Taos beobachtete seine Tochter – beziehungsweise seinen Hauptmann, seit sie Zenon verlassen hatten. Aric hatte keine Zeit verloren, hatte Taos und Amon die Organisation zum Aufbruch nach Abeno überlassen, sich Eric geschnappt und war mit ihm in den Ring gestiegen. Um sich mit dem ungewohnten Körper vertraut zu machen, wie er behauptete. Seine anfangs abgehackten und unkoordinierten Bewegungen wurden fließender und als er sich letztendlich auf Boran schwang, schienen Annas Muskeln ihm zu gehorchen als wären es seine eigenen. Doch der gehetzte Ausdruck in seinen Augen blieb und Taos fragte sich, ob das etwas war, das er in Annas Körper nicht kontrollieren konnte. Denn die kalte Emotionslosigkeit, die ihm so eigen war, war verschwunden. Im Gegenteil, man konnte die Gefühle regelrecht in seinem Gesicht lesen. Immer wieder wurde er blass, kniff die Lippen zusammen und schluckte angestrengt. Zwar hatte er nach ein paar Stunden aufgehört sich zu übergeben, aber die Übelkeit schien ihn noch immer zu plagen. Taos konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie es ihm gehen musste. Wenn es stimmte, was er sagte, dann war seine Seele in Stücke gerissen worden und das bisschen, das überlebt hatte, in einen fremden Körper gebunden. Er war längst zum Tode verurteilt und doch gezwungen zu leben. In einer Form, die nicht die Seine war. Taos wusste nicht, ob es die Symbiose mit Anna war, die die Übelkeit verursachte, oder der Zustand seiner Seele, doch das war auch nicht wichtig. Er machte sich Sorgen um seinen Freund. Und so seltsam es auch war in das Gesicht seiner Tochter zu blicken und seinen Hauptmann zu sehen, er würde sich damit arrangieren. Denn der Alternative wollte er sich noch nicht stellen, konnte es nicht. Dass Aric, wenn er Annas Körper verlassen sollte...
Er warf einen Blick auf das Packpferd, das einer von Amons Männern mit sich führte. Darauf lag Arics Körper, mit Gurten gesichert und in Bahnen aus Fell gepolstert. Taos schauderte, doch Aric war die Sache völlig pragmatisch angegangen und hatte Olivers Vorschlag, einen Wagen mit einem Krankenlager zu organisieren, abgelehnt.
„Er hält uns nur auf. Außerdem bin ich nicht krank. Wir schnallen ihn auf ein Pferd, ich werde die Unannehmlichkeit nicht bemerken, also warum sich die Mühe machen."
Seine Gardisten waren gelinde gesagt schockiert gewesen, als Aric sie dazu angewiesen hatte und nicht wenige von ihnen warfen immer wieder einen kontrollierenden Blick auf das Packpferd, als wollten sie sichergehen, dass ihr Hauptmann noch atmete. Dass Aric wahrscheinlich nie wieder einen Atemzug tun würde, einen echten, eigenen, verschwieg er den Männern. Und soweit Taos es beurteilen konnte, hatte auch Eric diese Tatsache für sich behalten. Kluger Mann. Es würde nur die Moral der Truppe schwächen. Eric wusste das.
Als die Umrisse der Stadt am Horizont auftauchten, atmete Taos tief durch. Zwei Reiter lösten sich aus dem Geschwader – Amons Späher. Taos schloss zu dem Bürgermeister auf. Die Schlagkraft der Truppe, die dieser innerhalb eines Tages ausgehoben hatte, war so beeindruckend, dass Taos noch immer die Worte fehlten. Und er war froh, dass Amon sie für ihn einsetzte und nicht gegen ihn. Taos verdrängte den Gedanken und blickte den Reitern hinterher.
„Ich sehe keine Truppen in der Ebene", bemerkte er leise. Amon nickte.
„Wahrscheinlich, weil sie die Stadt längst eingenommen haben", gab er zurück. Taos nickte finster und dachte an all die Männer, die er zur Verteidigung der Stadt zurückgelassen hatte.
„Mit etwas Glück ist dieser dunkle König zu arrogant sich um Fußtruppen wie uns zu kümmern. Das würde uns zumindest eine Chance geben, die Tore zu überwinden", überlegte er laut und Amon nickte.
„Er wartet auf Anna, oder etwa nicht? Es würde wenig Sinn machen, wenn er ihr nicht die Gelegenheit gibt auch tatsächlich zu kommen."
Damit traf er wohl ins Schwarze, dachte Taos bitter. Er warf einen Blick auf seinen Hauptmann, der stumm neben ihm ritt.
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Die Raben des Königs
FantasyAric hat seine Aufgabe als Hauptmann der königlichen Leibgarde angetreten. Seine Männer eine unverbrüchliche Einheit aus Loyalität und tödlicher Präzision. Doch das Leben am Hofe lässt sich nur schwer mit seinem Wesen vereinbaren. Auch Taos kämpft...