Kapitel 13

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Sam stand noch vor dem Morgengrauen auf und raffte seine wenigen Habseligkeiten zusammen. Es war ein trauriges Häufchen und als er es betrachtete, beschloss er kurzerhand es zurückzulassen. Mit einem letzten Blick auf die schlafende Henna, deren Haar wie ein dunkler Fächer um ihr helles Gesicht lag, schlich er sich leise aus der Küche. Er wusch sich am Brunnen, klopfte seine Kleider aus und strich sich mit feuchten Fingern durchs Haar. Dann trank er einen Schluck und sah über den verlassenen Hof. Er würde nur von der Küche in die Kaserne umziehen und doch fühlte es sich an als würde er ein Leben aufgeben, um ein anderes zu beginnen. Und wahrscheinlich war das auch so.

Die aufziehende Dämmerung ließ die Schatten im Hof verschwinden und Sam richtete sich mit einem tiefen Atemzug auf. Dann machte er sich auf den Weg in die Kaserne.
Auf halbem Weg rannte er fast in den Hauptmann. Er blinzelte und entschuldigte sich leise.
„Komm mit", sagte der nur und wandte sich um, um den Weg zurückzugehen, den er gekommen war. Sie betraten die Kaserne und liefen den langen Flur entlang, bis der Hauptmann vor einer der Türen stehen blieb. Er klopfte.
„Finja", sagte er ungeduldig und wenige Augenblicke später machte der breitschultrige blonde Mann die Tür auf. Er trug nur seine Hosen und sein Haar stand in alle Richtungen vom Kopf, trotzdem wirkte er auf Sam wie ein Held vor der Schlacht.
„Hauptmann?", fragte er verschlafen und warf einen Blick auf Sam, der die Augen niederschlug.
„Das ist Samuel, unser jüngstes Gardemitglied. Ich habe ihn rekrutiert. Kümmere dich um ihn, ich habe noch zu tun", sagte der Hauptmann knapp und wartete kaum Finjas Nicken ab, bevor er auch schon wieder davoneilte. Sam sah ihm nach und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
„Königliche Garde, hmm?", sagte Finja nur und musterte ihn nachdenklich. „Du bist der Junge aus der Küche", stellte er fest und Sam nickte. „Warte hier, ich zieh mir nur schnell was über." Damit verschwand er wieder in seinem Zimmer und Sam war allein.
Als er wiederkam, trug er seine Uniform, sein Haar war gekämmt und fiel ihm in Wellen um die Stirn und seine Augen lächelten ihn warm an. Sofort fühlte Sam sich ein wenig besser.
„Na dann wollen wir mal", sagte Finja munter und setzte sich in Bewegung.

Als sie die kleine Wachstube betraten, wandten sich gleich mehrere Köpfe in ihre Richtung. Sam zog unwillkürlich den Kopf ein, doch es nütze nichts.
„Hast du einen neuen Freund, Fin?"
„Hey, ist das nicht der Küchenjunge?"
„Er ist außerdem auch unser neuer Rekrut. Also sei nett zu ihm, Jack", sagte Finja mit einem Grinsen und klopfte Sam kameradschaftlich auf den Rücken. Jack spuckte den Tee, den er gerade im Mund hatte, quer über den ganzen Tisch.
„Huh, Jack, reiß dich zusammen. Das ist ja ekelhaft!"
„Hat der Hauptmann denn jetzt völlig den Verstand verloren?", fragte Jack und ignorierte die Beschwerden der anderen, die sich Teespritzer vom Gesicht trockneten. Finja zuckte nur mit den Schultern und nahm sich ein Stück Brot vom Tisch.

„Ignorier ihn", sagte er mit einem Zwinkern zu Sam. „Vom Küchenjungen zum Gardisten ist längst nicht die verrückteste Geschichte in dieser Runde."
Sam sah überrascht die Männer an, die sich um den großen Tisch versammelt hatten. Doch es war die eine Frau, die dabei saß, die als erste reagierte.
„Du bist nur neidisch, weil du nicht mit einer guten Geschichte aufwarten kannst", sagte sie zu Finja und schenkte ihm einen verführerischen Augenaufschlag. Finja lachte.
„Netter Versuch, Effi. Aber immerhin komme ich nicht aus dem Zirkus", warf er zurück. Jemand kicherte, doch Sam starrte die Frau an. War das ein Scherz?
„Kein Scherz", erwiderte Jack. „Sie ist wirklich vom Zirkus. Deshalb kann sie sich auch so perfekt bewegen, nicht wahr, Effi?"
Effi lächelte wissend und nippte an ihrem Tee. Finja ließ sich auf die Bank gleiten und boxte dem Mann in die Schulter.
„Das da ist Jack. Vorlautes Mundwerk, aber gute Reflexe. Und bevor du fragst: Er ist der beste Taschendieb an der Westküste."
„War", warf Jack mit vollem Mund und einem Grinsen ein und Finja nickte.
„Richtig. Jetzt ist er nämlich ein Rabe des Königs und der beste Spion, den man sich vorstellen kann."
Finja zeigte auf den nächsten Mann in der Runde. Seine Nase steckte in einem Buch und er schien von der Unterhaltung kaum etwas mitzubekommen.
„Efraim, Bibliothekar aus Afenkirk. Frag mich nicht, ich weiß bis heute nicht, warum der Hauptmann ihn rekrutiert hat. Aber wenn du irgendetwas wissen musst, ist Efraim dein Mann."
„Er ist ein wandelndes Lexikon, Fin. Deshalb hat der Hauptmann ihn rekrutiert", mischte sich der schlanke hochgewachsene Mann neben Effi ein. Seine Augen waren genauso haselnussbraun wie seine Haare und sein Blick hatte etwas verschlagenes an sich. Efraim verdrehte hinter seinem Buch die Augen und Sam verkniff sich ein Grinsen.
„Darf ich dir Ferdale vorstellen? Der Mann hinter den Kulissen. Er ist schrecklich intrigant und hat auch sein halbes Leben lang nichts anderes gemacht. Die Höflinge begegnen ihm hier immer noch mit außerordentlichem Misstrauen. Sie wissen wie viele von ihnen seinetwegen vor Gericht gelandet sind. Er hat König Taos' Hof praktisch im Alleingang von Verrätern gesäubert", erklärte Finja ohne eine Spur Humor. Ferdale nickte ihm zu und Sam schauderte unwillkürlich. Plötzlich ertönte von der Bank hinter dem Tisch ein Stöhnen. Eine Hand erschien auf der Tischkante, dann ein Kopf. Jemand kicherte und Jack warf Brotkrumen nach dem Mann, der sich verschlafen in die Senkrechte schob und in die Runde blickte.
„Wie spät ist es?", fragte er und gähnte herzhaft.
„Das", nahm Finja den Faden wieder auf, „ist Lane. Er hatte die erste Wache und hat es offensichtlich nicht bis in sein Bett geschafft."
Lane rieb sich müde das Gesicht und nahm Ferdale die halbvolle Tasse weg, um einen tiefen Schluck zu nehmen.
„Hey!", beschwerte sich Ferdale. „Gib das wieder her."
Lane ignorierte ihn und leerte den Rest der Tasse. Dann hob er den Blick und musterte Sam aus kleinen Augen.

Die Raben des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt