Im Hof der Armeekaserne herrschte angespanntes Schweigen, als Aric auf den Richtplatz trat. Nicht nur die Raben und die Palastwache, auch die Armeeoffiziere und Vertreter der Stadtwache waren hier, um Arics Strafe zu bezeugen. Taos hatte nachdrücklich auf ihrer Anwesenheit bestanden. Je mehr Augenzeugen es gab, desto sicherer war es, dass Arics Bestrafung auch als solche registriert wurde. Und genau das war schließlich der Sinn der ganzen Übung.
Die leeren Pfähle ragten wie grausame Mahnmale aus dem Sand des Richtplatzes und Taos unterdrückte ein Schaudern, als Aric mit festem Blick dazwischentrat, stehen blieb und zu ihm aufsah.
„Bist du bereit deine Strafe zu erhalten?", fragte er seinen Hauptmann.
„Das bin ich", erwiderte Aric klar.
Er knöpfte sein Hemd auf, schob es über die Schultern und reichte es einem der Wachsoldaten. Erschrockenes Keuchen wanderte durch die Menge. Taos konnte es ihnen nicht verdenken. Der Anblick von Arics geschundenem Körper war ein Thema für sich. Taos hatte es nicht oft gesehen, aber es versetzte ihn jedes Mal wieder in Ehrfurcht. Arics Narben tanzten, als er die Arme hob. Die Haut an seiner rechten Hand und seinem Arm war rot und von Blasen überzogen.
Der Soldat mit den Ketten starrte ihn schockiert an, doch Aric grunzte auffordernd und er legte das kalte Eisen um den verletzten Arm, dann um den gesunden, den Blick immer noch auf dem Netz aus Narben, das Arics Körper bedeckte. Die Ketten wurden straffgezogen und Aric stand mit hoch erhobenem Haupt zwischen den Pfählen. Auf seinem Gesicht war nichts zu erkennen, weder Schmerz noch Furcht.
Taos trat zurück und nickte dann Finja zu, der mit kaltem Blick aus der Menge trat. Ein Raunen ging über den Hof, als die Soldaten ihn erkannten. Taos hatte erst vor wenigen Minuten Doyle in den Kerker geschickt, um ihn herzubringen. Finja ignorierte die fassungslosen und überraschten Blicke seiner Kameraden, während er die Peitsche entrollte und auf Aric zuging. Aric blinzelte, das einzige Zeichen für seine Überraschung, dann hob er den Kopf und nickte Finja zu. Er war bereit. Taos wusste, dass Finja ihn hierfür hasste. Und genau deshalb wusste er auch, dass es eine angemessene Strafe für ihn war. Für Beide. Finja umrundete seinen Hauptmann, dann ließ er die Peitsche knallen. Aric zuckte zusammen, als der Hieb auf ihn niederging, doch er ertrug es mit stoischer Miene, holte Luft und wartete auf den nächsten.
Eric sah schweigend zu, wie der Soldat dem Hauptmann die Eisen anlegte. Neben ihm standen Ferdale, Efraim, Jack und Effi. Ihre Gesichter verfolgten ernst das Geschehen, doch Eric konnte ihre Verwirrung sehen. Effis weit aufgerissene Augen waren ihm nicht entgangen und er hatte das kollektive Luftholen gespürt, das durch die Menge gegangen war, als der Hauptmann sein Hemd abgelegt hatte. Er selbst war nicht minder schockiert und er hatte wahrlich schon einiges gesehen. Der Oberkörper des Hauptmanns war überzogen von Narben. Dunkle Linien unterschiedlichster Länge auf der schneeweißen Haut, manche schmal und kaum sichtbar, manche breiter, wulstiger. Sie bedeckten fast jeden Zentimeter seiner Haut auf Rücken, Brustkorb, Armen, verschwanden unter seinem Hosenbund und ließen ahnen, dass das Muster dort fortgesetzt wurde. Er schauderte, als er daran dachte, wie diese Verletzungen wohl zustande gekommen waren. Sie hätten ihn umbringen müssen. Eine solche Zerstörung konnte niemand überleben.
„Ein Geschenk seiner Kriegerkollegen", murmelte Efraim leise, dessen Gedanken wohl denselben Lauf genommen hatten. „Ich habe davon gelesen, es aber nie wirklich geglaubt. Ich dachte, es wäre eine maßlose Übertreibung des Autors."
Eric warf ihm einen Blick zu, auch Effi und Jack sahen ihn fragend an.
„Die Krieger waren alle dort, alle, die das Schlachtfeld unversehrt verlassen hatten. Es müssen Dutzende gewesen sein, die ihn mit ihren Klingen begrüßten, als er von Kargoffs Soldaten zurück in die Stadt gebracht wurde. Nachdem er Maar so hinterhältig erschossen hat. Es war ein Spießrutenlauf in den Tod", flüsterte Efraim.
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Die Raben des Königs
FantastikAric hat seine Aufgabe als Hauptmann der königlichen Leibgarde angetreten. Seine Männer eine unverbrüchliche Einheit aus Loyalität und tödlicher Präzision. Doch das Leben am Hofe lässt sich nur schwer mit seinem Wesen vereinbaren. Auch Taos kämpft...