Als die Sturmböe sie erfasste, rollte Lola panisch mit den Augen. Effi krallte sich in die Mähne ihres Pferdes und legte sich so dicht über den breiten Rücken, dass es ihr lediglich die Haare zerzauste. Vor sich hörte sie ein panisches Wiehern. Sie blinzelte an Lolas Hals vorbei und sah wie Erics Wallach vor Angst stieg und die Böe beide zu Boden riss.
„Eric!", brüllte sie, doch der Wind riss ihre Stimme fort.
Im nächsten Moment war es vorbei. Effi richtete sich auf, dann sprang sie aus dem Sattel und eilte zu Eric, der halb unter seinem Pferd begraben lag. Sie half dem verwirrten Wallach auf die Beine und kniete sich dann zu ihrem Gefährten.
„Eric?"
Er stöhnte und sie begann ihn sorgfältig abzutasten.
„Komm schon, rede mit mir. Hast du dich verletzt?", fragte sie noch einmal.
Zu ihrer Erleichterung öffnete er die Augen und begann sich langsam aufzurichten. Er hielt sich die Seite.
„Wahrscheinlich ein paar Rippen. Und mein Stolz. Der Rest scheint noch dran zu sein."Effi packte ihn unter den Schultern und half ihm auf. Er stützte sich einen Moment auf ihr ab, dann griff er nach den Zügeln seines Wallachs und versuchte ihn zu beruhigen. Lola stand hinter Effi und stupste sie nervös an. Sie strich ihr beruhigend über die Nüstern.
„Das hier", begann Eric und deutete ringsum auf die Zerstörung, die der Wind hinterlassen hatte: Ganze Bäume waren entlaubt, Büsche entwurzelt.
„Das hier... ist kein normales Wetter."
Effi schüttelte den Kopf. Ganz bestimmt nicht, dachte sie und stieg wieder in den Sattel. Eric stöhnte auf, als er sich auf den Rücken seines Pferdes schwang, doch er nickte Effi zu und sie setzten sich wieder in Bewegung.
„Jemand pfuscht in den Elementen herum", sagte Eric nach einer Weile.
Effi runzelte die Stirn.
„Was willst du damit sagen?", fragte sie, obwohl sie ahnte, was er da andeutete.
„Magie", erwiderte Eric knapp.
Das Wort sank wie tropfendes Wasser in ihren Verstand. Magie.Effi war beim Zirkus aufgewachsen. Sie war in den entlegensten Winkeln des Landes gewesen, hatte die seltsamsten Dinge gesehen und die unglaublichsten Geschichten gehört. Die Männer der Garde hatten sie Anfangs misstrauisch beäugt, wussten nicht recht, was sie mit ihr anfangen sollten. Ihr Geschick mit dem Schwert hatte ihr schnell einen gewissen Respekt verschafft, aber die Mentalität des fahrenden Volkes war etwas, das in den strengen militärischen Gebräuchen am Hof auf wenig Verständnis stieß. Doch der Hauptmann hatte sie immer wieder gedrängt ihre Geschichten zu erzählen und bald wurden die Männer regelrecht süchtig danach.
Sie hatte den Hauptmann einmal gefragt, weshalb er so darauf bestand, dass sie ihr Wissen teilte. Schließlich waren es lediglich Geschichten, Erzählungen, die sie auf den langen Reisen aufgeschnappt hatte und deren Wahrheitsgehalt kaum nachvollziehbar war.
„Es erweitert ihren Horizont", hatte er in seinem ihm eigenen trockenen Ton erklärt, „und ihr Vorstellungsvermögen. Sie werden das noch brauchen."
Als sie jetzt an diese Worte zurückdachte, erkannte sie plötzlich, wie ernst er sie gemeint haben musste. Nicht jeder Feind war so simpel und greifbar wie ein bewaffneter Mensch. Effi kannte die Aufzeichnungen über die Schlacht vor Zenon. Nicht jeder Geschichtsschreiber erwähnte die seltsameren Details, aber Effi hatte genug Geschichten gehört, um tiefer zu graben, als sie in Abeno angekommen war. Und sie hatte eine Aufzeichnung gefunden, von einem unbekannten Schreiber aus Zenon, der von zwölf Magiern und einem Ring aus Macht sprach, die eine Dunkelheit in Schach hielten, die die Welt zu verschlingen drohte. „Das Tor zum Nichts" hatte er die wabernde Schwärze genannt, die sich auf dem Schlachtfeld von Zenon ausgebreitet hatte. Und er erzählte von einer Frau, die darin verschwunden war und von einer dunklen Macht besessen zurückkehrte, von Blitzen, die vom Himmel fuhren, mitten in ihren zarten Körper. Er beschrieb, wie sie brannte und brannte, bis sich die Wolken über ihr öffneten und schwerer Regen letztlich das Feuer löschte.
Effi kannte den Unterschied zwischen genialer Täuschung und echtem Zauber und sie hatte genug Vorstellungsvermögen, um jedes Wort dieser Aufzeichnung zu glauben. Als sie sich jetzt in ihrer Umgebung umsah, wurde Erics Bemerkung zur bedrohlichen Wahrheit. Er hatte Recht: Jemand pfuschte mit den Elementen herum.
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Die Raben des Königs
FantasiAric hat seine Aufgabe als Hauptmann der königlichen Leibgarde angetreten. Seine Männer eine unverbrüchliche Einheit aus Loyalität und tödlicher Präzision. Doch das Leben am Hofe lässt sich nur schwer mit seinem Wesen vereinbaren. Auch Taos kämpft...