Kapitel 31

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Im Schlosshof herrschte eisernes Schweigen, als die Soldaten Aric durch die Tore führten. Der König stand auf dem Treppenansatz vor den Flügeltüren, umringt von einem Bollwerk aus Gardisten. Rings um den Hof waren Palastwachen postiert und aller Augen verfolgten wachsam die berittene Truppe. In der Mitte des Hofes wurde ihm bedeutet anzuhalten. Seine Wachen blieben im Sattel, die Bögen zwar nicht gespannt, aber schussbereit in den Händen. Nur einer der Männer stieg ab und übergab dem König Arics Schwert, Messer und den Pfeil. Taos nahm es stumm entgegen, sein Gesicht eine Maske aus Eis.

Niemand rührte sich.

Aric beobachtete sie aus seiner erhöhten Position. Sie waren alle anwesend. Alle außer Finja. Ihre Mienen verrieten nichts, genau wie er es ihnen beigebracht hatte. Sogar Sam stand in ihren Reihen, die Hand am Schwertknauf. Aric freute sich im Stillen darüber, dass die Truppe ihn akzeptierte und sich offensichtlich auch in seiner Abwesenheit um den Jungen gekümmert hatte. Aurora begann zu zappeln und Aric legte beruhigend eine Hand auf ihren Schenkel.

„Sch...", zischte er sanft.

„Absitzen!", befahl schließlich der König und Aric atmete aus. Er schwang ein Bein über Borans Rücken und ließ sich zu Boden gleiten. Dann hob er Aurora vom Pferd, die sich ängstlich an ihn klammerte. Aric ignorierte die Wachen, die Gardisten, den König, und ging vor ihr in die Knie, damit er ihr in die Augen sehen konnte.

„Siehst du die junge Frau hinter mir, mit dem dicken braunen Zopf und der schwarzen Uniform, die genauso aussieht wie meine?", fragte er leise.

Auroras Blick glitt über seine Schulter und sie nickte zaghaft. „Das ist Effi. Geh zu ihr. Sie wird sich um dich kümmern, bis ich das hier geklärt habe", forderte er sie sanft auf.

Auroras Lippen bebten, sie zögerte.

„Ich habe Angst", sagte sie und Aric schluckte.

„Ich weiß, aber das brauchst du nicht. Es wird alles gut, das habe ich dir doch versprochen, erinnerst du dich? Geh zu Effi, nimm Nort mit. Vertrau mir!", drängte er sie sanft und schob sie von sich. Er hob leicht den Arm und Nort schoss herab. Aric zwinkerte Aurora aufmunternd zu und setzte ihr den Raben auf die Schulter. Dann schob er sie auf Effi zu. Zögernd stolperte sie zu der Frau, doch Effi verstand sofort. Sie lächelte warm, streckte ihr eine Hand entgegen und sagte:

„Hallo. Ich bin Effi. Und wer bist du?"

„Aurora."

„Freut mich sehr, Aurora. Du musst keine Angst vor mir haben. Ich kümmere mich um dich."

„Ich weiß."

Soweit zufriedengestellt richtete Aric sich auf und trat vor den König. Sofort waren Eric und Ferdale neben ihm, ihre Hände schlossen sich warnend um seine Oberarme. Aric blieb stehen und sah dem König in die Augen.

„Ist dir klar, in welche Schwierigkeiten du mich durch diese Aktion bringst?", fragte der König scharf.

Aric schwieg.

„Ich bürge für dich, Hauptmann. Und das tue ich, weil ich dir vertraut habe. Und was tust du? Du untergräbst meine Glaubwürdigkeit und trittst mein Vertrauen mit Füßen! Was zur Hölle ist dein Problem? Du zwingst mich ja regelrecht dazu dein Todesurteil zu unterschreiben!"

Aric wand sich. Taos' Worte trafen ihn tief. Doch er hatte seine Gründe gehabt...

„Noch dazu hast du mich einen meiner besten Gardisten gekostet! Und du besitzt die Dreistigkeit zurückzukehren, als wäre nichts passiert!"

Arics Nasenflügel bebten, die einzige Reaktion, die er sich erlaubte. Er dachte an Finja. Was war passiert?

„Ihr seid ein Gefangener der Krone, Hauptmann. Erklärt Euch, oder ich bin gezwungen entsprechend zu handeln!", sagte der König förmlich. Sein Tonfall wurde kalt.

Aric zuckte innerlich zusammen, doch er wandte den Blick nicht ab. Dort vor ihm stand sein König in all seiner Größe und seinem Glanz. Er hatte diesen Teil des Mannes in letzter Zeit häufig vermisst. Taos kämpfte, Aric wusste das, mit sich selbst und seinem Schicksal. Doch heute hatte er die Zweifel abgelegt. Heute strahlte er Würde aus und Macht. So unangenehm der Anlass auch war, Aric konnte seine Augen nicht von ihm lösen.

„Was hast du dazu zu sagen?", brüllte der König.

Aric atmete einmal tief ein und wieder aus. Aber die Worte wollten ihm nicht über die Lippen kommen.

„Sperrt ihn zu Finja in den Kerker. Vielleicht bringen die Beiden sich ja gegenseitig um", knurrte Taos und Ferdale und Eric griffen fester zu.

Sie zerrten ihn fort und Aric konnte nur daran denken, wie tief er Taos verletzt haben musste, als Effi plötzlich einen Schrei ausstieß. Norts aufgeregtes Flattern folgte, dann ein Fluch. Aric hielt den Atem an. Auch ohne sich umzublicken spürte er die Hitze, die über den Hof strömte. Er sah Aurora nur aus den Augenwinkeln, als er den Kopf drehte, doch es genügte. Das Mädchen war nicht mehr zu sehen. Dort, wo sie gestanden hatte, wallte ein Ball aus Glut und Feuer.

„Aura, nicht!", rief er über die Schulter.

„Was zur Hölle...?" Der König starrte auf die Flammen, dann zu Aric. Er sah die Fragen in den Augen des Königs, den Schmerz und zwang seinen Atem zur Ruhe.

„Sie hat Angst. Ich kann sie beruhigen. Bitte Taos. Wenn du mich abführen lässt, brennt sie womöglich noch das ganze Schloss nieder", bat er den König und Eric zog ihn soweit herum, dass er das Geschehen wenigstens sehen konnte.

„Bitte!"

„Warum sollte ich dir glauben? Ist sie der Grund für deine Flucht vor dem Gesetz? Vor mir?", fuhr ihn der König an.

Aurora brannte heller. Funken sprühten und Aric warf einen hastigen Blick zum nahe gelegenen Stall. Wenn er Feuer fing...

„Effi! Beruhige sie!", befahl stattdessen der König.

Effi starrte auf den Feuerball, trat einen Schritt näher und dann sofort wieder zurück, als die Glut nach ihr griff. Sie klopfte sich brennende Funken von der Uniform.

„Taos! Bitte, du machst es nur schlimmer. Lass mich zu ihr, ich bitte dich!"

Taos funkelte ihn an.

„Du hast das Recht auf mein Vertrauen und meinen Zuspruch verwirkt! Wer ist sie, dass du dafür dein Leben und deine Freiheit aufs Spiel setzt, die Garde im Stich lässt, meine Autorität untergräbst und..."

„Sie ist meine Tochter!", brüllte Aric und bereute es im selben Moment. Doch es war zu spät.

 Absolute Stille folgte seinen Worten. Die Hände um seine Oberarme verkrampften sich kaum merklich. Der König starrte ihn an. Starrte und starrte...

Arics Herz hämmerte gegen seine Brust. Die Sekunden verstrichen. Schließlich hob der König die Hand und Eric und Ferdale ließen ihn augenblicklich los. Aric stürzte auf Aurora zu und richtete den Blick ins Zentrum des Feuerballs. Dort, wohin sie sich in ihrer Panik verkrochen hatte.

„Aurora", sagte er sanft und streckte die Hand aus. Flammen züngelten um seine Finger und es zischte, als seine Haut begann Blasen zu werfen. Aric ignorierte den Schmerz und drang tiefer in die Glut vor. Sein Ärmel brannte, die Hitze ließ seine Haut aufplatzen, doch dann sah er sie. Zwei dunkle schwarze Punkte, das Gegenstück zu seinen eigenen Augen. Langsam schälte sich ihr Gesicht aus der Glut, ihr Körper nahm Form an. Arics Hand berührte ihre Wange und im selben Moment erloschen die Flammen. Sie schluchzte auf und er zog sie tröstend an sich.

„Ist ja gut. Alles ist gut."

Aurora zitterte und weinte und Aric vergrub einen Moment das Gesicht in ihrem langen schwarzen Haar, das seinem so ähnlich war. Sie hatte so viel von ihm. Nur die Sommersprossen, die waren von ihrer Mutter. Er legte ihr seine Jacke um die schmalen Schultern und hob ihr schmales verweintes Gesicht an. Angst und schlechtes Gewissen brodelten in den schwarzen Abgründen ihrer Augen. Aric legte seine Stirn an ihre und verschmolz mit ihrem Blick.

„Vertrau mir, Aurora. Dir wird nichts passieren."

„Sie tun dir weh", schniefte sie und ihre dünne Stimme schnitt durch die Stille des Schlosshofes. Aric sah auf und begegnete dem Blick seines Königs.

„Lass es mich erklären", bat er ruhig.

Der König sah von ihm zu dem Mädchen in seinen Armen. Schließlich nickte er knapp.


Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt