Kapitel 46

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Sam stand im Hof und beobachtete wie die Palastwache auf der Mauer und an den Toren Stellung bezog. Howard diskutierte mit einem der Hauptmänner darüber, in welcher Stärke und Rotation die Posten besetzt werden sollten und Sam erkannte überrascht wie selbstbewusst der junge Gardist sich durchzusetzen vermochte. Innerhalb der Garde hielt er sich gegenüber seinen erfahreneren Kollegen stets zurück, aber hier war seine Stimme schneidend, sein Auftreten so überzeugend, dass dem Hauptmann der Wache gar nichts anderes übrig blieb, als ihm Recht zu geben. Sam lächelte. Jeder einzelne Gardist hatte seine persönlichen Stärken und die Koordination der Palastwache schien eine von Howards zu sein. Am Tor entstand Unruhe, doch noch bevor Sam die Situation erfasste, hatte Howard den Neuankömmling durchgewunken.

„Seine Majestät erwartet Euch!", rief er in den Hof hinunter und gestikulierte in Richtung Schloss.

„Thronsaal", setzte er nach und Sam starrte verwundert dem runden Wirt des Armenius hinterher, der sich mit einem knappen Nicken bedankte und durch die großen Flügeltüren im Schloss verschwand. Schon als er an seinem ersten Tag eine Nachricht in die Schenke hatte tragen müssen, war ihm der Sinn dahinter nicht klar gewesen, doch warum der König in der jetzigen Situation den Wirt einbestellte, war Sam schleierhaft.

Augenblicke später eilte Finja über den Hof und verschwand mit ernstem Gesichtsausdruck in der Stadt. Sam legte unschlüssig die Hand auf den Schwertknauf. Er hatte keine Befehle bekommen und in der aufkommenden Hektik kam er sich seltsam überflüssig vor.

„Sam?", erklang plötzlich Hennas unsichere Stimme. Er drehte sich zur Küche um und sah sie mit einem Eimer in der Tür stehen und mit großen Augen auf die Mauer blicken, wo immer mehr Soldaten Stellung bezogen.

„Was ist passiert?"

Sam lief zu ihr und nahm ihr den Eimer ab. Wie selbstverständlich ließ er ihn in den Brunnen hinab und füllte ihn mit frischem Wasser. Leise erzählte er Henna, was passiert war. Sie blinzelte und vergaß den Eimer, den er ihr entgegenstreckte.

„Wirst du kämpfen müssen?", fragte sie alarmiert.

Sam runzelte die Stirn. Gute Frage... er zuckte die Schultern und folgte ihrem Blick hinauf zur Palastwache.

„Ich weiß es nicht", sagte er ehrlich und weil Henna noch immer etwas neben sich zu stehen schien, nahm er sie am Arm und schob sie zurück zur Küche. Den Eimer nahm er mit.

„DU!", zischte Nora, als ihn die warmen Dämpfe der Küche umfingen. Sam warf der Küchenchefin einen entschuldigenden Blick zu, zog den Kopf ein und lief hinüber zur Spüle, um den Eimer abzustellen. Henna schien immer noch um Fassung zu ringen, selbst Noras Gezeter schien sie nicht zu beeindrucken.

„Dass du dich hier blicken lässt, wie kannst du es wagen...!"

Sam duckte sich wie unter einem Hieb, doch der Schlag blieb aus. Stattdessen landete ein Tablett in seinen leeren Händen.

„Da. Bring das unserem König. Er hat sein Frühstück mal wieder kaum angerührt. Aber verdammt will ich sein, wenn ich ihn verhungern lasse!", sagte Nora nur und wandte ihm sofort wieder die kalte Schulter zu.

Sam seufzte.

„Ich glaube nicht, dass seine Majestät im Moment Zeit dafür hat", versuchte er einzuwenden, doch Nora winkte ab.

„Papperlapapp. Er muss essen, sonst kann er auch keine wichtigen Entscheidungen treffen. Und fang mir hier bloß nicht an, mich belehren zu wollen. Hältst dich jetzt wohl für was Besseres, nicht wahr? Aber nicht in meiner Küche, Freundchen. Oh nein!"

Auf Hennas Gesicht erschien ein zartes Lächeln und Sam grinste erleichtert zurück. Sie schien sich wieder gefangen zu haben.

„Mach, dass du wegkommst", zischte sie ihm zu.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt