Die Tage begannen ineinander zu verschwimmen. Doppelte Wachdienste, wenig Schlaf und eine immerwährende Spannung, die wie eine böse Verheißung über dem Schloss lag. Die Falten auf der Stirn des Königs gruben sich tiefer und der Blick des Hauptmanns wurde von Stunde zu Stunde finsterer. Nach und nach trafen die ersten Antworten zu den Nachrichten ein, die Efraim verschickt hatte. Alle nahmen die Warnung ernst, doch niemand schien eine Erklärung für die Bedrohung zu haben.
In der zweiten Nacht nach Effis und Erics Rückkehr begann es zu schneien. Die Feuer versagten ihnen die Wärme, die nötig gewesen wäre, um die Räume ausreichend zu heizen und so begannen sie Tag und Nacht mehrere Schichten zu tragen.
Sam hatte Henna seine Decke gebracht, die ihm einen dankbaren Blick geschenkt hatte und dann zurück in die Küche geeilt war, wo Nora fluchend über dem Ofen hing und versuchte über der wenigen Glut Brot zu backen. Sam schüttelte nur den Kopf. Die Küche war der wärmste Ort im ganzen Schloss, doch auch dort würde es nun in der Nacht eiskalt werden. Seine neuen Kleider hielten ihn warm und wenn er überhaupt Zeit zum Schlafen fand, dann nie lange genug, um zu erfrieren. Seine Decke war bei Henna gut aufgehoben. Falls Nora ihr Zeit zum Schlafen ließ...
Sam seufzte. Er blieb in der Nähe des Hauptmannes, das neue Schwert schwer an seiner Hüfte und überbrachte weiterhin jede Information und jeden Befehl.Das Warten auf Neuigkeiten zermürbte alle, sie wurden stiller und mürrischer und in den Gesichtern spiegelte sich die Furcht. Niemand wusste, was auf sie zukommen würde. Und noch immer kämpfte der Siliere in seinem Krankenbett um sein Leben, ohne ein einziges Mal die Augen aufgeschlagen zu haben. Der Hauptmann ging regelmäßig an seinem Lager vorbei, doch sein Zustand änderte sich kaum.
Lange Stunden des Tages verliefen ereignislos und der Hauptmann begann sie damit zu füllen, Sam weiter im Schwertkampf zu unterweisen. Seine Fortschritte schienen allen eine willkommene Ablenkung und sogar der König beobachtete sie von Zeit zu Zeit. Doch Sam störte es nicht. Sobald seine Klinge die des Hauptmanns kreuzte, versank er in einer anderen Welt. Seine Zuschauer nahm er gar nicht wahr.
Fünf Tage später traf der Bote aus Zenon ein. Der Hauptmann fing ihn bereits am Tor ab und hielt sich nicht mit Freundlichkeiten auf.
„Was sagt er?", fragte er barsch, noch bevor der Reiter überhaupt abgestiegen war. Der Mann schüttelte traurig den Kopf.
„Der Magier ist nicht ansprechbar. Herzogin Leyla sagt, es hätte begonnen, als diese Sturmböe über das Land gefegt ist. Er hatte wohl eine Art Anfall. Seither ist er krank und verwirrt und sagt nur unzusammenhängendes Zeug. Die Heiler können nichts finden, doch sein Zustand verschlechtert sich zunehmend. Nichts scheint ihm zu helfen. Sie behaupten, die Krankheit sei wohl magischen Ursprungs. Anders können sie es sich nicht erklären. Leyla bittet Euch um jede Information, die ihm vielleicht helfen könnte."
Der Hauptmann fluchte und entließ den Boten. Er warf einen Blick in die Ferne, dann wandte er sich dem Schloss zu. Sam folgte ihm schweigend. Er hatte noch nie von einem Magier gehört, der in Zenon lebte, doch das bedeutete nichts. Der Hauptmann schien offensichtlich große Hoffnungen in die Antwort dieses Mannes gelegt zu haben, denn seine Miene glich einem Sturm aus Eis.Sie fanden den König bei Koshy am Krankenbett.
„Lucius ist genau so verrückt wie das Wetter. Es scheint sich von den Elementen auf die Magier zu übertragen", sagte der Hauptmann barsch, noch bevor er ganz im Zimmer war. Er drängte sich am König vorbei und starrte in Koshys blasses Gesicht.
„Das ist nicht gut", sagte Taos und die Sorge in seinem Blick war erschütternd. Sams Herz schlug schneller.
„Was ist mit Oliver? Hast du Nachricht aus der Festung?", fragte er, doch der Hauptmann schüttelte den Kopf.
„Saronn?", wollte der König wissen.
„Der Reiter aus dem Norden ist noch nicht zurück", erwiderte der Hauptmann knapp.
„Es ist ein Zweitagesritt zu Saronns Reich. Er müsste längst zurück sein", widersprach der König.
„Es sei denn Saronn ist nicht dort, dann wird er ziellos umherirren und keinen Einlass finden. Du kennst die Zauber, die über der Burg liegen", sagte der Hauptmann und plötzlich klatschte es laut. Sam zuckte zusammen, doch der König runzelte nur die Stirn, als der Hauptmann dem Silieren noch einmal ins Gesicht schlug.
„Wach auf, Koshy!", brüllte er ihm ins Gesicht, doch der Siliere zuckte nicht einmal.
„Du machst es nur schlimmer", bemerkte der König und der Hauptmann schnaubte. Langsam richtete er sich auf. Sein Gesicht verzog sich zu einer seltsamen Grimasse.
„Raus. Alle!", presste er hervor und Sam fragte nicht nach. Er verließ den Raum und sah die drei Raben an, die ihm folgten und die Tür hinter sich schlossen.
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Die Raben des Königs
FantasyAric hat seine Aufgabe als Hauptmann der königlichen Leibgarde angetreten. Seine Männer eine unverbrüchliche Einheit aus Loyalität und tödlicher Präzision. Doch das Leben am Hofe lässt sich nur schwer mit seinem Wesen vereinbaren. Auch Taos kämpft...