Marvins Blick glitt aufmerksam übers Schloss und seine Umgebung, während er langsam die Mauer entlangschritt. Finja war noch nicht aus der Stadt zurückgekehrt, doch von diesem leidigen Vorfall am Tor einmal abgesehen, war alles ruhig. Die Bewohner Abhans verschanzten sich in ihren Häusern und gingen nur auf die Straße um Besorgungen zu machen. Selbst am Markt war kaum etwas los. Marvin seufzte. Er konnte nur hoffen, dass dies kein dauerhafter Zustand blieb. Der Schnee fiel in dichten Flocken auf seine Schultern und hätte der Szenerie vielleicht einen friedlichen Anstrich gegeben, wäre es nicht Hochsommer. Unten am Schoss trat der Hauptmann mit Samuel im Schlepptau aus den breiten Flügeltüren. Er nickte Marvin zu und gab Sam ein Zeichen, sich zu ihm auf die Mauer zu gesellen. Der Junge trabte auf die Treppe zu, während der Hauptmann den Weg zu den Ställen einschlug. Marvin begrüßte Sam mit einem Grinsen.
„Der Hauptmann hält dich gut auf Trab."
Sam nickte und klopfte sich den Schnee aus den Haaren. Sinnlos, dachte Marvin, sagte aber nichts dazu. Ihm klebten Haar und Kleider bereits völlig durchnässt auf der Haut.
„Die Nachricht aus Zenon war nicht das, was er sich erhofft hat. Auch seine Majestät ist nicht besonders glücklich darüber. Ich habe das Gefühl die Sache wird immer ernster", sagte Sam und erzählte, was er von dem Gespräch im Krankenzimmer des Silieren mitbekommen hatte.
„Lucius Ferndala ist ein kluger Mann. Und ein angenehmer Bursche obendrein. Howard kennt ihn nicht wirklich und Jack kann ihn nicht leiden, weil er sich auf den Schlips getreten fühlt. Klar, niemand kann mit einem Magier mithalten, wenn es um Spionage geht. Aber darüber hinaus hat der Mann den Hof in Zenon absolut im Griff. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Wissen ist der Faden aus dem Leyla ihren Teppich der Macht webt. Und er reicht ihr die passenden Farben. Das verletzt Jacks Stolz", kommentierte er die Unterhaltung der Männer im Flur und schnaubte.
Sam lächelte schwach.
„Etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht", sagte er und starrte in den Schnee hinaus. Der Junge war wirklich nicht auf den Kopf gefallen, dachte Marvin. Er begriff Dinge, die Howard bis heute noch nicht geschluckt hatte. Allein das machte ihn schon sympathisch.Hinter ihnen krachte es und sie fuhren herum, Marvins Hand glitt zum Schwert. Ein Pferd brach aus den Stallungen hervor, der Reiter, dicht über seinen Kopf gebeugt, krallte sich in die Zügel und trieb es zu einem harten Galopp. Sie setzten in wenigen Sprüngen über den Hof, so schnell, dass die Wachen am Tor kaum reagieren konnten, erwarteten sie doch Schwierigkeiten von außen und nicht aus dem Inneren des Schlosses. Marvin blieb für einen Moment das Herz stehen, als er den Reiter erkannte. Es war der Hauptmann. Mit einem Schrei erhob sich hinter ihm Nort in den Himmel und segelte über die Mauer hinaus in die Stadt.
„Halt!", rief Marvin noch, doch es war zu spät. Der Hauptmann war durchs Tor gebrochen und galoppierte die Straße hinab, ohne ein einziges Mal aufzublicken.
„Lauf zum König! Schnell!", rief Marvin Sam zu, der schockiert hinter dem Hauptmann her starrte. Doch Marvins Befehl riss ihn aus seiner Überraschung und er stolperte eilig die Treppe hinunter. Marvin fluchte, da war auch schon Doyle von der anderen Seite der Mauer auf ihn zugeeilt.
„War das...?"
„Der Hauptmann. Ja."
Sie starrten in die weißen Spuren, die das Pferd hinterlassen hatte, wussten sie müssten ihn aufhalten und wussten auch, dass er sie vierteilen würde, sollten sie ihren Posten deswegen verlassen.
„Scheiße!", war alles, was Doyle sagte.„Majestät!", rief Sam schon von Weitem, noch bevor er das Zimmer erreicht hatte, in dem er hoffte, dass der König noch immer saß. Er sah die schwarzen Schatten vor der Tür und hätte vor Erleichterung fast aufgestöhnt, als der König aus dem Raum gestürzt kam. Sam wartete nicht, bis er ihn erreichte.
„Der Hauptmann hat das Schloss verlassen. Auf einem Pferd. In rasendem Galopp!", rief er der Gruppe zu.
Fassungslose Stille folgte seinen Worten, dann ein schmutziger Fluch und Sam kam atemlos vor dem König zum Stehen.
„Er reitet in die Stadt hinab", stieß er aus.
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Die Raben des Königs
FantasiAric hat seine Aufgabe als Hauptmann der königlichen Leibgarde angetreten. Seine Männer eine unverbrüchliche Einheit aus Loyalität und tödlicher Präzision. Doch das Leben am Hofe lässt sich nur schwer mit seinem Wesen vereinbaren. Auch Taos kämpft...