Junge weiß, wie ihm geschieht!", schnaubte er ungehalten, was nicht gerade hilfreich war, um Sams Bedenken zu relativieren. Im Gegenteil.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt