Kapitel 10

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„Der Küchenjunge", schnaubte Taos und ließ sich in seinem Sessel zurücksinken. „Ich gebe dir 40 Anwärter, von denen gut die Hälfte durchaus tauglich waren und du schickst sie alle nach Hause. Und jetzt willst du aus meinem Küchenjungen einen Gardisten machen? Willst du mich verarschen? Ganz abgesehen davon, dass Nora mir das Essen vergiftet, wenn ich ihr den Jungen wegnehme, hat er überhaupt jemals ein Schwert in der Hand gehalten?"
„Nicht, dass ich wüsste."
„Wie rechtfertigst du dann deine Entscheidung?"
Aric trat zum Fenster und starrte in die sternenlose Nacht hinaus.
„Er ist klug. Und er hat das Herz am rechten Fleck."
„Das macht noch lange keinen fähigen Gardisten aus ihm", erwiderte der König ungeduldig. Aric ignorierte seinen Ton.
„Er weiß, wann es sich zu kämpfen lohnt und wann er besser zurücksteckt und den Mund hält. Er kann Niederlagen einstecken, ohne dabei seinen Stolz einzubüßen. Er ist fleißig und unglaublich zäh. Ich habe ihn in den letzten Tagen mit Arbeit überschüttet, dass er kaum noch laufen konnte, geschweige denn Zeit zum Essen fand. Er hat sich kein einziges Mal beschwert. Er ist neugierig auf die Welt und ein Träumer und steht trotzdem mit beiden Beinen in der Realität. Er ist ehrlich und rechtschaffen und er vergöttert dich. Und von alldem weiß niemand etwas, weil er es für sich behält. Er strebt nicht nach Anerkennung, nicht einmal nach Lob. Dabei könnte er glänzen, wenn er es wollte. Er hat extrem gute Reflexe, eine beeindruckende Koordination und Kraft, die die eines normalen Jungen in seinem Alter bei Weitem übersteigt. Er mag noch nie eine Waffe geführt haben, aber sobald ich ihm eine in die Hand drücke, wird er damit umzugehen wissen. Deshalb will ich ihn ausbilden. Es wäre eine Verschwendung es nicht zu tun."
Taos schwieg einen Moment.
„Wie lange beobachtest du ihn schon?", fragte er dann nachdenklich.
„Seit knapp zwei Wochen. Gorjak hat mich auf ihn aufmerksam gemacht."
„Wie kam er darauf?"
Aric wandte sich zu seinem König um und sah ihm in die Augen. Das Gesicht des Mannes war in so vielen Dingen ein Spiegel, dessen Anblick allein ihm kalte Schauer über den Rücken jagte. Gleichzeitig war seine Zuneigung zu ihm fast schmerzhaft. Er würde sein Leben für seinen König geben, aber für seinen Freund noch viel mehr.
„Du hast gesagt, wenn ich jemanden finde, der meinen Job genauso gut macht wie ich, ziehst du mich von dem Posten ab und wirfst mich in das Loch, in das ich gehöre", begann er und sah den Widerspruch in Taos' Augen aufkeimen, doch er ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Gib ihm zehn Jahre und dieser Junge wird mir nicht nur ebenbürtig sein, sondern mich übertrumpfen."
Taos musterte ihn stumm über den Rand seines Weinglases hinweg.
„Was hat er, was all die anderen nicht haben, Aric?", fragte er dann leise. Aric wandte sich ab, der unverhohlene Schmerz in Taos' Augen war mehr als er ertragen konnte, wusste er doch, dass die Sorge des Königs ihm galt.
„Er ist wie ich, ohne meine offensichtlichen Makel", antwortete er dann fest und seine Hand legte sich unwillkürlich auf sein Schwert.

Taos schwieg lange. Irgendwann hörte Aric das Rascheln seiner Kleidung und das Knacken seiner Knie, als er sich aus seinem Sessel erhob. Das Glas klirrte leise, als er es auf dem Tisch abstellte. Einen Moment später lag seine warme Hand auf Arics Schulter. Mit einem Seufzen drehte der König seinen Hauptmann zu sich herum und sah ihm in die dunklen, leeren Augen.
„Wenn du es schaffst, ihn Nora abzuschwatzen, ohne dass ich für den Rest meines Lebens einen Vorkoster brauche, kannst du ihn haben. Aber erwarte keine Unterstützung von mir. Kein halbwegs kluger König stellt sich gegen seine Küchenchefin!"
Arics Mundwinkel zuckten.
„Ich werde dein Essen persönlich vorkosten, Majestät, wenn du dich dann besser fühlst."
„Und meinen Hauptmann verlieren? Niemals!", lachte Taos. „Ich bleibe dabei: Wenn du dich mit Nora einigst, stelle ich mich nicht quer. Allerdings habe ich eine Bedingung."
„Und die wäre?"
„Du wählst noch zwei weitere Rekruten aus den Bewerbern von letzter Woche."
„Sie taugen nichts"
„Dann sorg dafür, dass sich das ändert."
„Ist das dein letztes Wort?"
„Ja, das ist es."
Der Hauptmann nickte. Dann lief er hinüber zum Tisch, schenkte sich ein Glas Wein ein und ließ sich in einem der Sessel nieder. Taos schnaubte amüsiert und gesellte sich zu ihm.
„Gibt es Neuigkeiten aus der Festung?", fragte Aric nach einer Weile. Taos zuckte die Schultern und schwenkte seinen Wein.
„Sie tun, was sie schon immer getan haben. Nur, dass ihr Handeln im Verborgenen heutzutage dem König zugute kommt, anstatt ihn zu vernichten versucht. Du kennst sie. Sie haben überall ihre Finger im Spiel. Dass wir seit acht Jahren Frieden im Land haben, heißt nicht, dass sie keine Aufgabe mehr hätten."
Aric nickte nur. Einst war er Teil dieser Gemeinschaft gewesen, die sich Krieger nannte. Genau wie sein König. Damals war der Tyrann Maar noch ihr Feind gewesen. Heute...
„Ich bin mir sicher sie finden jemanden zu bekämpfen, selbst, wenn es niemanden gibt."
Das brachte Taos zum Schmunzeln.
„Ein Königreich hat immer Feinde. Ich bin froh, dass die Krieger sie mir vom Hals halten. Es gibt Anzeichen für eine Rebellenmiliz, die sich in den Bergen versteckt hält. Lanis hat ein paar Männer darauf angesetzt, aber bisher keine neuen Erkenntnisse."
„Wie lange geht das schon?"
„Ein paar Monate. Sie sind ziemlich clever, bleiben nie lange an einem Ort..."
„Das scheint dich nicht zu beunruhigen. Sie könnten einen Angriff planen", bemerkte Aric tadelnd. Taos sah ihn über sein Glas hinweg an.
„Solange sie sich nicht auf den Weg ins Flachland machen, stellen sie keine unmittelbare Gefahr da. Und sollten sie kommen... nun ich habe den Verdacht, mein Hauptmann wird sie in Stücke hacken, bevor sie die Mauer überqueren", sagte er ruhig.
Aric erwiderte nichts darauf. Sein Ausdruck blieb kühl. Plötzlich stand Taos auf und ging zu dem schweren Schreibtisch am anderen Ende des großen Raumes. Er suchte einen Moment, dann zog er ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus. Das Siegel war aufgebrochen, der Brief wahrscheinlich schon mehrmals auf und wieder zusammengefaltet worden. Taos runzelte die Stirn, als er ihn zu der Sitzgruppe hinübertrug. Er stellte sein Glas ab und ließ sich mit dem Brief in seinen Sessel sinken.
„Melinda hat einen gesunden Sohn zur Welt gebracht. Seth hat ihn nach seinem Vater Lima benannt."
„Ein stolzer Name. Sein Träger war ein guter und gerechter Herrscher", bemerkte sein Hauptmann weich. Taos nickte. Sein Freund Seth war Herrscher über die Melau-Inseln. Der Inselstaat war von Maar regelrecht überrannt worden, seine Bewohner zu Tausenden versklavt oder ermordert. Auch Seth' Vater Lima war dabei ums Leben gekommen, seine Familie brutal ermordet. Nur Seth, der sich zu der Zeit nicht im Land aufgehalten hatte, war es gelungen zu fliehen und Zuflucht in Ibna zu suchen. Er hatte sich dort zu einem hoch angesehenen Verbündeten und Heerführer aufgeschwungen und war zur Zeit der Belagerung Zenons mit der geballten Flotte Ibnas nach Abhan eingefallen, um Maars Schwäche zu auszunutzen und den Tyrannen zu stürzen. Aric hatte durch seinen Mord an Maar eine Schlacht überflüssig gemacht, trotzdem stand Taos in Ibnas Schuld. Ebenso wie Seth, der mit Ibnas Hilfe sein Reich zurückeroberte und dort vor sechs Jahren gekrönt worden war. Erst vor zwei Jahren hatte er dann geheiratet. Eine ruhige und freundliche Frau namens Melinda, die Taos sofort ins Herz geschlossen hatte. Dass sie nun mit einem gesunden Erben gesegnet war, würde dem Land und seinem Volk sicher Hoffnung geben. Es versprach eine bessere Zukunft.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt