Kapitel 61

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Sam spürte jeden einzelnen Knochen im Leib. Seine Beine und sein Hintern schmerzten, als hätte er sich ins Herdfeuer gesetzt. Doch er biss tapfer die Zähne zusammen und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Das letzte, was er wollte, war seinen Kameraden noch mehr Anlass für ihre Wetten zu geben. Vor drei Tagen waren sie von der Haman Schlucht aufgebrochen – ohne den Hauptmann. Der König hatte zu Erics Erklärung nur genickt, sich müde auf sein Pferd gezogen und war Marvin tiefer in die Schlucht gefolgt. Er hatte seither kaum ein Wort gesprochen. Überhaupt war die ganze Reisegesellschaft sehr schweigsam. Selbst die aufgeweckte Aurora schien irgendwie in Gedanken versunken. Sam nutzte die Stille, um seine eigenen Gedanken zu ordnen. Erst vor wenigen Wochen war er mit Kriegermeister Gorjak auf der Mauer gesessen und hatte sich von den Bergen erzählen lassen. Nie hätte er sich damals träumen lassen in so kurzer Zeit tatsächlich in die Wildnis zu reiten – auf einem Pferd – und die Berge dabei immer näher rücken zu sehen. Er konnte es ja selbst jetzt kaum glauben, während um ihn herum sich mit jedem Schritt die Umgebung veränderte. Er hatte keine Ahnung wohin sie ritten oder wo sie sich befanden und er war froh, dass sie offenes Feld weitgehend mieden. Als sie in der Nacht losgeritten waren, hatte er es in der Dunkelheit und der Aufregung kaum wahrgenommen, aber jetzt rutschte ihm jedes Mal der Magen in die Knie, wenn sie das schützende Blätterdach verließen. Die Weite, die sich dann vor ihnen erstreckte, machte ihm Angst und faszinierte ihn zugleich. Er fühlte sich dort winzig klein und verloren. Kein Vergleich zu den engen belebten Gassen Abenos.

Es war bereits weit nach Mittag, als Marvin vor ihnen die Hand hob. Sam zog an seinen Zügeln und brachte sein Pferd zum Halten. Er beobachtete, wie Eric zu dem Späher aufschloss. Die beiden Gardisten wechselten ein paar Worte, die Sam nicht verstehen konnte, dann sah Eric nachdenklich in die Ferne.

„Was denkst du, was da los ist? Gibt es ein Problem?", fragte er leise Jack, der neben ihm zum Halten gekommen war. Jack runzelte die Stirn.

„Siehst du die Nebelschwaden dort?", erwiderte er und nickte in die Richtung, wo Marvin und Eric standen. Sam nickte. Es sah aus, als würde der Boden dampfen und sich dieser Dampf als zäher Nebel darüber sammeln.

„Achte auf die Bäume, die Pflanzen. Erkennst du einen Unterschied?"

Sam schüttelte hilflos den Kopf.

„Hmm, ich vergesse immer wieder, dass du ein Stadtkind bist. Versuch es zu riechen."

Sam sah ihn verwirrt an, doch Jack schien es ernst zu meinen. Also schloss er die Augen und atmete tief ein. Und tatsächlich:

„Es riecht irgendwie modrig", bemerkte er erstaunt. Jack nickte.

„Sieht aus als läge dort vor uns ein Moor. Je nach Größe und Beschaffenheit kann es sehr gefährlich sein, durchs Moor zu reiten. Man verirrt sich leicht und der Boden kann tückisch sein. Manch einer ist schon darin ertrunken, oder hat sich ein Bein gebrochen und nie wieder aus dem Sumpf herausgefunden. Es ist eine Todesfalle für jeden, der sich nicht auskennt."

„Können wir nicht drumherum reiten?", fragte Sam schaudernd.

Jack zuckte die Schultern.

„Müssen wir wahrscheinlich. Allerdings kenne ich mich in der Gegend nicht aus und ich habe noch nie davon gehört, dass es hier ein Sumpfgebiet gibt. Keine Ahnung wieviel Zeit uns der Umweg kosten wird."

„Wird der Hauptmann auch den Umweg gehen?"

„Schwer zu sagen. Möglicherweise kennt er sich hier besser aus und kann das Risiko abschätzen."

Eric wendete sein Pferd und kam zurück zur Gruppe, während Marvin weiter an dem Nebel entlangritt.

„Wir rasten hier", erklärte Eric knapp. „Marvin sucht nach einem Weg um den Sumpf. Ich möchte ungern das Risiko eingehen müssen ihn zu durchqueren."

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt